Rückblende: Zwang und Zwangskontexte in der Sozialen Arbeit – eine gelungene Veranstaltung!
Etwas über 100 Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen aus dem deutschsprachigen Raum haben an der Tagung in der HAW Hamburg teilgenommen und sich von den zwölf Referaten und den Posterpräsentationen inspirieren lassen. Die Beiträge zu den begrifflichen und theoretischen Einordnungen von Zwang und Zwangskontexten (vs. Freiwilligkeit, Autonomie, Gewalt, soziale Kontrolle und Macht etc.) aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen haben die Vielschichtigkeit des Themas und die Notwendigkeit der Begriffsschärfungen hervorgehoben. Die differenzierten Ausführungen zur Bedeutung des Themas in verschiedenen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit und die empirischen Erkenntnisse über Zwang und Zwangskontexte haben gezeigt, welche theoretischen, normativen, methodischen und forschungsbezogenen Desiderate zu bearbeiten sind.
Insgesamt hat der interdisziplinär geführte Austausch die Disziplin und Profession einen weiteren Schritt in diesem kontrovers verhandelten Thema vorwärts gebracht. Es ist geplant, eine weiterführende Publikation zu erarbeiten und die anregenden Diskussionen zu diesem relevanten Thema fortzusetzen.
Die Folien-Handouts der Referate und Poster werden auf der Website der Hochschule Luzern aufgeschaltet.
Wir danken allen Mitwirkenden für ihr grosses Engagement und der Lieselotte-Pongratz-Stiftung für die Unterstützung.
Tilman Lutz, Michael Lindenberg, Daniel Rosch und Patrick Zobrist
Informationen im Vorfeld der Tagung
In Kooperation des Departments Soziale Arbeit der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg - HAW mit der Hochschule Luzern (Schweiz)
Donnerstag, 11. September bis
Freitag, 12. September 2025
in Hamburg
Die Tagung in Hamburg will versuchen, die bestehenden kontroversen Positionen, die Widersprüche und die Gemeinsamkeiten auszuloten und offene Fragen aufzuwerfen. Die Tagung soll einen Beitrag dazu leisten, dieses umstrittene Themenfeld in Disziplin und Profession im konstruktiven Dialog weiterzuentwickeln.
„Zwang“ und „Zwangskontexte“ sind in der Sozialen Arbeit verbreitete und gleichzeitig umstrittene Phänomene. Die Füllung der Begriffe sowie ihre Eignung für die Beschreibung und Bewertung konkreter Handlungen und Bedingungen wird kontrovers diskutiert.
In manchen Arbeitsfeldern werden Zwangskontexte rechtlich gerahmt, etwa im Kinderschutz oder der Bewährungshilfe. Mancherorts tritt Zwang in der Sozialen Arbeit jedoch subtil und verdeckt auf und lässt sich rechtlich kaum begründen. Wenig strittig ist, dass Zwang und Zwangskontexte zentrale Anforderungen an das professionelle Handeln in der Sozialen Arbeit tangieren und zur Positionierung auffordern – nicht zuletzt befördert durch sozial- und kriminalpolitische Forderungen nach mehr Zwang(smassnahmen) sowie durch die Debatten um ‚wohltätigen Zwang‘ (Deutscher Ethikrat 2018).
Weil die Begriffe und Praxen widersprüchlich ausgeprägt sind und ihre Legitimität stets unter ethischen Vorbehalten steht, ist es für Fachkräfte und Wissenschaft notwendig, sich mit diesen zu befassen. So gibt es empirische Befunde, die darauf hindeuten, dass Interventionen in Zwangskontexten – sofern sie bestimmten methodischen Prinzipien folgen – vergleichbare Effekte erzielen können wie in freiwilligen Kontexten.
Die Studienlage zu Zwang ist allerdings uneindeutig: Zwang kann die Klient*innen einerseits nachhaltig schädigen, anderseits wird er in Teilen als funktional bewertet und daher legitimiert, etwa um die Integrität der Adressat*innen zu schützen. Andere widersprechen der Legitimierbarkeit von engem Zwang mit sozialarbeiterischen, pädagogischen und ethischen Argumenten grundsätzlich. Die Einschätzung von Gumpinger, wonach sich Soziale Arbeit in Zwangskontexten in einer „methodischen Grauzone mit sehr wenig Unterstützung in Form theoretischer Fundierung und wissenschaftlicher Absicherung“ (2001: 12) befinde, hat nicht an Aktualität eingebüsst.
Die Tagung will vor dem Hintergrund der angedeuteten Kontroversen folgende Leitfragen diskutieren:
- Wie lassen sich die Phänomene Zwang und Zwangskontexte in der Sozialen Arbeit begrifflich fassen und theoretisch einordnen? In welchem Verhältnis stehen sie zu Begriffen wie Autonomie, Freiwilligkeit, Eingriff oder Autonomiebeschränkung? Wie lassen sich die Begriffe und Praxen bezugswissenschaftlich und sozialpädagogisch/sozialarbeiterisch bestimmen?
- Welchen Stellenwert haben Zwang und Zwangskontexte in verschiedenen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit und wie wird damit normativ und methodisch umgegangen?
- Welche empirischen Erkenntnisse über Zwang und Zwangskontexte liegen vor und welche methodischen Ansätze lassen sich forschungsbasiert begründen?
- Welche Anknüpfungspunkte für die theoretische, normative, empirische und methodische Weiterentwicklung der Thematik können benannt werden? Welche Desiderate lassen sich bezeichnen?
Tagungsverantwortliche und Vorbereitungsteam:
- Prof. Dr. Tilman Lutz, HAW Hamburg
- Prof. Dr. Michael Lindenberg, Ev. Hochschule Hamburg
- Prof. Dr. Daniel Rosch, Hochschule Luzern
- Prof. Dr. Patrick Zobrist, Hochschule Luzern
Referent*innen:
- Prof. Dr. Roland Becker- Lenz
- Sarah Blume
- Prof.‘in Dr. Stefania Calabrese
- Prof.‘in Dr. Zoe Clark
- Prof.‘in Dr. Kirsten Drenkhahn
- Prof.‘in Dr. Katharina Groening
- Prof.‘in Dr. Tanja Henking
- Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl
- Prof. Dr. Stephan Köngeter
- Prof.‘in Dr. Jeanette Pohl
- Prof.‘in Dr. Friederike Lorenz-Sinai
- Prof.‘in Dr. Anke Neuber
Informationen erhalten Sie auch über die Webseite der Hochschule Luzern.
