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Interdisziplinäres Lehren und Studieren

Pflege trifft Philosophie und Design

Auf den ersten Blick mögen die Bereiche Pflege und Design nicht viele Schnittmengen haben. Doch ungewöhnliche Kooperationen können neue Perspektiven ermöglichen. Im Fachprojekt „`Dasein und Nicht(s)tun´ als Teil professionellen Pflegehandelns in der Palliativen Pflege“ unter Leitung von Katharina Straß hatten die Studierenden die Aufgabe, sich dem „Dasein und Nicht(s)tun“ im Handlungsfeld der Palliativen Pflege aus verschiedenen Perspektiven anzunähern und daraus Reflexionsfragen für Pflegende zu erstellen.

Grafik mit zwei Händen, die sich fast berühren.

Im Fachprojekt "Dasein und Nicht(s)tun" ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit entstanden - eines der Ergebnisse ist eine Online-Ausstellung zum Thema "Nichtstun".

Eine Möglichkeit war, mit Prof. Dr. Alice Lagaay vom Department Design und ihren Studierenden sich dem Thema philosophisch und gestalterisch zu nähern. Wir haben mit den beiden Lehrenden und zwei teilnehmenden Studierenden, Franziska Nakamura und Vanessa Reed, über das interdisziplinäre Projekt gesprochen.

Wie ist es zu der Kooperation zwischen Pflege, Philosophie und Design gekommen?
Katharina Straß: Unsere Zusammenarbeit kam durch einen glücklichen Zufall zustande: Ich habe im hausinternen Pressespiegel der HAW Hamburg einen Beitrag von Prof. Dr. Alice Lagaay im Deutschlandfunk gehört, in dem sie über die Philosophie der Pause sprach. Das passte perfekt für das Fachprojekt. Also habe ich Alice Lagaay kontaktiert und gefragt, ob sie Interesse an einem Austausch hätte und ihr die Idee mit dem Fachprojekt und der Einbindung eines philosophischen Impulses vorgestellt.

Alice Lagaay: Ja, aus einem spontanen Austausch ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit geworden. Es brauchte und gab von allen Beteiligten die Bereitschaft, das Wagnis einzugehen und aus der eigenen Komfortzone herauszutreten. Schließlich bewegen wir uns mit diesem Projekt in einem Bereich, der strukturell nicht an unserer Hochschule verankert ist. Ich bin sehr froh über den glücklichen Zufall, denn ich bewege mich viel im Bereich der Theorie, so dass der praktische Kontext manchmal fehlt. Der Austausch mit den Studierenden aus dem Bereich Pflege hat mir einen Perspektivwechsel ermöglicht und ich konnte konkret erfahren, welche Konsequenzen die philosophische Theorie der Passivität in der Praxis haben kann.

Es brauchte und gab von allen Beteiligten die Bereitschaft, das Wagnis einzugehen und aus der eigenen Komfortzone herauszutreten. Schließlich bewegen wir uns mit diesem Projekt in einem Bereich, der strukturell nicht an unserer Hochschule verankert ist.

Prof. Dr. Alice Lagaay vom Department Design

Franziska Nakamura, Sie haben als Studierende in der Pflege die Online-Ausstellung „Nicht(s)tun“ zusammen mit der gesamten Fachprojektgruppe sowie Ihren Kommilitoninnen Vanessa Reed und Sandy Richter aus dem Bereich Design konzipiert. Wie haben Sie sich als Kooperationspartner*innen gefunden?
Franziska Nakamura: Für uns gab es nur wenige Vorgaben und wir konnten oder mussten im Fachprojekt selbst einen Fokus finden. Wir haben uns dann für das „Nichtstun“ entschieden und sehr viel Input von Frau Lagaay eingeholt. Von Anfang an hatten wir in unserer Gruppe die Idee einer Ausstellung und sehr genaue Bilder im Kopf. Dafür haben wir im ersten Schritt Pflegefachpersonen interviewt und haben für die konkrete Gestaltung der Ausstellung von Frau Lagaay Kontakte zu Kommiliton*innen im Bereich Design vermittelt bekommen.

Vanessa Reed: Für mich war es ähnlich. Es gab wenig Vorgaben, was ich jedoch als gut empfunden habe, um in verschiedenen Richtungen mit der kreativen Gestaltung zu gehen. Meine Design-Kollegin Sandy Richter und ich haben untereinander kommuniziert und dann alles an Franziska und ihre Kommiliton*innen aus der Gruppe geleitet.

Es gab wenig Vorgaben, was ich jedoch als gut empfunden habe, um in verschiedenen Richtungen mit der kreativen Gestaltung zu gehen.

Vanessa Reed, Studierende im Bereich Design

Wie war der Start der Zusammenarbeit für Sie?
Alice Lagaay: Wir sind mitten in der Pandemie gestartet. Das hat die Arbeit einerseits erschwert, andererseits wurde vieles erst durch Digitalisierung ermöglicht. So ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Pflege, Philosophie und Design wahrscheinlich erst möglich geworden.

Katharina Straß: Wir hatten beispielsweise bei unserer Fish-Bowl im digitalen Raum viele verschiedene Personen in der Diskussion. Die mit ihren unterschiedlichen Blickwinkeln auf das Thema Nichtstun spannende Perspektiven eingebracht haben. Und Pflegende und Designer*innen hätten wir in einem anderen Kontext eventuell gar nicht an einen Tisch bekommen.

Franziska Nakamura: Wir waren alle überrascht, in welche Richtung das Projekt gehen wird – dadurch wurde es unberechenbar und bereichernd zugleich. Ich habe mit dem Projekt erfahren, dass je weniger feste Vorgaben bestehen, sich umso mehr ergeben kann.

