TRANS*KIDS

Förderung eines nichtdiskriminierenden Umgangs mit minderjährigen trans* Personen durch patientenorientierte Schulungsmaßnahmen im Gesundheitswesen

Abzeichen mit einer Regenbogenflagge, einer bisexuellen Stolzflagge und einer transgender Stolzflagge auf einer grünen dunklen Oberfläche mit Farbtrödeln verschiedener Farben

Ungeachtet einer wachsenden gesellschaftlichen Akzeptanz von Gendervielfalt berichten behandlungssuchende Kinder und Jugendliche aus ihrem Alltag von teils erheblicher Stigmatisierung, Diskriminierung, Mobbing bis hin zu gewaltsamen Übergriffen. Im Gesundheitssystem sind Diskriminierungserfahrungen von behandlungssuchenden trans* Personen empirisch bereits durch mehrere Studien belegt, wobei bisher überwiegend erwachsene trans* Personen befragt wurden.

Die pflegerische Versorgung und Begleitung von transgeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen setzt einen kompetenten Umgang diversitätssensibler Pflege voraus. Dies behaltet eine Reflektion über Normen und Regelsysteme, die pflegerische Alltagspraxis prägen. Das wesentliche (An-) Erkennen einer professionellen Pflege von transgeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen besteht darin, dass das Diversity-Merkmal *trans keine den Kindern und Jugendlichen inhärente Charaktereigenschaft ist, sondern eine Kategorie beschreibt, die diese Menschen zu einer bestimmten Gruppe zuordnen, andererseits aber nichts über ihre menschlichen Qualitäten aussagt. Gleichzeitig erlauben diese Kategorien Normen zu hinterfragen.

In sozialen Arbeitsfeldern wie z.B. einer Klinik gehört eine große Vielfalt unter den Patient*innen längst zur Arbeitsrealität. In vielen pflegerischen Berufsausbildungen werden allerdings weiterhin enge Normverständnisse mit Bezug auf geschlechtliche und sexuelle Vielfalt und Körperbildern vermittelt, die sich an dominanten Gesellschaftsbildern orientieren und in denen binäre Codes im Arbeitsalltag zu wenig kritisch reflektiert werden. Unser Teilprojekt setzt hier an und widmet sich dem aktuellen Pflegehandeln im klinischen Setting und sucht nach den unsichtbaren Normen und Werteverständnissen, die als Hindernis einer wertschätzenden Pflege im Sinne des ICN-Pflegekodex präsent sind, und zu stigmatisierendem und diskriminierendem Pflegeverhalten führen können.

Um die Pflegeperspektive in Klinikkontexten zu ermitteln, nutzen wir ein qualitatives, sozialempirisches Forschungsdesign, indem wir leitfadengestützte Interviews mit Pflegekräften, die *trans Kinder und/oder Jugendliche pflegen und betreuen, durchführen. Darüber hinaus befragen wir Arzthelfer*innen in ambulanten Praxen.

Im Fokus unserer Untersuchung stand:
a) das individuelle Pflegeverständnis,
b) die Arbeitserfahrungen in der professionellen Pflege und Betreuung von trans*Kindern und Jugendlichen,
c) die pflegerischen Versorgungsstrukturen und
d) auf individuelle, institutionalisierte und strukturierte Diskriminierungsformen und Herausforderungen im pflegerischen Alltag.

Das Teilprojekt zeichnete pflegerische Handlungskontexte und -logiken in der Betreuung von trans*Kindern und Jugendlichen differenziert nach, wie z.B. Schichtdienst, Hierarchien im Team, auf Station oder im Krankenhaus, der Pflegekräftemangel, strenge Zeitregime im Pflege- und Versorgungsalltag oder fehlende Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten.

Ziel war es, aus den Ergebnissen didaktisches Lehrmaterial für die Berufsschulen und Hochschulen der Pflege zu entwickeln und damit das generierte Wissen nachhaltig in Vermittlungs- und Bildungsinstitutionen zu implementieren und zitierbar zu machen. Aus den Erkenntnissen sollen Pflegeauszubildende Strategie entwickeln, z.B. wenn es um die Informationsbeschaffung und Wissensweitergabe zwischen nicht-ärztlichem Personal oder um die Verbesserung der Pflegenden-Patient*in-Beziehung geht. Damit sollen Pflegende befähigt werden, das Selbstbestimmungsrecht und die individuelle Situation der zu pflegenden Personen in ihrem Pflegealltag stärker zu berücksichtigen.

