Digitales Lehren, Lernen und Prüfen nach der Pandemie

Benjamin Ditzel, KOMWEID-Impulse, Jahrgang 2021, Nr. 3, Dezember 2021

Grafik für Digitales Lehren, Lernen und Prüfen nach der Pandemie

Wie sehen Studierende die Zukunft der digitalen Lehre? Welche Impulse gehen davon für die Weiterentwicklung von Lehren, Lernen und Prüfen an der HAW Hamburg aus? Diesen Fragen wird im Folgenden aus den KOMWEID-Teilprojekten Studiengang-Monitoring und Wirkungsreflexion heraus nachgegangen.

I

Umgangsweisen mit dem Corona-Virus und Anpassungswege an die Dynamik der Pandemie zu finden hat das Hochschulhandeln der vergangenen zwei Jahre geprägt. Unter großen Anstrengungen sind inhaltliche, technische, rechtliche und organisatorische Weichenstellungen vorgenommen worden, um auf die pandemiebedingten Aussetzungen des hochschulischen Präsenzbetriebs mit tragfähigen Angeboten des Online-Lernens, der digitalen Distanz-Lehre und von digitalen Prüfungsformaten reagieren zu können.

Im Übergang zu einem neuen Normalmodus stellt sich die Frage, wie sich die Hochschulen künftig im Bereich Lehren, Lernen und Prüfen aufstellen wollen und welchen Stellenwert dabei digitale Szenarien und Werkzeuge spielen sollen. Wie kann an die pandemiebedingten Erfahrungen mit digitaler Lehre angeknüpft, Hochschullehre durch Digitalisierungspraktiken auch jenseits von Pandemiebedingungen weiter gestärkt, der hochschulische Bildungs- und Qualifikationsprozess insgesamt enger mit digitalen Lebens- und Arbeitswelten verknüpft werden? Das sind Leitfragen der hochschulpolitischen Diskussion wie des Hochschulalltags geworden. Insofern setzen die innerhalb kurzer Zeit vorgenommenen Umstellungen zugunsten einer stärker digitalisierten Praxis des Lehrens, Lernens und Prüfens mögliche Ausgangspunkte für neue Entwicklungstrends im Bereich Studium und Lehre.

 

II

Wichtige Impulse bei der Suche nach Wegen der Festigung und Weiterentwicklung pandemiebedingter Digitalisierungserfahrungen kommen von Studierenden. Deren Reaktionen auf den erlebten Veränderungsschub fallen allerdings mehr zwiespältig aus als eindeutig. Die zweite Studierendenbefragung an der HAW Hamburg zu Studienerfahrungen unter Pandemiebedingungen, als Online-Umfrage zum Ende des Sommersemesters 2021 durchgeführt, hat erneut verdeutlicht, dass der verstärkte Einsatz von Instrumenten und Methoden digitaler Lehr- und Prüfformate von Studierenden weder pauschal verurteilt noch umstandslos begrüßt, vielmehr abgewogen und ambivalent beurteilt wird.

In Folge fällt das abschließende Votum der Befragungsteilnehmer*innen bezüglich des erwünschten Stellenwerts digitaler Lehr- und Prüfformate nach der Pandemie zerrissen aus. Auf die Frage bezogen, ob ein Teil der Prüfungen auch in post-pandemischen Zeiten in digitaler Form stattfinden sollte, plädiert fast genau die eine Hälfte der befragten Studierenden (49,2%) für einen zukünftigen Verzicht auf digitale Prüfformate, die andere Hälfte (50,8%) in unterschiedlichem Ausmaß für deren Einsatz. Einen Teil der Lehrveranstaltungen zukünftig in digitaler Form abzuhalten, wird von gut einem Viertel (28,6%) der Befragten abgelehnt, von knapp drei Viertel (71,4%) in allerdings unterschiedlichem Ausmaß begrüßt.

