| Campus
Jahresbericht 2019/2020

„Nachhaltige Lernerfahrungen setzen Begegnung voraus“

Präsident Prof. Dr. Micha Teuscher spricht im aktuellen Jahresbericht der HAW Hamburg über notwendige Handlungskompetenz in Zeiten der Klimakrise, über die Zukunftsverträge mit der Wissenschaftsbehörde und über bevorstehende große Bauvorhaben der Hochschule.

 

Prof. Dr. Micha Teuscher, Präsident der HAW Hamburg, am Berliner Tor

Prof. Dr. Micha Teuscher: "Die Hochschule hat sich für die kommenden Jahre viel vorgenommen."

Herr Teuscher, welche strategischen Schwerpunktthemen hat die Hochschule trotz der Corona-Pandemie in den letzten Jahren vorangebracht?
Wir haben den „Struktur- und Entwicklungsplan“ der Hochschule diskutiert und verabschiedet: unser Orientierungs- und Handlungsrahmen für die Jahre 2021 bis 2025. Wir haben die Zukunftsverträge mit der Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke ausverhandelt und unterzeichnet: unser Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis 2027. Und wir haben die Bauvorhaben am Berliner Tor aus einer unspezifischen Visionsphase in einen Stadtentwicklungswettbewerb hineinbekommen: unser Startpunkt für einen Entwicklungsschub, der das angewandte Lehren und Lernen in der Zukunft prägen wird.

Ein Blick auf den Struktur- und Entwicklungsplan zeigt: Die Hochschule hat sich für die kommenden Jahre viel vorgenommen.
Das ist richtig. Die gesellschaftlichen Herausforderungen sind ja auch enorm. Als Hochschule für Angewandte Wissenschaften wollen wir Menschen qualifizieren, die als „Change Maker“ das Know-How, die Kompetenz und das Engagement mitbringen, ihr Umfeld im positiven Sinne zu verändern. Das ist eines unserer Kernanliegen. Die Klimakrise gibt uns deutlich auf, dass wir unsere Lebensweisen verändern müssen. Wir dürfen das aber nicht nur theoretisch wissen und verstanden haben, sondern auch die Handlungskompetenz dazu entwickeln und in das konkrete Verändern kommen. Das betrifft unsere Absolvent*innen genauso wie unsere gesamte Institution, die Mitglieder unserer Hochschule. Und diese Handlungsorientierung, der Schritt vom Wissen zum Können, ist gerade das, was unsere Hochschule auf ihren unterschiedlichsten Ebenen ausmacht.

In der Einleitung zum Struktur- und Entwicklungsplan heißt es: „Eine unzureichende Hochschulfinanzierung wird unsere angestrebte Entwicklung erheblich behindern“. Wie passt das zu den im SEP formulierten strategischen Zielen?
In der Tat haben wir darüber nachgedacht, bestimmte Maßnahmen aus dem SEP zu posteriorisieren, da wir sie mit der angekündigten Finanzausstattung nicht werden umsetzen können. Auch deswegen haben wir das aus der Hochschule heraus getragene Projekt „Zukunft ohne Defizit“ mit externer Moderation initiiert, um zu analysieren, wie wir unsere Aufgaben zukünftig wahrnehmen und mit welcher Strategie wir dabei arbeiten wollen. Wir müssen klar feststellen, dass uns die Zukunftsverträge in finanzieller Hinsicht enttäuschen.

Was konkret sehen die Zukunftsverträge denn vor?
Zunächst: Die Situation ist grundsätzlich besser als in den zurückliegenden acht Jahren. Denn wir haben Planungssicherheit für die siebenjährige Laufzeit des Vertrags insofern, als die voraussichtlich vereinbarten Tarifverträge sämtlich im Rahmen der zusätzlichen 2 Prozent – der Zukunftsvertrag redet von 1,5 Prozent plus 0,5 Prozent Flatrate –, die wir als Ausgleich von Tarif- und Besoldungssteigerungen sowie Inflation erhalten, mitfinanziert sind. Genug ist das aber nicht.

