030-Tiefziehen im Folgezug

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Transkript

Es ist Zeit für ein wenig Fertigungstechnik.

Und es ist wirklich höchste Zeit: Vor etwa einem Jahr in Episode 1 unseres Podcasts habe ich versprochen, etwas über das Tiefziehen im Folgezug zu erzählen. Falls Du die Episode über das Tiefziehen noch nicht gehört hast, würde ich empfehlen, hier zu pausieren und dies nachzuholen, da ich nicht alle Grundlagen ausführlich wiederholen möchte.

Nur so viel: Das Tiefziehen ist das Erstellen eines einseitig offenen Hohlkörpers aus einem ebenen Blechzuschnitt mittels Zug-Druck-Umformung. Wenn wir von einem zylindrischen Napf ausgehen, ist die Platine ein kreisförmiges Blech. Je tiefer der Napf sein soll, desto größer das Rohteil und umso größer das Tiefziehverhältnis. Dies war der Quotient aus Rondendurchmesser zu Stempeldurchmesser. Während des Prozesses haben wir drei Bereiche im Napf: Den Boden, die Zarge, die die Stempelkraft als Zugkraft zur Umformzone überträgt, und den Flansch, in dem „das Fließen“, also die Umformung passiert.

Wenn die Kraft, die zur Umformung des restlichen Flanschs notwendig ist, größer wird, als die Zarge übertragen kann, bekommen wir einen Bodenreißer. Das Tiefziehverhältnis des tiefsten, gerade noch herstellbaren Napfs nennt man Grenztiefziehverhältnis. Dies ist ein Materialkennwert und liegt bei Stahl etwa bei 2.

Für unseren Spargeltopf benötigen wir also eine Ronde, deren Tiefziehverhältnis größer ist, als das Grenztiefziehverhältnis zulässt. Die erste Idee, die ich dann meistens höre, ist, dass man ja einen anderen Werkstoff verwenden könne. Bei der Formel des Tiefziehverhältnisses würde dies einer Erhöhung des Grenzziehverhältnisses entsprechen. Der Werkstoff ist aber durch die Konstruktion vorgegeben, die ja auch gewisse Vorgaben zu Materialkennwerten wie der Festigkeit oder in diesem Fall Nahrungsmittelverträglichkeit hat.

Würde man den Rondendurchmesser verringern, hätten wir nicht mehr genug Material für den Topfrand und müssten etwas anschweißen oder -löten. Das wäre ein Unfähigkeitseingeständnis der Umformtechnik und geht mal gar nicht.

Dann bleibt in der Formel nur noch der Stempeldurchmesser. Um das Tiefziehverhältnis zu senken, müsste er erhöht werden.

Nein, ihr müsst jetzt nicht gleich aufspringen und mich anschreien, dass wir dann ja keinen schlanken tiefen (oder hohen?) Topf mehr bekommen. Das ist nur temporär. Gebt mir eine Minute.

Wir bauen also ein Werkzeug, mit dem wir aus der großen Platine einen breiten, flachen Topf herstellen. Das Grenztiefziehverhältnis wird nicht überschritten. Die umzuformende Flanschfläche ist kleiner, es wird also weniger Kraft benötigt und der Kreisringquerschnitt der Zarge ist auch größer und kann damit mehr Kraft übertragen. Gerade die äußeren Teile der Platine, die am Ende die größte Umformung erfahren haben werden und somit auch die größte Kraft erzeugen würden, sind dann schon einmal zum Teil umgeformt.

Die Methode, die einem zuerst einfällt, um den nächsten Zug durchzuführen, ist der sogenannte Weiterzug. Ich nehme den zu breit gebliebenen Topf und stelle ihn auf einen Ziehring mit dem kleineren Innendurchmesser. Dann benötige ich noch einen Stempel, der wieder passend zum Ziehringdurchmesser, der Blechdicke und dem Ziehspalt ist. Damit es keine Falten gibt, benötigen wir einen rohrförmigen Niederhalter, der aber diesmal so schlank sein muss, dass er zwischen die Topfwand und den Stempel passt. Um die Umformung noch zu erleichtern ist die Umformzone häufig konisch.

So könnte man Schritt für Schritt den Napf immer schlanker und höher werden lassen, bis der Spargeltopf fertig ist.

Bei dieser Methode benötige ich für jeden Schritt ein eigenes Werkzeugelement und einen eigenen Hub. Es gibt allerdings noch ein weiteres Vorgehen: Den Stülpzug auch Umstülpzug genannt.

Er funktioniert folgendermaßen:

Auf dem Tisch steht quasi ein dickwandiges Rohr als Ziehring. Der Innendurchmesser entspricht dem Napfdurchmesser nach dem Zug, auf den Außendurchmesser kann ich überkopf den Napf aus dem ersten Zug gerade so draufstecken. Von oben kommen ein gleichartiges Rohr als Niederhalter und darin der Stempel. Dieser fährt in das Ziehringrohr und zieht damit den Napf in das Rohr hinein und stülpt ihn dabei einmal um. Wer schon einmal einen Pullover aus der Waschmaschine geholt hat, weiß, wovon ich spreche. Für diejenigen, die sich das nicht so gut vorstellen können, verlinke ich ein Video auf der Homepage des Podcasts unter fertigungstechnisch.hamburg.

Beim Stülpzug kann ich unter Umständen das Werkzeug so geschickt bauen, dass ich Erst- und Folgezug in einem Pressenhub realisieren kann. Mit ihm kann ich auch Geometrien wie kleine Absätze am Napfboden herstellen, die mit Weiterzug nicht herstellbar wären.

Einen Wermutstropfen gibt es allerdings bei beiden Methoden. Durch die Kaltverfestigung ist das Tiefziehverhältnis eines Folgezuges nie so hoch wie das des Erstzugs. Lagen wir beim Ziehverhältnis bei Stahl im Erstzug noch um die 2 erreichen wir im Folgezug gerade mal noch 1,3 oder weniger bei weiteren Zügen.

Es gibt da noch einen kleinen, energieaufwändigen Trick: Das Zwischenglühen. Mit einer zwischengeschalteten Wärmebehandlung kann ich das Tiefziehverhältnis für einen weiteren Zug bei Stahl immerhin noch auf 1,7 wieder anheben.

Für genauere Werte verschiedener Werkstoffe konsultieren Sie bitte das Tabellenwerk Ihres Vertrauens.

Ach ja: Falls ich noch andere Episoden versprochen haben sollte und dafür eine Erinnerung brauche oder es anderweitige Themenwünsche gibt: Wir bitten um Nachricht an info (at) fertigungstechnisch (dot) hamburg

geschrieben von Benjamin Remmers
eingesprochen von Benjamin Remmers

Shownotes

Kurzes Video eines Stülpzugs (bei Youtube)