Navigieren in unbekannten Gewässern

Im Jahr 2019 fasste Andreas Baumgart, Professor für technische Mechanik am Department Maschinenbau und Produktion, den Entschluss, für sich und seine Familie ein Auslandsjahr zu organisieren. Geschehen sollte dies über das Netzwerk des International Offices der HAW Hamburg, durch das eine geeignete Partnerinstitution gefunden werden sollte, an der Prof. Baumgart seine Lehrtätigkeiten fortsetzen konnte. Aus der zunächst losen Idee wurde schnell ein konkreter Plan, der trotz Widrigkeiten wie z.B. der Corona-Pandemie, Sprachbarrieren und bürokratischen Hürden erfolgreich in die Tat umgesetzt werden konnte.

Wie fing alles an?

Die HAW Hamburg strebt das stetige Vorantreiben der Internationalisierung an. Durch die schrittweise Umsetzung einer Internationalisierungsstrategie soll die Anzahl von Studierenden gesteigert werden, die ein Auslandssemester absolvieren und auch Lehrende und Mitarbeitende der HAW Hamburg sollen vermehrt zu Lehr- und Weiterbildungszwecken entsendet werden. Ziel ist es dabei, die gewonnen Erfahrungen – seien sie fachlich oder interkulturell – mit zurück nach Hamburg zu bringen und in die tägliche Arbeit an der Hochschule zu integrieren. Um dieses Vorhaben finanziell zu unterstützen, verwaltet das International Office der HAW Hamburg mehrere Stipendien- und Förderprogramme, die Studierenden und Lehrenden zu Gute kommen sollen.

Nachdem Prof. Andreas Baumgart die Idee gefasst hatte, wendete er sich an Martina Schulze, die Leiterin des International Offices, um die konkrete Planung des Vorhabens anzugehen. Schnell stellte sich heraus, dass ein 1-jähriger Lehraufenthalt an einer ausländischen Hochschule mit vielen Hürden verbunden ist. Kurzzeitaufenthalte sind im Vergleich wesentlich leichter zu organisieren und zu finanzieren, da beispielsweise das ERASMUS+ Programm für Lehrende als rechtliche Grundlage für die Lehre im Ausland, als auch für die finanzielle Unterstützung genutzt werden kann. Es stellte sich daher die Frage, wie ein 1-jähriger Aufenthalt finanziert werden kann und wie der Lehrauftrag von Prof. Baumgart an der HAW Hamburg in seiner Abwesenheit weitergeführt werden sollte.

Besondere Probleme erfordern besondere Maßnahmen.

So kam die Idee auf, nach einem Lehrendenaustausch zu suchen. Das bedeutet, dass für die Zeit des Aufenthaltes an einer Partnerhochschule ein Lehrender mit ähnlichen Qualifikationen an die HAW Hamburg kommen sollte. Über das Netzwerk des International Offices wurden nun Partnerhochschulen gezielt angeschrieben und über die Idee in Kenntnis gesetzt.

Überraschenderweise dauerte es nicht lange, bis eine Rückmeldung kam und zwar aus Turku, Finnland. Prof. Dr. Patric Granholm, Dozent an der Fakultät Engineering and Business der Turku University of Applied Sciences[1] hatte ebenfalls den Entschluss gefasst, im Ausland zu unterrichten und freute sich über die sich nun bietende Möglichkeit. Schnell wurde der Kontakt hergestellt und man vereinbarte zunächst Kurzaufenthalte mittels des ERASMUS+ Programms für Lehraufenthalte, um die weitere Planung und Durchführung des Vorhabens zu besprechen und natürlich, um einen ersten Eindruck des Landes und der Partnerinstitution zu bekommen.

Die Euphorie durch das Finden eines Austauschpartners wurde schnell von vielen Problemstellungen getrübt: Wie sollte die Bezahlung der Lehrenden geregelt werden, bzw. welche rechtlichen Rahmenbedingungen müssen für die Fortführung der weiter bestehenden Arbeitsverträge an den Heimathochschulen der Teilnehmer eingehalten werden? Welche Bestimmungen gelten für Kranken-, Haftpflicht- und Unfallschutzversicherungen am Arbeitsplatz? Wie soll der Workload der Professoren an den Hochschulen verteilt werden? Wie soll mit geistigen Eigentumsrechten in Bezug auf die Lehre umgegangen werden?

Schnell wurde klar, dass zur Klärung all dieser und weiterer Themen ein neuer Kooperationsvertrag erarbeitet werden musste. Dies geschah mit viel „gutem Willen“ beider Institutionen, mit der Hilfe der International Offices, der Personal- und Rechtsabteilungen und durch die tatkräftige Unterstützung der Präsidenten der beiden Hochschulen Vesa Taatila (UAS Turku) und Micha Teuscher (HAW Hamburg), die sich beide vehement für die Umsetzung dieses Projekts eingesetzt haben. Insgesamt beanspruchte das Projekt eine Planungsdauer von 2 Jahren.

