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Forschungsprojekt

Sammeln und Horten als Bewältigungsstrategie

Die Förderung des dreijährigen Forschungsprojekt „adele“ zur (Wieder-) Eingliederung alter, desorganisiert lebender Menschen in das Hilfe- und Unterstützungssystem aus dem Department Soziale Arbeit ist im Juni 2020 zu Ende gegangen. Ein Forscher-Team um Professor Andreas Langer untersuchte das „Messie-Phänomen“ bei älteren Menschen und entwickelte Hilfsangebote. Wir haben mit Lea Acker und Johanna Wessels gesprochen, sie sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen im Projekt.

Graffiti

Graffiti, fotografiert von ShonEjai

Warum sammeln Menschen Dinge in ihren Wohnungen?

Für Menschen, die übermäßig viele Dinge sammeln und in ihren Wohnungen horten, sind die Gegenstände meist mit Emotionen und Erinnerungen verbunden. Daher trifft das Wort „Müll“ in den meisten Fällen nicht den Kern. Das Sammeln und Horten steht für ein tieferliegendes Problem. So haben betroffene Menschen häufig in ihrer Biografie Gewalt- und Mangelerfahrungen erlebt. Das Sammeln wird also als Bewältigungsstrategie angewandt, um andere, vernachlässigte Bedürfnisse zu befriedigen. Die volle Wohnung kann als Schutzmantel vor Bedrohungen psychischer und physischer Art verstanden werden. Zudem haben von Desorganisation betroffene Menschen häufig sehr umfassende Interessen und ein hohes Empathievermögen. Zum Beispiel werden häufig Zeitschriften gesammelt, um den Wissensdurst zu stillen, wiederverwertbare Gegenstände werden gesammelt, um anderen Menschen damit eine Freude zu machen und ähnliches.

Was sind die größten Gefahren für diese Menschen?

Vereinsamung spielt bei den betroffenen Menschen eine große Rolle. Durch Schamgefühle werden häufig soziale Kontakte abgebrochen, die Familie wendet sich aus Unverständnis und Frustration von den Betroffenen ab. Soziale Interaktionen finden dann oftmals nur noch im öffentlichen Raum statt, etwa an der Ladentheke oder in der Kirche. Eine weitere Gefahr kann der gesundheitliche Zustand sein, sowohl physisch als auch psychisch. Des Weiteren sind Menschen, die in desorganisierten Wohnungen leben, häufig von Zwangsräumungen und respektive von Obdachlosigkeit bedroht.

Warum handelt es sich hier um ein Tabu-Thema?

Menschen, die desorganisiert leben, sind medial stigmatisiert. Durch Sendungen im Boulevard-Fernsehen, werden die betroffenen Menschen oftmals als unsauber, faul und verwahrlost dargestellt. Tatsächlich handelt es sich jedoch in den meisten Fällen um Bewältigungsstrategien und Folgen von Erkrankungen. Scham und negative Selbstwahrnehmung führen dazu, dass die Menschen sich sozial zurückziehen und von Unterstützungsangeboten im Hilfesystem nicht erreicht werden, was eine Aufarbeitung des Problems erschwert.

Wie unterstützt das Projekt „adele“? Wo setzen die Hilfen an?

Die Unterstützungsleistung setzt bei den Bedürfnissen der jeweiligen Menschen an. Das Projekt arbeitet mit den Grundpfeilern Freiwilligkeit, Mitsprache und Zustimmung: Das bedeutet, wir unterstützen nur dort, wo es von den Betroffenen selbst gewünscht wird. Wir legen einen großen Fokus auf die Beziehungsarbeit. Im nächsten Schritt vernetzen wir die einzelnen Akteure, um die bestmögliche individuelle Unterstützung für die betroffene Person zu bieten. Nach dieser intensiven Arbeit setzen wir auf die Stabilisierung der Unterstützung. So wird im Rahmen einer Nachsorge die Begleitung nach und nach verringert, bis die Einbindung an das Hilfesystem vollzogen ist. Unsere Aufgabe besteht darin, Menschen Teilhabe zu ermöglichen und die Personengruppe zu de-stigmatisieren.

Inwieweit sind Studierende an dem Forschungsprojekt beteiligt?

Das Projekt „adele“ beschäftigte bis zum Projektende mehrere Studierende des Departments Soziale Arbeit als studentische Hilfskräfte, sodass ein Theorie-Praxis Transfer geschaffen werden konnte. Zudem fließen die Erkenntnisse auch in die Seminargestaltung der Dozierenden des Department Soziale Arbeit im Bachelor und Master ein. Ab dem Wintersemester 2020/2021 wird ein Fachprojekt zum Thema Desorganisation im Bachelor Soziale Arbeit der HAW Hamburg angeboten.

Arbeiten Sie mit Partnern zusammen?

Wir haben im Projekt einige Kooperationspartner gewinnen können. Neben diversen Hauseigentümern und Genossenschaften konnten wir eng mit den einzelnen Behörden zusammenarbeiten: mit Pflegediensten, Seniorenberatungen, Berufsbetreuern, Schuldnerberatungsstellen, sozialpsychiatrischen Diensten und auch mit dem Mieterverein zu Hamburg.

Gibt es die Aussicht, „adele“ zu verstetigen? Wird die Stadt Hamburg das Programm übernehmen?

Derzeit sind wir mit der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration in einem intensiven Austausch über Verstetigungsmöglichkeiten. Neben der Regelfinanzierung bieten auch Stiftungen und soziale Förderungen Möglichkeiten zur Weiterführung des Projekts an.

(Die Fragen stellte Dr. Katharina Jeorgakopulos)


WEITERE INFOMRATIONEN

Hier geht es zum Projektbericht „adele“ auf den Seiten von Forschung und Transfer der HAW Hamburg

Kontakt

Department Soziale Arbeit
Prof. Dr. Andreas Langer
Professor für Sozialwissenschaften
T +49 40 428 75-7055
andreas.langer (at) haw-hamburg (dot) de

Lea Acker
Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt SocioLAB-InnoServ/
Sozial-ökonomisches Laboratorium Innovation Sozialer Dienstleistungen
T +49 40 428 75-7226
lea.acker (at) haw-hamburg (dot) de

Johanna Wessels
Projektkoordinatorin im Projekt adele
(Wieder-) Eingliederung alter, desorganisiert lebender Menschen in das Hilfe- und Unterstützungssystem
T +49 40-42875-7080
johanna.wessels (at) haw-hamburg (dot) de
 

 

 

 

 

 

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