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Was Betriebe für ihre Gäste tun können: ein Stups in die richtige Richtung

Kantinen und Mensen können ihre Gäste dabei unterstützen, „gesündere“ Speisen zu wählen. Das dient nicht nur dem persönlichen Wohlbefinden, sondern auch Gesellschaft und Umwelt. Eine Pilotstudie an der HAW Hamburg, Fakultät Life Sciences zeigt, wie schon kleine Veränderungen in der Gemeinschaftsgastronomie eine große Wirkung entfalten können.

Apfel

Apfel schön zubereitet: wie hier mit dem HAW-Logo

Viele Menschen nehmen sich immer wieder vor, mehr für ihre Gesundheit zu tun. Zum Beispiel weniger Fleisch und mehr Gemüse zu essen. Doch wenn sie dann mittags in die Kantine gehen und ihr Blick gleich am ersten Stand auf das knusprige Hähnchen fällt, verfliegen alle guten Vorsätze im Nu. Das muss nicht sein, im Gegenteil. Abhilfe schafft hier eine Strategie namens „Nudging“ – das englische Wort für „Anstupsen“. Dieser Begriff wurde einer größeren Öffentlichkeit im Jahr 2017 bekannt, als Richard Thaler den Nobelpreis für Wirtschaft erhielt. Der US-Verhaltensökonom hatte mit seiner Forschung gezeigt, dass Menschen oft nicht rational handeln oder zumindest nicht ausschließlich. Sogar bei wirtschaftlichen Entscheidungen spielen psychologische Faktoren eine wichtige Rolle, selbst wider besseres Wissen. Darum hat er zusammen mit Cass Sunstein das Buch „Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt“ geschrieben. Dieser Ansatz wird neuerdings auch im Bereich der Ernährungs- und Gesundheitswissenschaften genutzt.

Mehrheit der Menschen isst zu viel, zu süß, zu fett und zu salzig

Millionen Menschen essen unter der Woche in einer Betriebskantine, Schul- oder Hochschul-Mensa sowie Kindertagesstätte. In Deutschland gibt es etwa 13.800 Kantinen mit mehr als 13 Millionen Gästen pro Jahr und fast 55.000 Kitas, in denen rund 3,5 Millionen Kinder speisen. Die Mensen und Caféterien allein an den Hochschulen verzeichnen etwa 2,8 Millionen Gäste. Und im Altersheim oder Krankenhaus sind Bewohner bzw. Patienten täglich auf Gemeinschaftsgastronomie angewiesen. Unabhängig von dieser Art der Verpflegung gilt: Die Mehrheit der Menschen hierzulande isst zu viel, zu süß, zu fett und auch zu salzig. Die Folgen sind nicht zu übersehen. Laut Daten der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS) sind 67,1 Prozent der Männer und 53 Prozent der Frauen übergewichtig. Weitere mögliche Folgen sind ernährungsbedingte Krankheiten wie Bluthochdruck, Diabetes Mellitus Typ 2 oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Das führt zu Kosten im Gesundheitssystem, die eigentlich vermeidbar wären. Krankenkassen, Behörden und andere Einrichtungen versuchen deshalb seit Jahren, einen Bewusstseinswandel mit Hilfe von Aufklärungskampagnen, Info-Broschüren etc. herbeizuführen. Allerdings nur mit mäßigem Erfolg. Vielleicht, weil so etwas grundsätzlich nicht leicht ist. Schließlich hat man mit dem berühmt-berüchtigten „inneren Schweinehund“ einen mächtigen Gegenspieler, der bewusste Verhaltensänderungen gerne sabotiert.

To nudge: Anstupser für gesünderes Essen

Nudging hingegen verändert die Umgebung – Ökonomen wie Thaler und Sunstein nennen das „die Entscheidungsarchitektur verändern“ – und „stupst“ Menschen zu einem für sie selbst besseren Verhalten an, was dann eher unbewusst abläuft. Für den Bereich der Ernährung bedeutet Nudging, die gesündere Entscheidung zur einfacheren Entscheidung zu machen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hatte dies bereits 1986 in der Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung empfohlen: „Make the healthier choice the easier choice“. Die Professorinnen Ulrike Pfannes und Sibylle Adam vom Department Ökotrophologie der Fakultät Life Sciences an der HAW Hamburg griffen diese Idee für die Gemeinschaftsgastronomie auf und untersuchten im Rahmen eines von ihrer Fakultät geförderten Projektes, ob und wie sich Nudging-Maßnahmen relativ einfach und effektiv umsetzen lassen. „Einfach“ heißt in diesem Fall auch: mit geringem oder ohne Extra-Kostenaufwand für die Betriebe, was ein nicht zu vernachlässigender Faktor ist.

„Mit Hilfe von Nudging-Konzepten könnten die Gäste intuitiv auf gesündere Wege gelockt werden, indem man sie unterstützt, Speisen und Getränken zu wählen, die ihre Gesundheit fördern“, erklärt Ulrike Pfannes. Als Projektpartner gewannen die Ökotrophologinnen das Studierendenwerk Hamburg mit sieben Mensen sowie eine Kantine von LZ Catering, der die Mitarbeiter bei der Lufthansa Group verpflegt. Beide Unternehmen hatten bereits ein gesundheitsförderndes Angebot an Speisen und Getränken, was Voraussetzung für die Wahl der Projektpartner war. In Zusammenarbeit mit ihnen führten die Professorinnen und ihre Studierenden zunächst eine Ist-Analyse durch, leiteten daraus geeignete Maßnahmen fürs Nudging ab und setzten diese am jeweiligen Standort um. Dazu gehören beispielsweise:

  • „gesunde“ Speisen stehen oben auf dem Speiseplan
  • „gesunde“ Speisen befinden sich an der ersten Ausgabetheke
  • bei Tellergerichten werden „ungesunde“ Beilagen, wie Pommes Frites, durch „gesunde“ Beilagen, wie Gemüse, ersetzt
  • Salate werden in der Kantine am Eingang angeboten
  • „gesunde“ Getränke, z. B. frische Säfte und Mineralwasser, werden auf Augenhöhe platziert
  • „gesunde“ Gerichte sollen ansprechend benannt werden
  • Obst bzw. verschiedene Früchte werden dekorativ in Körben auf Augenhöhe dargeboten.

