„Eine viel höhere Verantwortung“

Am 12. Januar findet eine zweite Online-Konferenz zum digitalen Wandel im Produktionsmanagement statt - organisiert von Prof. Dr. Randolf Isenberg und Prof. Dr. Henner Gärtner. Mit uns spricht Gärtner darüber, wie sich die Industrie 4.0 auch auf Forschungsprojekte der HAW auswirkt. Beispielsweise auf den „Blindenhund 4.0“, den er auf der Konferenz vorstellen wird. Beim Blindenhund handelt es sich um eine ungewöhnlich enge Mensch-Maschine-Kollaboration, die für die Entwickler viel Verantwortung bedeutet.

Studierende und Angestellte des Departments Maschinenbau und Produktion im Labor Fügetechnik

Studierende und Angestellte des Departments Maschinenbau und Produktion im Labor Fügetechnik

Prof. Gärtner, Sie konzipieren mit Ihrem Forscherteam einen „Blindenhund 4.0“. Er soll sehbehinderten Menschen den Alltag erleichtern. Was muss ich mir darunter vorstellen?
Wenn Sie Ingenieure ans Werk lassen, dann erhalten Sie sicherlich keinen Hund, sondern eine Maschine: Er hat nicht vier Beine, sondern vier Räder. Er verfügt nicht über ein Gehirn, sondern über einen Computer. Er spürt nicht mit der Nase auf wie der Hund, sondern beispielsweise mit Hilfe von Ultraschall-Signalen nach dem Vorbild der Fledermaus. Damit weicht er Spaziergängern und jedem Laternenpfahl aus. Unser Blindenhund hat allerdings keine Ähnlichkeit mit einem herkömmlichen Hund. Denn er wird, ähnlich wie ein weißer Stock, in der Hand gehalten. Am unteren Ende ist er mit Rädern versehen.

Schon der Name „Blindenhund 4.0“ gibt uns einen Hinweis auf die sogenannte „Industrie 4.0“ – die vernetzte, intelligente Produktion. Wo vernetzt sich der Hund?
Die verschiedenen Blindenhunde informieren sich beispielsweise gegenseitig darüber, wo der Regen gerade eine neue Pfütze hat entstehen lassen. Oder wo die Baustelle der letzten Woche nicht mehr existiert. Die Blindenhunde laden ihre Frauchen und Herrchen auch zur Rast auf der Parkbank ein. Denn blinde Menschen können Parkbänke, die sich nicht unmittelbar mit dem Blindenstock aufspüren lassen, nur schwer finden.

Wo bekommt der Blindenhund seine Informationen darüber her, wo sich die Bänke befinden?
Geografische Daten darüber, ob diese Parkbänke barrierefrei zu erreichen sind, stellt „Open Street Map“ heute bereits lizenzfrei zur Verfügung. Die Herausforderung besteht darin, geeignete Informationstechnologien sowie Sensorik und Aktorik ausfindig zu machen und in der Form neu zu kombinieren, dass der Prototyp den Erwartungen der Sehbehinderten gereicht wird. Dann sollte er bei der Navigation natürlich auch noch die Sicherheitsanforderungen erfüllen.

Warum befassen Sie sich aus dem Produktionsmanagement heraus gerade mit solch einem gesellschaftlichen Thema?
Nun, die Projektidee entstammt zweier meiner Prägungen im Unternehmen. Zum einen war ich es in meinem Berufsalltag im Unternehmen gewöhnt, mit Menschen unterschiedlicher Einschränkungen zusammen zu arbeiten. Diese persönlichen Erfahrungen des Andersdenkens sind sehr erfüllend. Ich wollte, dass unsere angehenden Ingenieure derartige Erfahrungen frühzeitig selbst sammeln und mögliche Berührungsängste abbauen können. Und genau das passierte bei einem unserer Projekttreffen, als zwei Menschen mit Seheinschränkungen den Studierenden ihre Gerührtheit sehr unvermittelt zum Ausdruck brachten. Sie konnten es gar nicht glauben, dass sich die Studierenden mit so viel Engagement für ihre Probleme einsetzten.

Und der zweite Grund?
Zum zweiten portieren wir mit diesem Projekt die Technologie der Fahrerlosen Transportfahrzeuge, die aus dem Produktionsalltag nicht mehr wegzudenken sind, auf eine andere Umgebung. Diese Transportsysteme transportieren Material ohne Fahrer von A nach B. Dabei navigieren sie sich selbst durch den Raum. Der Blindenhund 4.0 soll zwar nicht transportieren, denn der Blinde möchte seine eigenen Beine benutzen. Aber beim Navigieren hält sich der Blinde am Blindenhund 4.0 fest, so wie er sich einem Blindenführhund anvertraut.
Dabei ergeben sich neue Herausforderungen: Es entsteht eine viel engere Kollaboration zwischen Mensch und Blindenhund 4.0 als noch beim Fahrerlosen Transportsystem, wo wir uns vor allem gegenseitig ausweichen müssen. Und ergibt sich eine viele höhere Verantwortung, weil sich der Blinde auf die korrekte Navigation verlassen können muss.

Bei der Online-Konferenz ist Ihr Vortrag zum Blindenhund nur einer unter vielen. Um welche Themen wird es noch gehen?
Wir kommen nicht darum herum, uns mit der Künstlichen Intelligenz, speziell dem Machine Learning, auseinanderzusetzen. Daher haben wir am Institut für Produkt- und Produktionsmanagement einen KI-Club gegründet. Das ist nicht unsere Kerndisziplin, dafür gibt es bei uns im Department Spezialisten. Aber als Anwender kommen wir bei der variantenreichen Produktion, in der Instandhaltung oder in der Analyse von Körperbewegungen in der Ergonomie um das Machine Learning nicht mehr herum. Der Blick auf den Hype Cycle meiner Namensvetter, der Gartner Inc., zeigt, dass sich bei vielen Anwendungen künstlicher Intelligenz das breite Einsatzgebiet erst noch herausstellen muss. Bei diesem Findungsprozess dabei zu sein, das möchten wir den Konferenzteilnehmern ermöglichen. Daher haben wir Herrn Alois Krtil, CEO von ARIC, eingeladen, die Konferenz im Zeichen der Künstlichen Intelligenz zu eröffnen mit dem Titel „AI made in Hamburg - das Artificial Intelligence Center Hamburg“.

(Die Fragen stellte Tiziana Hiller)

Die Online Konferenz „Digitaler Wandel im Produktionsmanagement“ findet am 12.  Januar ab 16 Uhr statt. Studierende, Professor*innen, Unternehmen und Interessierte sind herzlich eingeladen, daran teilzunehmen. Sie ist kostenfrei. Hier finden Sie alle Infos zum Programm und zur Anmeldung.

Kontakt

Prof. Dr. Randolf Isenberg
Department Maschinenbau und Produktion
T +49 40 428 75-8615
randolf.isenberg (@) haw-hamburg.de

Prof. Dr.-Ing. Henner Gärtner
Department Maschinenbau und Produktion
T +49 (0)176-75522211
henner.gaertner (@) haw-hamburg.de

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