Inwiefern?
Weil wir aus den zurückliegenden acht Jahren eine massive Kostenschere zu verzeichnen haben, eine Differenz zwischen der Ist-Entwicklung der Kosten und der Refinanzierung. Das hat bei allen Hochschulen zu deutlichen strukturellen Unterfinanzierungen geführt. Nun ist es nachvollziehbar, dass die Corona-Pandemie die FHH aufs Äußerste finanziell gefordert hat. Was wir aber vermissen, ist ein klares Signal des Ausbaus des Wissenschaftsstandortes der Metropolregion Hamburg und der Stärkung gerade der HAW Hamburg in der Zeit nach der Coronakrise. Ein Signal, um aus dem Defizit der vergangenen acht Jahre herauszukommen und so unsere zentralen SEP-Projekte auch realisieren zu können. Eine klare Perspektive ab dem Doppelhaushalt 2023/24, denn sonst wird der Hochschulstandort Hamburg im Bundesvergleich an Attraktivität verlieren. Wir sehen, was in den anderen Bundesländern in die Hochschulen investiert wird. Die kritische Distanz in der Leistungsfähigkeit erhöht sich.

Welche Rolle spielen hier die beiden möglichen Clusteranträge, die der Zukunftsvertrag vorsieht?
Über diese können wir zentrale Entwicklungsvorgaben der Hochschule zusammen mit der BWFGB als Bürgerschaftsdrucksachen einreichen. Der eine Antrag wird die Handlungsfelder Studium, Lehre und Weiterbildung, duales Studium und Digitalisierung verknüpfen. Der andere Antrag wird die Anliegen aus Forschung, Transfer und Innovation, Internationalisierung und Digitalisierung zusammenführen. Diese zwei Clusteranträge werden strategisch von enormer Bedeutung für die Hochschule sein. 

Strategisch bedeutsam sind auch die geplanten Neubauten, am Berliner Tor ebenso wie in dem neuen Stadtteil Oberbillwerder, wo ein Campus für Life Sciences und Gesundheit entstehen soll – einzigartige Vorhaben in der Geschichte der HAW Hamburg. Welches Raum- und Flächenkonzept liegt ihnen zugrunde?
Wir richten diese für die Entwicklung der Hochschule so zentralen Bauvorhaben an der Idee verändernder Begegnung in Lernräumen aus. Studierende machen in kreativen Prozessen eines Seminars stärkere Lernfortschritte als in digitalen Räumen, in denen häufig der Bildschirm ausgeschaltet ist, man nur die Professorin oder den Professor sieht und es wenig Kommunikation mit den Kommilitonen gibt – oder nur als Oneway-Diskussion mit dem Dozenten oder der Dozentin. Studierende brauchen auch in ihrer Peergroup die Referenzierung untereinander. Und genau das setzt Begegnung voraus. Nur hier entstehen bleibende Lernerfahrungen im Sinne der Selbstwirksamkeit. Genau diese wollen wir als Hochschule für Angewandte Wissenschaften befördern. Dafür muss natürlich die Aufenthaltsqualität stimmen und die Räume müssen entsprechend technisch ausgestattet sein. Die leitende Frage ist dabei aber nicht mehr: Wieviel Audimax brauchen wir?

Die hohe Bedeutung von Begegnung – inwiefern gilt sie auch für Wissenschaft und Verwaltung?
Innovation entsteht mit konstruktiver Kritik. Und diese verlangt Begegnung. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler brauchen also Referenzierung. Das gilt auch für die Wissenschaft an unserer Hochschule ermöglichende Verwaltung. Es gibt unterschiedliche Bedarfe nach kurzfristigen Abstimmungen, nach Austausch und Kommunikation. Vieles davon lässt sich im digitalenRaum bewerkstelligen. Um einen wirklichen guten Workflow in einer hybriden Situation bestehend aus Homeoffice und Arbeit an der Hochschule sicherstellen zu können, brauchen wir noch weitere Digitalisierungsschritte in unseren Verwaltungsprozessen. Ich bin aber überzeugt: Begegnung wird auch hier für die Prozessqualität, für die kurzfristige Abstimmung von Büro zu Büro unersetzlich bleiben.

Interview: Matthias Echterhagen

Das Interview ist eine gekürzte Fassung eines Interviews mit Prof. Dr. Micha Teuscher aus dem Jahresbericht 2019/2020. 
 

x