Der Austausch - persönliche Erfahrungen

Sowohl Andreas Baumgart, als auch Patric Granholm können über viele neue Erfahrungen berichten. Leider ist an dieser Stelle zu bemerken, dass durch die Corona Pandemie keine Präsenzlehre an der HAW Hamburg für Patric Granholm ermöglicht werden konnte. So fanden seine Vorlesungen ausschließlich online statt. Auch das soziale und kulturelle Leben war in beiden Städten – Turku und Hamburg – stark durch das Pandemiegeschehen eingeschränkt.

„Als der Gegenpart von Andreas Baumgart im Lehrendenaustausch hatte ich die Möglichkeit einen der drei Kurse zum Thema Applied Computer Science in englischer Sprache zu unterrichten, für die insgesamt 180 Studierende registriert waren. […] Die digitale Lehrerfahrung unterschied sich nicht sonderlich von den früheren Online-Kursen, die ich für meine finnischen Studierenden abhielt. Die Problematik, Studierende zu involvieren und das Fehlen von direktem Feedback waren die gleichen. Zudem war die Konzeption des Kurses sowie die Lehrmaterialien auf Präsenzlehre ausgelegt. […] All dieser Schwierigkeiten zum Trotz, hat die kleine Anzahl der aktiven und respektvollen Teilnehmenden den Kurs zu einer alles in allem positiven Erfahrung gemacht.“[2] - Patric Granholm

Andreas Baumgart konnte glücklicherweise zum Teil in Präsenz unterrichten und seine Erfahrungen schildern. Andreas Baumgart begeisterte vor allem die offene Gestaltung des Campusgebäudes „EduCity“ an der UAS Turku:

„EduCity fördert Interaktionen und Gruppenarbeit. Es ist etwas ganz anderes, als die engen Gänge an der HAW Hamburg, auf der die Professoren Ihre Büros haben.“[3] - Andreas Baumgart

Neben der offenen Konzeption des Campus, begeisterte Andreas Baumgart auch die projektbasierte Lern- und Lehrweise an der UAS Turku. Als Beispiel sei ein Kurs genannt, in dem mittels 3D-Drucker eine Wasserpumpe hergestellt wurde – „eine hervorragende Kombination aus theoretischem Wissen und praktischer Anwendung“[4], findet Andreas Baumgart. Dies sei ein Ansatz, den man auch in Deutschland nutzen solle. Auf der anderen Seite empfand es Andreas Baumgart teilweise als schwierig, eine interaktive und offene Unterrichtsbeteiligung zu erzeugen. Als mögliche Gründe nennt er Sprachbarrieren und die zunehmende Digitalisierung des Unterrichts, die es erleichtert, in der Anonymität zu verschwinden.

“Die Seminare, die ich in Turku unterrichtet habe, richteten sich meist an Studierende auf Bachelor-Niveau im Bereich der Ingenieurswissenschaften. Zum Glück hatte ich Kolleg*innen, die den Studierenden auf finnisch zusätzliche Hilfe in kritischen Phasen der Seminare anboten. Ich muss zugeben, dass ich recht überrascht war, dass sich die Nutzung der englischen Sprache in den Vorlesungen als ein Hindernis herausgestellt hat und dies in einem Land wie Finnland, in dem die meisten Menschen, denen man begegnet fließend Englisch auf konversationsniveau sprechen.“[5 - Andreas Baumgart

Dennoch waren die Lehrerfahrungen und die damit einhergehenden interkulturellen Erfahrungen durchweg positiv. Auch die persönlichen Erfahrungen der Familie von Andreas Baumgart waren eine positive Überraschung. Insbesondere der Umgang der finnischen Lehrer mit den beiden Töchtern von Andreas Baumgart:

„In Finnland, so hat man den Eindruck, sind die Lehrer emotional viel näher an den Schülern als es in Deutschland der Fall ist. Sie unterrichten ihre Schüler, indem sie Unterstützung und „Coaching” bieten, anstatt lediglich eine Vorlesung zu halten.“[6] - Andreas Baumgart

In seiner restlichen Zeit in Finnland, hat Andreas Baumgart vor, die Natur zu erkunden und den Berg Koli zu besteigen bevor es zurück in die norddeutsche Heimat Hamburg geht.
Neben unschätzbar wertvollen interkulturellen Erfahrungen und einer neuen, starken Partnerschaft der zwei Hochschulen UAS Turku und HAW Hamburg, bringen beide Dozenten und alle an der Organisation dieses Projekts Beteiligten eine „Blaupause“ für zukünftige Kooperationen dieser Art mit, von denen hoffentlich noch viele weitere folgen werden.

 


[1] Turku ist die sechstgrößte Stadt Finnlands mit ca. 180.000 Einwohnern; die UAS Turku wurde 1992 gegründet und verfügt über die Fakultäten Engineering and Business, Health and Well-being und die Arts Academy. Es studieren über 9.000 Menschen an der UAS Turku.

[2] Quelle: Granholm, P.; et al. [2021]: „Navigating Uncharted Waters: A One-Year German-Finnish Faculty Exchange.”

[3]Quelle:  (Abgerufen am 02.07.2021)

[4] Quelle: s.o.

[5] Quelle: s.o.

[6] Quelle: s.o.

Kontakt

Martina Schulze
Leitung International Office
HAW Hamburg

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