Kernaussagen unserer Forschungsergebnisse

· In den alltäglichen Arbeitsroutinen von Personen aus dem Gesundheitsbereich können das Kind-Sein und das trans*-Sein zwei nur schwer miteinander vereinbare Zuschreibungen und Identifikationskategorien darstellen, welche die Handlungsroutinen und die sozialen Beziehungen zwischen dem Personal des Gesundheitswesens und die:der Patient:in beeinflussen.

· Minderjährige trans* Kinder und Jugendliche haben einen Anspruch auf Schutz, einen würdevollen Umgang, Fürsorge und Respekt, Selbstbestimmung und Gleichstellung bei/in Behandlungsroutinen und Maßnahmen im Gesundheitswesen.

· Minderjährigen trans* Kinder und Jugendlichen werden von verschiedenen Akteur:innen im Gesundheitswesen soziale, emotionale, biologisierte, psychologisierte und physische Defizite und damit verbunden eine spezifische Vulnerabilität zugeschrieben. Sie sollen vor nachhaltigen und zukünftigen Konsequenzen ihres gegenwärtigen Handelns und Fehlentscheidungen geschützt werden. Durch die Konstruktion einer Schutzbedürftigkeit kann die Selbstbestimmung/ Autonomie gemindert werden.

· Zwischen trans* Identität und Diagnose wird häufig eine konkrete Kausalität hergestellt, obwohl die sozialen Anliegen und Bedarfe der Patient:innen trans*unabhängig auftreten.

· Diskriminierung, Stigmatisierung und trans* Feindlichkeit nehmen vielfältige Formen, Formate und Funktionen an: in/direkt, un/sichtbarer, institutionell, individuell und gesellschaftsstrukturell. Sie sind häufig die Effekte von mangelndem Wissen, politisch mobilisierten Ängsten und Irritationen in Bezug auf eigene sinnstiftende Entwürfe von vergeschlechtlichten Menschen- und Weltbilder.

 

Workshopkonzept zu trans*sensitiver Pflege, Versorgung und Betreuung

Dozierende finden hier ein Workshopkonzept sowie Arbeitsblätter für ein Workshop-Lehrformat. Die Materialien wurden im Rahmen von Projektworkshops überarbeitet und stehen frei zur Verfügung. https://doi.org/10.48441/4427.1960

a) Didaktisches Konzept für einen Workshop

b) Read me, before use

c) Workshop Pflegeweiterbildung I

d) Workshop Pflegeweiterbildung II

e) Workshop medizinische Fachweiterbildung

 

Publikationen

· Bolz, Manuel/Wöhlke, Sabine: „Geschlechterforschung. Rehabilitation: Geschlecht und Sexualität werden vernachlässigt“ In: Heilberufe – Pflege einfach machen 7-8/75 (2023), S. 43.

· Bolz, Manuel/Wöhlke, Sabine: Forschungspraxis, Diskriminierungsformen und Handlungsmöglichkeiten in der Pflege, Versorgung und Betreuung von trans*-Kindern und -Jugendlichen. Ein Forschungsbericht. In: Curare. Zeitschrift für Medizinethnologie 45/2 (2022) „Lebensanfänge und -enden. Ethnographische Erkundungen und methodologische Reflexionen“, S. 83-101.

· Schneider, E./Wöhlke, S. (2022): Würde und Einzigartigkeit respektieren. Umgang mit Geschlechtervielfalt in der Pflegefachausbildung. In: Pflege Zeitschrift, S. 48-52.

 

in Bearbeitung

· Bolz, M./Wöhlke, S. (2025): Partizipation revisited. Metho(dolog)ische Forschungsreflexionen vulnerabler Gruppen im Gesundheitssystem, Gender Thoughts

· Wöhlke, S., Bolz, Manuel (2025): Herausforderungen für Pflegende und Angehörige weitere Versorgungsberufe des Gesundheitswesens im Umgang mit trans* Kindern und Jugendlichen – Ergebnisse einer qualitativen Studie. In: Wiesemann, C., Hädicke, M., Günther, M., Föcker, M, Siebald, M., Romer, G. (Hg.): Trans*geschlechtlichkeit bei Kindern und Jugendlichen, Springer Verlag (im Erscheinen)

· Bolz, M., Patch, H., Motakef, M., Wöhlke, S. (2025): Temporal Effects: How Cisheteronormativity and Reproductive Injustice Engender Preventing, Postponing, and Becoming in Trans* Biographies (under review)

 

