„Sich impfen lassen zu können, ist ein Privileg“

Prof. Amena Almes Ahmad ist Ärztin und Professorin für Public Health am Department Gesundheitswissenschaften der Fakultät Life Sciences. Wir haben mit ihr über Impfmöglichkeiten für Studierende und Wege zurück in eine Normalität gesprochen.

Eine Frau zieht eine Spritze für eine Corona-Schutzimpfung auf.

Mit einer Impfung gegen das Coronavirus schützt man sich und andere.

Die Impfpriorisierung ist aufgehoben. Ausreichend Impfstoffe stehen in Deutschland jetzt im Grunde allen zur Verfügung. Doch gerade junge Menschen zögern oft. Was sagen Sie denjenigen, die einer Impfung skeptisch oder sogar kritisch gegenüberstehen?
Prof. Amena Almes Ahmad: Ich respektiere, dass Menschen Zweifel haben und vielleicht auch denken „Warum sollte ich mich impfen lassen? Ich bin doch ein gesunder junger Mensch ohne Vorerkrankungen. Bei mir wird eine Infektion mit dem Corona-Virus doch vermutlich glimpflich verlaufen.“ Tatsächlich ist ein schwerer Verlauf mit steigendem Alter und Vorerkrankungen sehr viel wahrscheinlicher als bei jungen gesunden Menschen. Trotzdem kenne ich auch persönlich komplett gesunde  Menschen unter 50 Jahren, die wirklich schwer an Covid-19 erkrankt sind. 

Einige befürchten Langzeitfolgen oder verweisen auf die Einzelfälle von Impfschäden oder Infektionsausbrüchen trotz einer Impfung...
Prof. Amena Almes Ahmad: Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es in der Medizin nicht, aber nach den inzwischen über 3,5 Milliarden weltweit verabreichten Impfdosen sind die Evidenzen eindeutig: Nur durch Impfungen gehen die Infektionszahlen und die für einige Bevölkerungsgruppen sehr schwerwiegenden Konsequenzen langfristig zurück.

Und auch bei einer rationalen Abwägung des persönlichen Risikos möglicher Impfnebenwirkungen versus eines schweren Krankheitsverlaufs mit Folgeschäden spricht bei Menschen über 18 Jahren, egal ob mit oder ohne Vorerkrankungen, alles für eine Impfung. Mögliche schwerwiegende Folgen durch eine Covid-Erkrankung, so selten sie auch sind, treten immer noch wesentlich öfter auf als vereinzelte schwere Impfschäden.

Auch die Tatsache, dass geimpfte Personen erkranken können, spricht nicht gegen eine Impfung, da der Anteil sehr gering ist. So liegt beispielsweise die Quote der Impfdurchbrüche in Hamburg bei nur 0,03 Prozent. Auch spricht die sehr geringe Zahl der schweren Verläufe unter den Geimpften für sich. 

Außerdem geht es ja nicht nur um den individuellen Schutz, sondern auch um eine gesellschaftliche Verantwortung. Die Frage lautet: Wie schütze ich mich und die anderen? Denn jedes Leben ist wertvoll und wir wollen, dass so wenige Menschen wie möglich durch die Pandemie sterben oder Langzeitfolgen davontragen.

Es gibt im Moment spezielle Impfangebote für Studierende. Was halten Sie davon?
Prof. Amena Almes Ahmad: Das ist eine großartige Möglichkeit, die die Studierenden auf jeden Fall nutzen sollten, für sich selbst, aber auch zum Schutz der anderen. Den großen Wunsch, einfach wieder unbeschwert reisen zu können, sich mit Freunden zu treffen und auch wieder einen normalen Unialltag zu erleben, teile auch ich. All das sollte wieder möglich werden, ohne dass immer eine Unsicherheit oder ein schlechtes Gewissen mitschwingt. Ich selbst bin sehr froh, schon doppelt geimpft zu sein und empfinde das als ein Privileg. 

Inwiefern?
Prof. Amena Almes Ahmad:
Durch meine Arbeit und das Studieren in einem Entwicklungsland, weiß ich unmittelbar, wie sich ein schwaches Gesundheitssystem und ein eingeschränkter Zugang zu Medikamenten und Impfstoffen auf die Gesundheit auswirken. Mein Professor saß im Rollstuhl, weil er nicht gegen Polio geimpft war. Eine Kommilitonin, auch Ärztin ist an Covid-19 gestorben. Sie war erst 48 Jahre alt. Ihr 35-jähriger Bruder hat die Infektion auch nicht überlebt. 

Ich denke auch an die Teilnehmenden der diesjährigen EARTHS Summer School, die jetzt gerade stattfindet –  wegen der Pandemie das zweite Mal digital. Sie kommen aus dem Sudan, Benin, Südafrika, Kenia und Simbabwe. Von ihnen ist fast keiner geimpft und auch ihre Eltern nicht. Ich glaube, die Impfquote liegt in den afrikanischen Ländern aktuell bei ungefähr drei Prozent, mit regionalen Unterschieden. Wir beobachten gerade, wie sich diese niedrige Impfquote und schwache Gesundheitssysteme auswirken. Die WHO schätzt die Corona-Situation in Afrika aktuell als „extrem beunruhigend“ ein. Das ist sowohl für die dortige Bevölkerung als auch für die Gesamtentwicklung der Pandemie besorgniserregend.

Was meinen Sie damit?
Prof. Amena Almes Ahmad: Corona ist eine weltweite Pandemie. Um die 48 Prozent der deutschen Bevölkerung sind vollständig geimpft. Nun ist es wichtig, dass die Menschen in den ärmeren Ländern auch Zugang zu den Impfstoffen erhalten. Bei einer hohen Verbreitung des Virus entstehen immer wieder neue ansteckendere Varianten, die sich weltweit verbreiten werden. Das erleben wir ja gerade schon mit der Delta-Variante des Coronavirus. Alle sind miteinander verbunden. Wir können nur gemeinsam einen Weg aus der Pandemie finden. Deswegen ist die COVAX-Initiative so wichtig.

Worum geht es in der COVAX-Initiative?
Prof. Amena Almes Ahmad: COVAX steht für "COVID-19 Global Vaccine Access". Damit ist eine Initiative gemeint, die für einen weltweit gleichmäßigen und gerechten Zugang zu Covid-19-Impfstoffen sorgen will.

COVAX unterstützt dazu auch die Forschung, Entwicklung und Herstellung einer breiten Palette von Covid-19-Impfstoffkandidaten. Koordiniert wird die COVAX-Initiative von der Impfallianz Gavi, der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Forschungsallianz CEPI.

Wann glauben Sie, wird wieder ein „normales“, postpandemisches Leben auch an der Hochschule möglich sein?
Prof. Amena Almes Ahmad:  Gerne würde ich eine positive Antwort geben, aber ich glaube, mit gewissen Einschränkungen werden wir noch eine ganze Weile leben müssen. Auf jeden Fall werden wir umso schneller eine gewisse Normalität erreichen, je mehr Menschen sich impfen lassen. Dann sind hoffentlich, mit kleinen Einschränkungen wie dem ‚Maskentragen‘ auch schon im kommenden Wintersemester wieder mehr Veranstaltungen in Präsenz möglich. Ich glaube, das würde uns allen guttun.

Vielen Dank, Frau Ahmad für das aufschlussreiche Gespräch.

Interview: Maren Borgerding

Weitere Informationen:

Impfen, testen, zusammenhalten – Update vom 20.7.2021
Mit der Impfung aus der Pandemie, Interview vom 31.5.2021 

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