Vanessa Reed: Es war sehr interessant – aber auch herausfordernd – eine komplett digitale Zusammenarbeit zu haben. Wir mussten somit etwas erfinderisch werden und lernen, selbständig zu arbeiten. Der Anfang war dennoch besonders toll, da es so viele Möglichkeiten gab und wir viel gebrainstormt haben.

Die Begeisterung für die Zusammenarbeit und das Wagnis ist zu spüren – Vanessa Ree erwähnte gerade die Momente, gab es die auch bei den anderen?
Alice Lagaay: Bei fachübergreifenden Projekten müssen wir, durch die Auseinandersetzung und Begegnungen mit anderen Bereichen, unser eigenes Selbstverständnis auf den Prüfstand stellen. Ein gutes Beispiel ist die Sprache: Viele Fachbegriffe aus der einen Disziplin werden nicht ohne weiteres in einem anderen Bereich verstanden. Durch Interdisziplinarität kann die eigene Arbeit auf neue Weise reflektiert und korrigiert werden. Einen Schritt zurücktreten vom eigenen Standpunkt hilft uns und den Kommiliton*innen eine gemeinsame Sprache zu finden – die auch in nicht-akademischen Kreisen außerhalb der Hochschule verstanden wird. Und das ist dann bei allen Herausforderungen wieder ein positives Erlebnis. 

Franziska Nakamura: Das Beispiel der Sprache finde ich gut. Wir haben uns am Anfang gefragt, wie wir mit den Kommiliton*innen von Design kommunizieren sollen. Wir haben uns dann entschieden, ihnen bei der Umsetzung freie Hand zu lassen und haben ihnen lediglich die Zitate der Pflegenden der Palliativstation gegeben. Nach einer langen Zeit des Schweigens kam ein fertiges Produkt zurück, das aber ganz anders war als gedacht. Da fing die Kommunikation an – in bilateralen Gesprächen mit Vanessa Reed und mit Team-Feedbackschleifen. Es brauchte mehrere Schritte, bis die Website stand und es ist weiterhin Work-in-Progress. Für uns war es nicht immer einfach, kritische Themen anzusprechen, aber wir haben Kompromisse gefunden.

Für mich als Lehrende war das eine sehr bereichernde Erfahrung. Zugleich war es auch ein absoluter Glücksfall, dass Alice Lagaay und ich so gut zusammengearbeitet haben. Darüber hinaus wünsche ich mir, dass wir interdisziplinäre Projekte besser strukturell verankern, um dafür als Lehrende Ressourcen zu haben.

Katharina Straß vom Department Pflege und Management

Sie würden also ein interdisziplinäres Projekt jederzeit wiederholen?
Katharina Straß: Ja, ich hatte die Idee schon länger und war sehr gespannt, wie die Studierenden das Projekt annehmen. Schließlich ist es ein Experiment und für einige auch ein Wagnis. Die Ergebnisse, die unter anderem in der Gruppe um Franziska Nakamura entstanden sind, gehen zum Teil über die Anforderungen des Fachprojekts hinaus und zeigen, dass das Experiment angenommen wurde. Für mich als Lehrende war diese Entwicklung eine sehr bereichernde Erfahrung. Zugleich war es auch ein absoluter Glücksfall, dass Alice Lagaay und ich so gut zusammengearbeitet haben. Wir haben nachts noch E-Mail für die geplante Fish-Bowl hin- und hergeschickt und uns immer sehr offen ausgetauscht. Darüber hinaus wünsche ich mir, dass wir interdisziplinäre Projekte besser strukturell verankern, um dafür als Lehrende Ressourcen zu haben.

Alice Lagaay: Dem kann ich mich nur anschließen. Das Format ist jenseits des engen Curriculums und es ermöglicht Studierenden, dass sie nicht nur Leistungsnachweise erbringen, die von Dozierenden vorgegeben werden, sondern selbst etwas schaffen, sich neugierig ausprobieren können. Wir als Lehrende sollten Studierenden öfter zutrauen, dass sie selbstständig arbeiten können. Sie müssen nur wissen, wo und wann sie Hilfe bekommen können. Wir konnten in dem Projekt eine Atmosphäre für dieses andere Lernen schaffen: Fehler sind erlaubt, es gibt nicht die eine Lösung und wir Lehrende haben auch nicht auf alles eine Antwort.

Vanessa Reed: Sehr gerne! Meiner Meinung nach ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit etwas total Schönes und extrem wichtig. Für mich war es so spannend, einen Einblick in ein anderes Fach zu bekommen, und die Zusammenarbeit mit anderen Studierenden war bereichernd. Wie Alice Lagaay sagte, neugierig zu sein und selbständig etwas auszuprobieren, finde ich eine wichtige und schöne Erfahrung.

Franziska Nakamura: Mit dem Fachprojekt haben wir die Chance bekommen, über den eigenen Fachbereich hinauszuschauen und in die Praxis einzutauchen. Im Studium bekommen wir sonst genaue Vorgaben, wie Arbeiten aussehen sollen. In diesem Projekt konnten wir uns selbst entwickeln, offen an die Aufgabenstellung herangehen und entscheiden, wie das Ergebnis sein soll. Diese offene Herangehensweise macht für mich Wissenschaft aus.

In diesem Projekt konnten wir uns selbst entwickeln, offen an die Aufgabenstellung herangehen und entscheiden, wie das Ergebnis sein soll. Diese offene Herangehensweise macht für mich Wissenschaft aus.

Franziska Nakamura, Studierende im Bereich Pflege
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