NRL

Ambivalentes Stimmungsbild zur Energiewende

Wie ist das aktuelle Stimmungsbild der Bevölkerung im Hinblick auf die Machbarkeit der Energiewende? Und inwiefern beeinflusst der Ukraine-Krieg und die drohende Versorgungskrise diese Einschätzung? Diesen und weiteren Fragen hat das Großprojekt Norddeutsches Reallabor eine Gesellschaftsstudie zur Energiewende gewidmet. Die Ergebnisse zeigen eine deutliche Verschiebung in der Bewertung von Gemeinwohlzielen und persönlichen Auswirkungen der Energiewende – und eine große Skepsis gegenüber der Machbarkeit. Zugleich ist die Dringlichkeit einer schnellen Umstellung der Energieversorgung in den Köpfen der Bürger*innen angekommen.

Die Studie trägt den Titel „Transformation & Gesellschaft: Ein Stimmungsbild – Studie zur Energiewen-de und der Akzeptanz von Wasserstoff“ und wurde vom Competence Center für Erneuerbare Energien und EnergieEffizienz (CC4E) der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg im Rahmen des Projekts Norddeutsches Reallabor (NRL) durchgeführt. Das NRL ist ein innovatives Verbundprojekt mit 50 Partnern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, das neue Wege zur Klimaneutralität aufzeigt. 
Eine Besonderheit des Projekts ist sein gesamtsystemischer Ansatz, der neben verschiedenen Erprobungsvorhaben im Bereich der Sektorenkopplung auch Querschnittsthemen berücksichtigt, die sich mit der volkswirtschaftlichen sowie der gesellschaftlichen Dimension der Energiewende befassen. Im Zuge dessen ist auch die vorliegende Studie entstanden: Sie wurde im Rahmen des NRL-Teilvorhabens „Industrielle Transformation und gesellschaftliche Teilhabe“ durchgeführt.

Die zwei Befragungswellen fanden Anfang Februar 2022 und Ende April 2022 statt – vor und nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine – und sind repräsentativ für Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Bremen.

Schwindender Rückhalt durch Zweifel an Machbarkeit
Die Studienergebnisse zeigen ein ambivalentes Stimmungsbild zur Thematik erneuerbare Energien bzw. zur Energiewende auf. Einerseits besteht bei den Bürger*innen ein hohes Bewusstsein für Umwelt- und Energiethemen, anderseits gibt es eine gewisse Skepsis hinsichtlich der Machbarkeit der Energiewende. Dabei spielen auch die Auswirkungen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine eine zunehmende Rolle: Seit Anbahnung des Krieges werden Ziele der Energiewende mit persönlich spürbaren Auswirkungen als relevanter empfunden als die das Gemeinwohl betreffenden Ziele wie der Klimaschutz: Knapp 90 Prozent der Befragten nennen Versorgungssicherheit als (sehr) wichtiges Ziel der Energiewende, auf Rang zwei liegt die Senkung der Energiekosten (85 Prozent), wobei eine Mehrheit der Befragten die derzeitige Verteilung der Kosten der Energiewende nicht gerecht findet.

Eklatant ist in diesem Zusammenhang auch die hohe Skepsis der Befragten gegenüber der Machbarkeit der Energiewende. So glauben lediglich 29 Prozent an eine langfristige Senkung der Energiekosten; auch das Ziel der Versorgungssicherheit halten nur 50 Prozent der Befragten für (sehr) wahrscheinlich erreichbar. Solche Defizite in der Glaubwürdigkeit bergen das Risiko, dass die Relevanz der Nachhaltigkeit bei der Wahl des Energieträgers und damit auch der Rückhalt für die Energiewende schwindet.

Damit eine sichere und bezahlbare Energieversorgung ohne die Nutzung von fossilen Energieträgern gewährleistet werden kann, ist daher dem mangelnden Vertrauen in eine effiziente Realisierung entgegenzuwirken, betont Studienautorin Pia Arndt, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am CC4E und Lei-tung der NRL-Arbeitsgruppe „Industrielle Transformation, gesellschaftliche Teilhabe und Transfer“: „Die Ergebnisse der NRL-Studie machen deutlich, dass sowohl die Versorgungssicherheit als auch die Finanzierbarkeit der Energieversorgung von zentraler Bedeutung für die Gewährleistung des Vertrauens der Bevölkerung in nachhaltige Energiesysteme sind. Zum Erhalt einer positiven Einstellung der Bevölkerung zur Energiewende kommt es bei der Umsetzung durch Politik, Forschung und Wirtschaft daher darauf an, dass die Akteursgruppen den Bürger*innen entschlossenes und gemeinsames Handeln in Bezug auf eine sichere und bezahlbare Energieversorgung vermitteln.“

Positive Einstellung zu Wasserstofftechnologien
Hinsichtlich der konkreten Umsetzung der Energiewende werden die Einflussfaktoren vor allem im technologischen Bereich und in der Zusammenarbeit von Forschung und Wirtschaft gesehen. Im technologischen Bereich schreiben die Bürger*innen der effizienten Speicherung von erneuerbaren Energien sowie dem Ausbau von Wind- und Solaranlagen eine wesentliche Rolle zu. Zudem bietet aus Sicht der Bürger*innen der Einsatz von Wasserstoff hohes Potential für eine erfolgreiche Umsetzung der Energiewende: Rund 60 Prozent sehen im Ausbau von H2-Technologien einen wichtigen Faktor für das Gelingen der Energiewende zu. Nur sieben Prozent empfinden den Einsatz von Wasserstofftechnologien als nicht vertrauenswürdig. Dabei wird die Industrie als wichtiger Energiewendeakteur angesehen, der durch klimaneutrale Produktionsprozesse massiv zur sektorenübergreifenden Defossilisie-rung beitragen kann.

„Die Dringlichkeit der Bekämpfung des Klimawandels und der Umstellung auf eine erneuerbare Energie-versorgung ist bei den Bürger*innen angekommen. Entscheidend für den gesellschaftlichen Rückhalt ist es, die Bürger*innen – auch vor dem Hintergrund der aktuellen energiepolitischen Herausforderungen – von der Machbarkeit zu überzeugen. Das Norddeutsche Reallabor kann hierbei eine Schlüsselrolle ein-nehmen“, so Prof. Dr. Werner Beba, NRL-Koordinator und Leiter CC4E der HAW Hamburg.

Weitere Informationen
Die vollständige NRL-Studie ist abrufbar unter: https://norddeutsches-reallabor.de/

Contact

Pressekontakt:
Dr. Sandra Annika Meyer-Ghosh
Tel. 040.428 75-9208
sandraannika.meyer (at) haw-hamburg (dot) de

Projektkoordinator NRL:
Prof. Dr. Werner Beba
Tel. 040.428 75-6937
werner.beba (at) haw-hamburg (dot) de 
 

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