| Forschung
Selbstfahrendes Konzeptauto

Innen Luxus, außen kompakt und umweltfreundlich

Automatisiertes Fahren gilt als wichtige Technologie zukünftiger Mobilität. Mehr Sicherheit und Komfort versprechen die Entwickler, weil menschliches Fehlverhalten nach Studien für die meisten Unfälle im Straßenverkehr verantwortlich ist.

Modell Concept Car vor dem Rathausmarkt

Das von Studierenden der HAW Hamburg entworfene Concept Car kann den größten Teil seiner Fahrt selbständig navigieren.

Die neue Mobilität wird nicht nur unseren Alltag verändern, sondern auch ein bedeutender ökonomischer Faktor sein. Schon jetzt investieren Unternehmen weltweit Milliarden-Summen in die Entwicklung von Robo-Autos und entsprechende Technologien, die das vernetzte Fahren überhaupt erst möglich machen. Zudem fließen erhebliche staatliche Mittel in die Forschung, an der sich Hochschulen mit einer Vielzahl von Projekten beteiligen. Wie der Individualverkehr von morgen aussehen kann, damit haben sich bisher über 260 Studierende des Departments Fahrzeugtechnik und Flugzeugbau an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg beschäftigt. Im Rahmen eines innovativen Forschungs- und Lehrprojektes entwickeln sie ein Konzept für den PKW der Zukunft.

„Wir befassen uns in diesem Projekt unter anderem mit den Bedürfnissen der Fahrer und Mitfahrer in einem automatisierten Fahrzeug und der entsprechenden Kabinengestaltung“, erklärt Jan Friedhoff, Professor für Design-Engineering und Strak, der zusammen mit Dirk Adamski, Professor für Simulation und Versuch im Fahrwerk, das Projekt Hamburg Concept Car 2021 (HCC21) leitet. Bei dem Konzeptauto handelt es sich um ein batterie-elektrisch angetriebenes Fahrzeug mit einer prognostizierten Reichweite von über 500 Kilometern. Es gehört zur Kategorie „Level 4“ (vollautomatisiert), was als Vorstufe zum vollständig fahrerlosen Fahren (Level 5) gilt. So kann der PKW den größten Teil seiner Fahrt selbständig navigieren.

Wo die Technik dem Fahrer so viel abnimmt, bleibt jede Menge Zeit für anderes. Er wird zum Beifahrer und kann wählen zwischen Arbeiten, Unterhaltung oder Entspannung. Das Laptop findet Platz auf der Konsole oder einem Klapptisch am Sitz. Auf Knopfdruck öffnen sich Bildschirme, so dass die Passagiere bequem zurückgelehnt einen Film gucken können oder Spiele spielen. Je nach Bedarf wird das Fahrzeug zum rollenden Büro, Kino oder Ruheraum. Sogar ein Nickerchen ist erlaubt, dafür lassen sich die Sitze in Liegeposition bringen. Im Notfall wecken Warntöne den Fahrer, damit er das Steuer wieder übernimmt – und wenn er den Alarm überhören sollte, bringt sich das Fahrzeug automatisch zum Stehen.

Wir befassen uns in diesem Projekt unter anderem mit den Bedürfnissen der Fahrer und Mitfahrer in einem automatisierten Fahrzeug und der entsprechenden Kabinengestaltung

Jan Friedhoff, Professor für Design-Engineering und Strak

Mit ihrer Designstudie verfolgen die Studierenden der HAW Hamburg das ambitionierte Ziel, ein Fahrzeug zu entwerfen, dass innen die Geräumigkeit und den Komfort eines Luxusautos bietet, dessen Außenabmessungen aber trotzdem nur denen eines Mittelklasse-Kompaktwagens entsprechen. Letzteres soll am Ende auch für den Kaufpreis gelten. „Der Elektroantrieb macht es möglich, durch eine geschickte Konstruktion mehr Platz im Innenraum zur Verfügung zu stellen“, so Dirk Adamski. Trotzdem ist das Konzept nicht nur auf den Privat-PKW zugeschnitten. Im Gegenteil, es eignet sich insbesondere als Dienstwagen, in dem die Fahrzeit zum Arbeiten genutzt werden kann und lässt sich auch gut für Sharing-Angebote einsetzen.

