Die Energiewende erfordert die weitgehende Integration erneuerbarer, also volatiler, Energiequellen ins Energiesystem. Hierbei verlaufen Versorgungsprozesse stark dezentral, sind aber durch die Volatilität der Verfügbarkeit erneuerbarer Energien nicht räumlich konstant. Die fundamentale, dem Energiesystem zugrundliegende Herausforderung ist der kontinuierliche Abgleich von Erzeugung und Verbrauch innerhalb kurzer, definierter Zeitintervalle: Energie wird idealerweise auf der Niederspannungsebene dort verbraucht, wo sie erzeugt wird, oder an benachbarte Zellen weitergegeben. So lassen sich Erzeugung und Verbrauch beispielsweise über dynamische Preismodelle in Waage halten. Die Notwendigkeit eines überregionalen Energieausgleichs wird minimiert. Die so entstehenden lokalen, dezentralen Energieregel- und ‑marktplätze werden im Folgenden auch Microgrids genannt. Damit sind physische Niederspannungssegmente gemeint, die zukünftig durch intelligente (Orts‑)Netztransformatoren geregelt werden.
Eine besondere Herausforderung bieten die Dezentralität und der vergleichsweise hohe Kommunikationsaufwand: Es ist zu erwarten, dass die heutige Powerlan-ähnliche, isolierte Kommunikationsstruktur in Form von Rundsteuertechnik nicht mehr ausreichen wird und eine Kommunikation über das herkömmliche Internet oder sogar drahtlose 5G/6G-Technologien erforderlich wird. Dies kann aber im Vergleich zur Rundsteuertechnik nicht mehr adäquat überwacht und abgesichert werden und bietet eine sehr große Angriffsfläche. Als Elemente der kritischen Infrastruktur müssen diese Microgrids besonders geschützt werden.
Hierzu müssen erweiterte Überwachungs- und Absicherungsverfahren entwickelt werden. In diesem Projekt wird dazu auf der Meta-Ebene eine Co-Simulation aus einem elektrischen, dezentralen Netz, ähnlich wie es aus einer zukünftigen Netzleitstelle wahrgenommen würde, und dem Internet, das Cyberangriffen ausgesetzt ist, entwickelt. Dieses System wird durch virtuelle Cyberangriffe auf Realitätsnähe getestet und optimiert.
Die Zielgruppen dieses Systems sind:
- Stromnetzbetreiber zur Optimierung ihrer Netzabsicherung,
- Anbieter von Mess- und Steuerungshardware wie Smartmeter-Gateways zur Sicherheits- und Robustheitsanalyse sowie
- Behörden und Einrichtungen zur Absicherung kritischer Infrastruktur und Standardisierung, um mit Hilfe solcher Simulationssysteme Erkenntnisse zu allgemeinen Anforderungen für die Absicherung von verteilten Netzinfrastrukturen zu bekommen.
Die übergeordneten Ziele umfassen das Entwickeln und Erstellen eines offenen softwarebasierten Co-Simulationssystems, das im Rahmen von Standardisierungsaktivitäten weiterentwickelt werden soll und folgende Aspekte integriert:
- Realitätsgetreue Simulation des Verhaltens verteilter, prosumerbasierter Niederspannungsnetze (Microgrids),
- Simulation des internetbasierten Kommunikationsnetzes mit dem Schwerpunkt auf eine realitätsgetreue Abbildung von Cyberangriffen und
- Die Kombination beider Systeme z.B. über Smartmeter-Gateways (SMG) als Co-Simulation. Das SMG soll dabei idealerweise keinen Unterschied zwischen realem Anschluss und der Simulation feststellen. Das Gesamtsystem soll sich in Bezug auf Internetkommunikation und Verbraucher-/Erzeugersteuerung realitätsgetreu gegenüber Cyberangriffen verhalten.
Am CC4E an der HAW Hamburg, das am Projekt beteiligt ist, liegt derzeit nur eine softwarebasierte Netzsimulation vor. Diese Simulation soll im Rahmen des Projektes auf ein Hardware-in-the-loop-System für Microgrids erweitert werden.
Forschungsfragen und -unterfragen:
- Mit welchem Architekturkonzept lässt sich eine Co-Simulation aus Internetkommunikation und Microgridsteuerung aufbauen, so dass realistische Latenzzeiten und Reaktionsverhalten auftreten? (HAW Hamburg)
- Wie lassen sich Cyberangriffe konzipieren, formulieren und auf dem IT-Netz durchführen, so dass sie eine schädigende Wirkung auf das Energienetz zeigen? (TH Lübeck)
- Wie können regulatorische Anforderungen an das Netzverhalten mit Hilfe der Simulation formuliert werden bzw. welche neuen Anforderungen bzgl. der Cybersicherheit von verteilten, von der Zielsetzung her weitgehend autarken Microgrids lassen sich daraus ableiten? (HAW Hamburg, TH Lübeck und assoziierte Partner)
Damit wird der Marktbedarf an sicheren Kommunikationslösungen in weitestgehend autarken, dezentralen Microgrids sowie deren erforderliche Regulierung als kritische Infrastruktur adressiert. Diese Regulierung auf europäischer Ebene und die daraus folgende Freigabe durch das BSI und die Bundesnetzagentur als kritische Infrastruktur sind zwingende Voraussetzung für deren Betrieb. Da aber die Sicherheit von Energienetzen gegen Cyberangriffe aber nur schwer unter verschiedenen Randbedingungen erprobt werden kann, ist hier die oben skizzierte Co-Simulation von erheblichem Vorteil: Es lassen sich Netze mit unterschiedlichen Randbedingungen konfigurieren und Extremereignisse wie Stromausfälle sind risikolos erprob- und absicherbar. Aufgrund der Kooperation in anderen Projekten mit Forschungsinstituten der Energiewirtschaft und Netzsicherheit sind diesbezüglich gute wissenschaftliche Synergien und Austausche vorhanden, so dass an dieser Stelle auch ein Forschungsbedarf bekannt ist. Dieser ist vornehmlich darin begründet, dass wissenschaftliche Einrichtung nur selten in den Bereichen der Netzstabilität, Smart Grids und Cybersecurity für Operational Technology (OT) forschen. An der HAW Hamburg besteht die seltene Kombination, dass zwei große Forschungsgruppen an derselben Fakultät an den jeweiligen Teilthemen arbeiten.
Projektteam:
HAW CC4E: Prof. Dr. Kolja Eger, Felix Scholl
HAW FTZ CyberSec: Prof. Dr. Carsten Frank, Prof. Dr. Volker Skwarek, Sascha Kaven, Moritz Volkmann
TH Lübeck: Prof. Dr.-Ing. Milena Zachow, Julian Behrensen
Kooperationspartner: Hamburger Energienetze (HNE), Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik in DIN und VDE (DKE), HiSolutions AG