Übersicht Vorträge & Workshops auf wiss. Tagungen

02/2024: Sabine Wöhlke/Manuel Bolz: „Nichtdiskriminierender Umgang mit minderjährigen trans* Personen durch Pflegende und Angehörige des Gesundheitswesens“, „Im Spannungsfeld zwischen Vulnerabilität und Pflege- bzw. Versorgungsqualität. Ethische Reflexionen für Gesundheitsberufe und Gesundheitssystem“, 2. Pflegeethik-Kongress, 22-23. Februar 2024, Universität Wien

10/23: Manuel Bolz „The care, support and provision of trans* children and adolescents – medical anthropological perspectives on gender identity within the german health sector”, 19. World Anthropology Congress (IUAES-WAU), University of Delhi, digital, 16.10.2023

09/23: Manuel Bolz, Sabine Wöhlke (gemeinsam mit Mona Motakef und Holly Patch, TU Dortmund): „trans* Kindheit, Adoleszenz und Familiengründung. Zeitlichkeit im Leben von trans* Menschen. Die Rolle des Gesundheitssektors„, Tagung „Krisen, Körper, Kompetenzen. Methoden und Potentiale medizinanthropologischen Forschens“, 35. Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Ethnologie und Medizin (AGEM) in Kooperation mit dem 20. Arbeitstreffen der Kommission Medizinanthropologie der Deutschen Gesellschaft für Empirische Kulturwissenschaft (DGEKW), 09.09.2023, Warburg-Haus Hamburg

04/23:Manuel Bolz:„Experiences of transgender children, adolescents and their guardians in the health care system and their impact for a needs-orientated health care„ State-of-the-Art-Symposium TRANS*KIDS: Experiences of transgender children, adolescents and their guardians in a German health care system, 26-28. April, 5th Conference der European Professional Association for Transgender Health (EPATH) „Strengthening the standards: communities and research“, Killarney (Irland) – Präsentation zum Hamburger Teilprojekt krankheitsbedingt entfallen

11/22: Manuel Bolz:„Pflege- und Verwaltungshandeln mit trans* Kindern und Jugendlichen in klinischen Settings: intersektionale Perspektiven„, Tagung „Intersectional Subjectivities in Art, Activism, and Academia“, 07./08. November 2022, Zentrum für Gender- und Diversitätsforschung (ZGD), Eberhard-Karls-Universität Tübingen, digital

07/22: Manuel Bolz: „Pflege und Betreuung von trans* Kindern und Jugendlichen in klinischen Alltagen während der Pandemie“, 19. Arbeitstreffen des Netzwerks Gesundheit und Kultur in der volkskundlichen Forschung „Die Ruhe nach dem Sturm? Medikalisierte Alltage in Zweiten der Covid-19-Pandemie, 7. Juli 2022, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, digital

06/22: Manuel Bolz: „Person-related care communication and interaction with trans* children and adolescents in clinical nursing settings“ (gemeinsam mit S. Wöhlke), „Visual Expressions of health, illness and healing“, 34th Annual Conference of the Association for Anthropology and Medicine (AGEM) in cooperation with the Austrian Ethnomedical Society and the Weltmuseum Wien, 02.-04. Juni, Wien

05/22: Manuel Bolz: „Personenbezogenes Pflegehandeln in der klinischen Versorgung von trans* Kindern, Jugendlichen und deren Sorgeberechtigkeiten“ (gemeinsam mit S. Wöhlke), Symposium: TRANS*KIDS: Erfahrungen von trans* Kindern, Jugendlichen und deren Sorgeberechtigten im Gesundheitswesen und deren Bedeutung für eine bedarfs- und bedürfnisgerechte Gesundheitsversorgung (Symposium), XXXVII. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) „Zukunft! „Vonsoweit her bis hierhin – von hier aus noch viel weiter“, 18-21 Mai 2022, Messe Magdeburg

03/22: Manuel Bolz:„Personenbezogene Pflegekommunikation und Pflegehandeln in der klinischen Versorgung von trans*Kindern, Jugendlichen und deren Sorgeberechtigten“, 4. Transdisziplinäre Fachtagung des Netzwerks Gesundheitskommunikation „Anwendungen Eingriffe Pflege(n)“, 04-05.03.2022, digital

 

Projektleitung: Prof. Dr. Sabine Wöhlke

In Kooperation mit: Prof. Dr. Claudia Wiesemann (Universitätsmedizin Göttingen)

Duration
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Budget
15.000
Funding
Bundesministerium für Gesundheit (BMG)
Unit
CCG - Gesundheit Fakultät Life Sciences
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