Gäste haben weiterhin die Wahl, es gibt keine Verbote

„Wichtig beim Nudging ist, dass die Gäste weiterhin die Wahl haben“, betont Sibylle Adam. „Das heißt, weder Pommes noch Fleisch werden vom Speiseplan verbannt.“ Sie werden in Kantinen nur an zweiter oder dritter Stelle ausgegeben, und nicht mehr, wie oft, an erster. An diese Position kommen nun Salat und Gemüse. Auch beim Dessert liegt der Fokus auf Nachtischen wie Obstsalat oder Joghurt, die als gesundheitsförderlich gelten. Süßspeisen wie Pudding und Kuchen bleiben aber ebenso im Angebot wie Limonaden; sie rücken in den entsprechenden Auslagen nur jeweils eine Etage tiefer.

Damit halten die Forscherinnen der HAW Hamburg die Nudging-Prinzipien von Thaler & Sunstein ein. Zu diesen gehören außer der Wahlfreiheit auch, dass solche Maßnahmen einfach zu umgehen sein müssen, damit niemand zum Verzicht auf Pommes und Fleisch genötigt wird. Drittes Prinzip ist, dass die Maßnahmen sowohl von individuellem als auch gesellschaftlichem Nutzen sind; im Bereich der Ernährung sind das die persönliche Gesundheit, die Entlastung des Gesundheitswesens und ein Beitrag zur Nachhaltigkeit wie zum Umwelt- und Klimaschutz.

Statt der Süßigkeiten im Supermarkt an der Kasse steht beispielsweise nun Ost und Gemüse

Das unterscheidet Nudging von der Gestaltung der Entscheidungsarchitektur im ökonomischen Kontext, wie sie heute vielfach üblich ist. Deshalb befinden sich Süßigkeiten im Supermarkt meist an der Kasse. Oder man muss im Internet erst der Verwendung von Cookies zustimmen, damit die Webseite überhaupt funktioniert. Dabei geht es jedoch alleine um kommerzielle Interessen der Unternehmen, die auf diese Weise Umsatz oder Daten generieren wollen. „Beim Nudging hingegen steht der individuelle und zugleich gesellschaftliche Nutzen im Vordergrund, etwa die Gesundheit und die Vermeidung von CO2-Emissionen“, erklärt Ulrike Pfannes. Und Sibylle Adam ergänzt: „Das unterscheidet das Nudging-Konzept von Sunstein & Thaler von den verkaufsfördernden Maßnahmen des Profit-Marketings.“

Mit den Ergebnissen der Pilotstudie sind die beiden Professorinnen sehr zufrieden. Die Auswertungen haben ergeben, dass mit einfachen Maßnahmen, wie einer veränderten Platzierung der gesundheitsförderlichen Speisen und Getränke, der gewünschte Effekt eintritt und diese sich mehr verkaufen lassen. Auch sei es sinnvoll, vegetarische Gerichte besonders zu bewerben und Salat als feste Beilage bei Tellergerichten anzubieten. Insgesamt zeige sich das große Potenzial von Nudging.

Studie zu Nudging in Kaninen zeigt positive Ergebnisse

Positiv äußert sich auch der Kooperationspartner Michael Gradtke, der im Studierendenwerk Hamburg die Abteilung Hochschulgastronomie leitet: „Für uns besteht ein großes Interesse, Konzepte und Instrumente zu erhalten, um die Gemeinschaftsverpflegung in den Mensen zukunftsorientiert weiter entwickeln zu können.“ Weitere Projekte, wiederum in Kooperation mit Partnern aus der Gemeinschaftsgastronomie, sind für die kommenden Semester geplant. Dafür interessiert sich auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE): Sie sei davon „überzeugt, dass Nudging in der Gemeinschaftsverpflegung ein wichtiges Forschungsfeld darstellt, zu dem bisher im deutschsprachigen Raum noch zu wenige Forschungsergebnisse sowie praxisverwertbare Erkenntnisse vorliegen.“ Ziel eines Forschungsprojektes an der HAW Hamburg ist zudem, einen Leitfaden für Betriebe mit Gemeinschaftsverpflegung zu entwickeln, um Nudging-Maßnahmen zielgerichtet einzuführen. Die Aktivitäten sollen auch international verknüpft werden, zum Beispeil mit einer Nudging-Unit in Italien. (Autorin: Wissenschaftsjournalistin Monika Rößiger)

Kontakt

Fakultät Life Sciences
Department Ökotrophologie
Prof. Dr. Sibylle Adam
Professorin für Ernährungswissenschaften
T +49.40.428 75-6117
sibylle.adam@haw-hamburg.de

Prof. Dr. Ulrike Pfannes
Professorin für Verpflegungs- und Versorgungsmanagement
T +49.40.428 75-6111
ulrike.pfannes@haw-hamburg.de

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