Das Bild verkompliziert sich noch, wenn der Blick auf die studentischen Wünsche nach mehr bzw. weniger digitalen Lehr- und Prüfungsformaten an der Hochschule insgesamt ergänzt wird um eine departmentbezogene Perspektive. Eine Ausdifferenzierung des Antwortverhaltens nach den Departments der Hochschule macht, wie die Abbildung veranschaulicht, erhebliche Unterschiede deutlich. So wird in einigen Departments der Wunsch nach einem zukünftigen Verzicht auf digitale Prüfungsformate von deutlich mehr als der Hälfte der Studierenden geäußert; an anderen fällt dieser Wunsch erheblich niedriger aus als in der hochschulweiten Betrachtung. Die Aussicht, einen Teil der Lehrveranstaltungen auch zukünftig in digitaler Form zu bewältigen, zieht (wie in der Gesamtbetrachtung) insgesamt weniger Ablehnung, mehr Zustimmung auf sich; der Zustimmungsanteil variiert (unbeachtet seiner internen Differenzierungen) zwischen vier Fünftel und zwei Drittel der befragten Studierenden.

Einfache und eindeutige Vorschläge für die Konzeption und Gestaltung des Lehrens, Lernens und Prüfens nach der Pandemie sind aus diesen Ergebnislagen heraus nur schwer zu gewinnen. Eine flächendeckende Rückkehr zu traditionellen Mustern der Präsenzlehre korrespondiert offenbar ebenso wenig mit den Wünschen eines Großteils der Studierenden wie eine ausschließliche Digitalisierung der Hochschullehre. Eine Hybridisierung der Lehr-, Lern- und Prüfpraxis wiederum kann beispielsweise Gefahr laufen, vieles einfach zu verdoppeln, mit entsprechenden Belastungen der Lehrenden. Es bleibt daher eine schwierige Aufgabe, den unterschiedlichen Situationen und Bedürfnissen angemessene Szenarien der Intensität digitaler Lehr- und Prüfformate sowie deren Einbettungen zu entwickeln.

 

III

Die skizzierte gespaltene Haltung von Studierenden zum zukünftigen Stellenwert digitaler Lehr- und Prüfungsformate im Allgemeinen, die unterschiedlichen Einschätzungen nach Departments im Besonderen lädt dazu ein, nach den Gründen zu suchen, die sie erklären. Zugleich aber drängt sich auf, nach Konsequenzen zu fragen: Welche, wenn auch vorläufige, Schlussfolgerungen für die Ausgestaltung von Studium und Lehre sind aus den oben genannten Befragungsergebnissen zu ziehen?

Eine erste mögliche Lesart der Befragungsergebnisse im Hinblick auf diese Fragestellung besteht darin, die Konsequenzen der ambivalenten Haltung der Studierenden darin zu sehen, dass es keine allgemeingültige, hochschulweit einheitliche Antwort auf die Frage nach dem Stellenwert des Digitalen im Bereich Studium und Lehre gibt, stattdessen maßgeschneiderte, department- oder auch studiengangsspezifische Lösungen anzustreben sind. Das kann zum Beispiel bedeuten, spezifische Veranstaltungsformen oder konkrete Lernsettings zu identifizieren, für die eine Integration digitaler Elemente besonders geeignet erscheinen. Oder es kann bedeuteten, daran zu arbeiten, Studierenden Optionen zu bieten, unterschiedliche Grade der Digitalisierung ihres Studiums selbst zu wählen. Für beides braucht es die Auseinandersetzung zum Stellenwert des Digitalen vor Ort, einen Dialog zwischen Studierenden und Lehrenden auf Ebene der Departments oder der Studiengänge.

Eine zweite, dazu nicht notwendigerweise konträre Lesart kann darin bestehen, die skizzierte Ambivalenz der Wünsche der befragten Studierenden als Auftrag zu begreifen, überhaupt erst eine (gemeinsame) Vorstellung darüber zu entwickeln, welchen Stellenwert digitale Formate, Medien und Tools an der HAW Hamburg zukünftig einnehmen sollen. Im Sinne einer strategischen Rahmung von Studium und Lehre geht es dann um die Beantwortung der Frage, welches Denkmodell des Lehrens, Lernens und Prüfens das Handeln im Bereich Studium und Lehre leiten soll. Dafür bräuchte es in erster Linie Verständigungsprozesse auf Hochschulebene. Ein Dialog zwischen Studierenden und Lehrenden auf der Ebene der Departments und Studiengänge kann dafür den Ausgangspunkt darstellen.

