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Arbeitsstelle Migration

"Migration ist schlicht Normalität"

Migrant*innen ein erfolgreiches Studium zu ermöglichen – mit diesem Ziel ist die Arbeitsstelle Migration an der HAW Hamburg 2018 gestartet. Der Schlüssel zum Erfolg: den Fokus auf den gesamten Wissensschatz der Studierenden legen, kombiniert mit neuen Wegen in der Unterstützung. Dieser Ansatz gehe mit der gleichzeitigen Arbeit an der migrationsbedingten strukturellen Transformation der Hochschule einher, betont der renommierte Migrationsforscher, Erziehungswissenschaftler und Leiter der Arbeitsstelle Migration Professor Louis Henri Seukwa.

HAW Hamburg, Fakultät W&S, Department Soziale Arbeit, Professor Louis Henri Seukwa, Professor für Erziehungswissenschaften, Fotografiert am Berliner Tor 5 am 22.6.2020

"Deutschland ist aktuell eine Migrationsgesellschaft, die jedoch unter Identitätsproblemen leidet“, sagt Migrationsforscher Professor Louis Henri Seukwa.

Der Tod des Afroamerikaners George Floyd am 25. Mai hat zu weltweiten Protesten geführt. Nicht nur in zahlreichen US-amerikanischen Großstädten kam es zu Demonstrationen gegen Rassismus, auch in Städten wie London, Paris oder Hamburg gingen die Menschen auf die Straßen, um ein Zeichen zu setzen. Das zeigte Wirkung. Zumindest im US-Bundesstaat Minnesota soll die Polizeibehörde von Minneapolis aufgelöst und neu organisiert werden. Weitere US-Städte haben Reformen angekündigt. 

Migration problematisiert Grenzen, die sowohl physisch als auch symbolisch sind. Was ist schon eine Deutsche oder ein Deutscher?

Migrationsforscher Professor Louis Henri Seukwa

In Hamburg hat sich die HAW Hamburg seit 2018 mit der Arbeitsstelle für Migrationsforschung und Integrationspraktiken, kurz „Arbeitsstelle Migration“, gerade auch gegen Rassismus und migrationsbedingte Benachteiligungen klar positioniert. „Migration problematisiert Grenzen, die sowohl physisch als auch symbolisch sind. Was ist schon eine Deutsche oder ein Deutscher? Deutschland ist aktuell eine Migrationsgesellschaft, die jedoch unter Identitätsproblemen leidet“, erklärt der Leiter der Arbeitsstelle Migration.

Labor für migrationsbedingte Hochschulentwicklung 

Bei dieser Konstruktion der Fremdheit, das Othering genannt werde, gehe es um die Sicherung von Privilegien – den Zugang zu und die Verfügungsmacht über Ressourcen – sogenannter angestammter gegenüber eingewanderten Bürger*innen. Dabei ist Migration eine historische Selbstverständlichkeit und die Natur einer jeden Gesellschaft. „Migration macht Gesellschaft“, betont Seukwa und ergänzt: „Migration ist schlicht Normalität und dieser Normalität muss und will die HAW Hamburg gerecht werden.“ Die Arbeitsstelle Migration begreift sich deshalb als ein Labor für migrationsbedingte Hochschulentwicklung mit dem Ziel, Strukturen zu reformieren und sie fit für eine plurale Gesellschaft werden zu lassen. 

Die Arbeit in diesem Labor basiert auf drei miteinander verwobenen Säulen – Integration, Hochschulentwicklung und Forschung – und beschreitet neue Wege. So umfasst das Programm KOMPETENZ KOMPAKT vielfältige Maßnahmen zur bedarfsgerechten Unterstützung und Begleitung von geflüchteten und internationalen Studierenden: Von der Vorbereitung und Aufnahme eines Studiums über den gesamten Student Life Cycle hinweg bis hin zum Berufseinstieg. „Der Fokus liegt dabei auf Nutzung und Transformation mitgebrachter Kompetenzen als pädagogische Ressourcen und auf der Stabilisierung der oft erschwerten Lebenslage als Voraussetzung für Bildungserfolg“, erklärt Louis Henri Seukwa. Dafür werde den spezifischen Benachteiligungen der Adressat*innen besondere Aufmerksamkeit geschenkt: Wie steht es mit Wohnsituation, digitaler Infrastruktur, Finanzen und Gesundheit oder gibt es Probleme mit Rassismus und Diskriminierung? „Der epistemisch-normative Prozess, der darin besteht, Vielfalt und Differenz zu erkennen und anzuerkennen ist grundlegend für die faktische Integration in die Hochschule, wie auch in andere gesellschaftliche Subsysteme“, betont der Professor, der auch Beauftragter des Präsidiums für migrationsbedingte Hochschulentwicklung ist. 