Wie viel Tüftel- und Detail-Arbeit in so einem Konzept steckt, kann sich ein Laie wohl kaum vorstellen. Erschwerend kommt nun Corona hinzu, wodurch die Kommunikation untereinander notgedrungen virtuell ist. Außerdem verzögert sich die Unterstützung seitens der Auto-Industrie durch Sachspenden aufgrund eigener Schwierigkeiten erstmal. „Wie kommen wir denn jetzt an ein Sitz-Modell?“, ist da nur eine von vielen Fragen bei der ersten Teamsitzung zu Beginn des Sommersemesters, die als Telefonkonferenz stattfindet. Seit der Pandemie stockt die Mail-Kommunikation zu einem Hersteller. Das Team sucht nach Alternativen. Ein anderer Sitz von einem anderen Hersteller? Könnte man den an die Bedürfnisse des Konzeptautos anpassen? Der Student, der sich mit der „Sitzkinematik“ beschäftigt, berichtet, dass die Sitz-Umbau-Firma seit Corona auch nicht mehr zu erreichen sei. Einerseits verständlich. Andererseits, sagt Dirk Adamski, „ist das Sitzkonzept ein wesentlicher Bestandteil unseres Show-Cars.“ Man einigt sich, es bei anderen Firmen zu versuchen. Wenn man einen Sitz „analog nach Hamburg bringt“, schlägt Jan Friedhoff vor, „können wir ihn hier einscannen, nachbauen und dann umbauen.“ Beim HCC21-Projekt lernen die Studierenden, sich mit ihrer Idee innerhalb einer vielfältigen Projektwelt bis zur modellbautechnischen Umsetzbarkeit auseinanderzusetzen.

Der Elektroantrieb macht es möglich, durch eine geschickte Konstruktion mehr Platz im Innenraum zur Verfügung zu stellen

Dirk Adamski, Professor für Simulation und Versuch im Fahrwerk

In der nächsten virtuellen Teamsitzung eine Woche später geht es mit dem Sitz weiter. Je nach Funktion lässt dieser sich stufenlos verstellen: Vom Arbeitsstuhl über Kinosessel bis zur Liegeposition. Der für den „Low Gravity-Sitz“ zuständige Student, Philipp Glüsing, referiert über „Seating Reference Point“ und „Motion Sickness“, also, dass manchen Leuten beim Fahren schlecht wird. Eine kniffelige Frage ist auch der Größenunterschied der Passagiere. So soll der Sitz gleichermaßen für einen 1,95 Meter großen Mann komfortabel sein wie für eine 1,65 Meter-Frau. Für letztere wäre dann „eine Bein-Ablage schön“, resümiert Glüsing. „Da gibt es aber noch ein kleines Problem mit dem Knie-Airbag.“ Der Sitz orientiert sich an dem eines Vans. Glüsing war extra in einem Autohaus, um die Sitzneigung eines bestimmten Modells auszumessen. „19 Grad“, sagt er. „Für unser Show-Car müssen wir aber auf 20 Grad kommen.“ Das sehen seine Professoren nicht so eng – „um ein Grad brauchen wir hier nicht zu feilschen.“ Weitere Themen sind das Lenkrad und der Klapptisch am Beifahrersitz. 

„Bei einzelnen Themen weichen wir gezielt von üblichen Lösungen ab, um zu Diskussionen sowie Forschungs- und Entwicklungsimpulsen anzuregen“, sagt Dirk Adamski. Zum Beispiel bei den Sitzpositionen und dem dazugehörigen Bedienkonzept, aber auch, was die passive Sicherheit in der Relax-Position angeht. „Für den Schutz der Passagiere ist da ein weitestgehend neues Airbagkonzept notwendig.“

Bis zum Jahr 2021 gibt es noch jede Menge Details zu bearbeiten. Das kommende Jahr ist für die Studierenden und ihre Professoren aus zweierlei Gründen wichtig: Zum einen feiert die traditionsreiche Wagenbauschule Hamburg dann ihr 125-jähriges Jubiläum; zum anderen richtet die Hansestadt den prestigeträchtigen ITS-Weltkongress (Intelligent Transport Systems) aus, zu dessen Schwerpunkten das automatisierte und vernetzte Fahren gehören. Dort wollen die Teilnehmer dieses Projektes ein „erlebbares“ Modell-Auto präsentieren. Ob das Design beim Fachpublikum ebenso gut ankommt, wie bei einem achtjährigen Jungen, der das Auto bei einer öffentlichen Präsentation auf dem Hamburger Rathausmarkt „voll chillig“ fand, wird sich zeigen.

HIER GEHT ES ZUMVIDEO CONCEPT CAR 2021

(Text: Monika Rößiger)

Kontakt

Fakultät Technik und Informatik
Department Fahrzeugtechnik und Flugzeugbau
Prof. Dr.-Ing. Dirk Adamski
Professor für Simulation und Versuch im Fahrwerk
Leiter des Projekts Hamburg Concept Car 2021 (HCC21)
T +49.40.428 75-7822
dirk.adamski( (at) )haw-hamburg (dot) de

Prof. Dipl.-Ing. Jan Friedhoff
Professor für Design-Engineering und Strak
Leiter des Projekts Hamburg Concept Car 2021 (HCC21)
T +49.40.428 75-7903
jan.friedhoff( (at) )haw-hamburg (dot) de

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