 

IV

An beide Umgangsweisen mit der Frage nach Schlussfolgerungen aus den Befragungsergebnissen heraus lassen sich eine Reihe von Anschlussfragen stellen. Sie können zugleich als erste Diskussionsimpulse für Verständigungsprozesse fungieren, wie sie mit dem Projekt KOMWEID angestrebt und unterstützt werden.

Erstens lässt sich aus einer eher grundsätzlichen Perspektive nach der Verbindung von Präsenz- und Online-Formaten im Sinne des Blended Learning fragen: Wann und wofür braucht es Begegnungen oder das gemeinsame Arbeiten in Präsenz? Wann und wofür können digitale Formen, Medien und Tools einen wirkvollen Beitrag zum Lernprozess der Studierenden leisten? Welche Bedeutung haben Videos, digitale Kollaborationstools, Virtual Reality, Open Educational Resources etc. für die Gestaltung des Lehrens, Lernens und Prüfens? Was soll warum synchron, was asynchron angeboten werden? Welchen Einfluss haben die Gruppengröße, die Veranstaltungsart, das Fach bzw. Department oder die individuellen Vorlieben der Studierenden auf die Verbindung von Präsenz und Online bzw. auf die Integration von Onlineelementen? Wie können digitale Formate in formellen und wie in informellen Lernsettings genutzt werden? Wie werden digitale Formate, Medien und Tools eingesetzt, um Prozesse des Lehrens, Lernens und Prüfens flexibel, kollaborativ, chancengerecht etc. zu gestalten? Welche Bedeutung haben Präsenz- und Online-Formate für die soziale und akademische Integration insbesondere in der Studieneingangsphase?

Zweitens wirft die Auseinandersetzung mit dem Stellenwert digitaler Formen des Lehrens, Lernens und Prüfens die Frage auf, was das für die Hochschule als Lernort bedeutet: Stehen beispielsweise geeignete Räume bzw. Raum-Technik-Konfigurationen zur Verfügung, um digitale Elemente in die Lehre zu integrieren? Stehen für Studierende Räume an der Hochschule zur Verfügung, um nicht nur einzeln oder in Gruppen auf klassische Art und Weise zu arbeiten und zu lernen, sondern auch um dort an digitalen Formen des Lehrens und Lernens teilzuhaben? Wie müssen Räume gestaltet sein für vielfältige Nutzungsformen und einen niederschwelligen Zugang zu digitalen Lösungen?

Drittens werden Fragen zur (Studienplan-)Organisation aufgeworfen: Wie lassen sich Präsenz- und Online-Lehre in Stundenplänen realisieren, die den Studierenden einen niederschwelligen Zugang bzw. überhaupt eine Teilnahme ermöglichen, angesichts von Ort- und Medienwechseln?

Viertens stellen sich Fragen zur Rekrutierung und zur akademischen Personalentwicklung: Welche Bedeutung hat das Digitale etwa in Berufungsverfahren, bei der hochschul- und mediendidaktischen Weiterqualifizierung etc.?

Die Liste möglicher Diskussionspunkte soll an dieser Stelle exemplarisch bleiben, um zu verdeutlichen, welche Themen – ausgehend von den Erkenntnissen aus Studierendenbefragungen – bezogen auf einen Diskurs zum Stellenwert digitaler Formen des Lehrens, Lernens und Prüfens aufgeworfen werden können. Für die Bearbeitung dieser und ähnlicher Themen will das Projekt KOMWEID Experimentierräume schaffen, in denen neue Formen des Lehrens, Lernens und Prüfens ausprobiert werden können, Formate bereitstellen, in denen ein Erfahrungsaustausch und eine Auseinandersetzung mit Erkenntnissen aus Erhebungen und der Forschungsliteratur stattfinden kann sowie die vielen Good Practices sichtbar machen, die an der HAW Hamburg bereits entstanden sind.

 

 

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