Ziel ist immer die migrationsbedingte Benachteiligung zu minimieren.

Migrationsforscher Professor Louis Henri Seukwa

Spracherwerb durch Integration

In Deutschland herrsche das Mantra: Integration durch Sprache. „Wir gehen den umgekehrten, und für den gesunden Menschenverstand naheliegendsten Weg, nämlich: Spracherwerb durch Integration zu erzielen.“ Innerhalb der Hochschule lässt sich Sprache viel natürlicher und zielgerichteter lernen. „Das ist wissenschaftlich nachgewiesen. Die Geflüchteten lernen das Deutsch, das für sie als Studierende tatsächlich relevant ist. Denn Sprache ist immer milieubezogen und auf die jeweilige Lebensumwelt fokussiert“, weiß der Migrationsforscher. Hilfestellung erhalten die Studierenden zudem durch ihre Kommiliton*innen in multilingualen Fachtutorien und von überfachlichen Welcome-Tutor*innen. 

Den Übergang von der Hochschule in den Arbeitsmarkt ebnet „BachelorUP - Chancen nutzen zum Berufseinstieg!“ Das neue Studienprogramm der Arbeitsstelle Migration in Kooperation mit dem Career Service der HAW Hamburg richtet sich an internationale Akademiker*innen, denen spezifische Studieninhalte und Kenntnisse in der Berufspraxis für einen erfolgreichen Berufseinstieg fehlen. Nach einer individuellen Beratung durch Mitarbeiter*innen der Arbeitsstelle Migration werden in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Departments individualisierte Studienpläne entwickelt.

„Der Schwerpunkt liegt hierbei auf für den deutschen Arbeitsmarkt spezifische Profilfächer, Anwendungsorientierung und auf dem Erwerb überfachlicher Kompetenzen für den beruflichen Alltag“, erläutert Professor Seukwa. Flankiert werde die Teilnahme an regulären Lehrveranstaltungen an der Hochschule durch Praxisprojekte in Unternehmen, so dass ein arbeitsmarktrelevanter Theorie-Praxis-Transfer gewährleistet werde. „Ziel ist immer die migrationsbedingte Benachteiligung zu minimieren. Keiner soll unnötig Zeit verlieren – nachdem der Bildungsweg oft bereits Jahre durch die Flucht verlängert wurde.“

Migrationsbedingte Hochschulentwicklung und Forschung

Bildungsinstitutionen sind bekanntlich für die Bürger*innen ihres jeweiligen Nationalstaates konzipiert. Indem die Arbeitsstelle Migration den Nachteilsausgleich einer ursprünglich nicht vorgesehenen Zielgruppe mit transnationalem Bildungsweg verfolgt – der Migrant*innen – wird die Routine des Systems irritiert. „Dies wiederum nehmen wir zum Anlass, strukturelle Veränderungen in der Hochschule anzustoßen. Die Arbeit an der Hochschulentwicklung bildet die zweite Säule unserer Kompetenzstruktur ab“.

Die dritte Säule der Kompetenzstruktur wird von den Forschungsaktivitäten abgebildet. „Zum einen begleiten wir die ersten beiden Säulen durch prozess- und formative Evaluation. Zum anderen gehört Drittmittelbeschaffung für weitere Forschungen im Feld Migration und Integrationspraktiken zu unseren Aufgaben“. Die Einrichtung der Arbeitsstelle Migration – ebenso wie das fest in der Hochschulstruktur verankerte „Vorbereitungsstudium für geflüchtete Studieninteressierte“ – nennt Professor Seukwa einen wichtigen Meilenstein für die HAW Hamburg. „Wir sind damit auf dem Weg in eine nicht nur programmatisch, sondern eine auch in der Realität diversitätsgerechte Hochschule.“
 
Noch einmal zurück zu den aktuellen Anti-Rassismus-Demonstrationen – sind wir auf dem richtigen Weg? „Ich bin kein Tagträumer!“, resümiert Professor Seukwa, um dann jedoch einzuräumen: „Natürlich ist die Arbeitsstelle Migration selbst eine Form von kritischer Uto-pie: Kritik an dem, was gegenwärtig die hiesige Gesellschaft blind macht für die Entstehung von globalen Ungerechtigkeiten – von denen sie übrigens profitiert. Und Utopie durch die Arbeit für eine Gesellschaft, in der Solidarität sowie das ‚gute, geschützte und wertvolle Leben‘ nicht für viele ein bloßer Traum bleibt!“ 

(Text: Yvonne Scheller)

Kontakt

Prof. Dr. Louis Henri Seukwa
Department Soziale Arbeit
Professor für Erziehungswissenschaften

Alexanderstraße 1, Raum 3.30
20099 Hamburg

T +49 40 428 75-7073
louishenri.seukwa (at) haw-hamburg (dot) de

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