Das Problem: Bewegungsmangel im Alter
Die 83-jährige Frau Unbeweglich schaut sehnsüchtig aus dem Fenster ihres Seniorenheims. Der blinde Herr Sehnix erhascht in seiner Blindeneinrichtung einen frischen Luftzug vom geöffneten Fenster. Beide würden sich so gerne in der freien Natur bewegen und einen Spaziergang machen. Beiden fehlt die Bewegung. Beiden schießt es durch den Kopf: „Wenn mich doch mal wieder jemand auf einen Spaziergang begleiten und an die Hand nehmen könnte …“
Viele ältere oder sehbehinderte Menschen wünschen sich mehr Bewegung und Unabhängigkeit – doch oft fehlt die notwendige Begleitung. Pflegekräfte sind oft überlastet, und die damit einhergehende eingeschränkte Mobilität führt zu gesundheitlichen Problemen wie Muskelschwund, allgemeine Unzufriedenheit und Langeweile, was zu depressiven Störungen führen kann. Außerdem sind bei alleinigen Spaziergängen Stürze und daraus resultierende Verletzungen vorprogrammiert, was die Pflege wiederum aufwändiger macht.
Die Folge: Eine Abwärtsspirale aus Bewegungsmangel, Pflegebedürftigkeit und steigendem Betreuungsaufwand.
Mit dem Projekt "Shared Guide Dog 4.0" wurde ein erster technischer Ansatz geschaffen, um diese Herausforderung anzugehen. Nun geht der Schritt weiter: der Safe Walker.
Das Projekt: Safe Walker
Aufbauend auf den Erfahrungen des Shared Guide Dog, verfolgt das Projekt Safe Walker das Ziel, älteren Menschen sowie Personen mit Seh- oder Orientierungseinschränkungen eine sichere, selbstständige Fortbewegung im urbanen Raum zu ermöglichen. Im Mittelpunkt steht die Entwicklung eines intelligenten Rollators, der Hindernisse erkennt, sich eigenständig orientiert und mit der nutzenden Person kommuniziert. Durch den Einsatz moderner Technologien – wie Sensorik, KI-gestützter Bildauswertung und präziser Lokalisierung – soll der Safe Walker als Assistenzsystem dazu beitragen, Mobilität, Teilhabe und Lebensqualität im Alter zu erhalten und zu fördern.
Herausforderungen auf dem Weg dahin
Die Umsetzung des Safe Walker ist technisch anspruchsvoll und erfordert Lösungen in mehreren Bereichen. Eine zentrale Herausforderung liegt in der exakten Positionsbestimmung: Herkömmliches GPS funktioniert in engen Straßen oder bei dichter Bebauung nur eingeschränkt. Daher wird mit ergänzenden Technologien wie Ultra-Wideband (UWB) gearbeitet, um die nötige Genauigkeit im urbanen Raum zu gewährleisten. Gleichzeitig muss das System in der Lage sein, unterschiedliche Hindernisse – etwa Fußgänger, Fahrräder oder Pfützen – in Echtzeit zu erkennen und korrekt zu interpretieren.
Auch die Mensch-Maschine-Kommunikation ist komplex: Warnungen, Hinweise oder Navigationsbefehle müssen individuell an die Sinneseinschränkungen der Nutzer angepasst werden. Das System kommuniziert über akustische Signale, Vibrationen oder Berührungsreize – je nach Bedarf der jeweiligen Person – und sorgt so dafür, dass wichtige Informationen auch in lauten oder unübersichtlichen Umgebungen eindeutig verstanden werden.
Das System verfügt über mehrere zentralen Funktionen, die eine sichere und effiziente Nutzung ermöglichen: Er navigiert selbstständig auf Gehwegen sowie durch Parks und umfährt dabei zuverlässig Hindernisse wie Bordsteine oder bewegliche Objekte. Die sichere Rückführung des Nutzers nach Hause ist integraler Bestandteil. Darüber hinaus kann der Safe Walker mit seiner Umgebung interagieren, etwa durch die Erkennung und Verarbeitung von Ampeln oder Verkehrssignalen mithilfe moderner V2X-Technologie.
Das Projekt vereint damit Anforderungen der Inklusion - aus unterschiedlichen Disziplinen - von Technik und Künstlicher Intelligenz über Pflege, bis hin zur städtischen Infrastruktur – mit dem Ziel, ein verlässliches, menschenzentriertes Assistenzsystem für den Alltag zu schaffen.
Weiterführende Informationen
Gärtner, Henner; Müller, Tankred:
Themenkongres Mobilität. Kongress der HAW Hamburg Hamburg mit einer Keynote des Hamburger Verkehrsenators Dr. Anjes Tjarks, mit 4 parallelen Vortragssessions und insgesamt 24 Vorträgen, Hamburg, 22.05.2025.
Gärtner, Henner:
Autonome mobile Roboter in der Industrie – Technik und Anwendungsbereiche. Vortrag auf dem Themenkongress Mobilität 2024, HAW Hamburg, 22.05.2025.
Gärtner, Henner:
Ultra Wide Band – Lieferroboter hochpräzise durch die Stadt lenken. Vortrag auf dem Themenkongress Mobilität 2024, HAW Hamburg, 22.05.2025.
Khosravi, Ellahe; Al-Faqih, Sam:
Shared Guide Dog / SafeWalker. In: TU Bergakademie Freiberg, TU Hamburg Harburg (Veranstalter): Workshop on Autonomous Delivery and Service Robots on Pedestrian and Cycle Paths. mFUND, Schkeuditz, 19.+20.05.2025.
Bayer Vital GmbH (Hrsg.):
Autonomes Assistenzsystem für Menschen mit Netzhauterkrankung – sich im Alltag sicher bewegen. VisusVital.de, 05.02.2025
Gärtner, Henner; Kleinelümern, Kevin:
Blind vertrauen können – Inklusive Stadt der Zukunft. Gastbeitrag in: Behördenspiegel Nr. XI, 40. Jg., 44. Woche, ISSN 1437-8337, 13.11.2024, S. 13.
Videos
Deutsche Welle (Hrsg.):
Digital Guide Dog, DW Stories, Instagram, 16.07.2024.
Deutsche Welle (Hrsg.):
Shared Guide Dog, DW Stories, 1 min Facebook Video, 17.07.2024.
Grützmacher, Hagen; Rabe, André; Stahr, Pascal; Gärtner, Henner:
Joggen für Sehbehinderte? Der digitale Blindenhund. Video 2:31 min mit Rabe, André; Stahr, Pascal; Gärtner, Henner, Evangelischer Pressedienst, Hamburg, 08.02.2024.
Publikationen
Gärtner, Henner:
Der rollende Shared Guide Dog 4.0 – Ein neues Hilfsmittel am Horizont. in: Orientierungshilfe - Fachzeitschrift des Bundesverbandes der Rabilitationslehrer-/innen für Blinde und Sehbehinderte e. V., Ausgabe 46/2024, S. 55-57, 12.04.2024.
Weitere Projekte
Gärtner, Henner; Kleinelümern, Kevin; Patel, Bhavinkumar:
Inklusionstage 2024 des BMAS. Messestand des Projekts GehwegNavi, Berlin, 04.04.2024.
Projektteam
- Patel, Bhavinkumar
- Khosravi, Ellahe
- Al-Faqih, Sam