Software Jarvis verfügbar

Für die Energiewende spielen Expertentools, die die Integration von erneuerbaren Energien in bestehende Energienetze simulieren, eine wichtige Rolle. Forschende der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW Hamburg) entwickeln zu diesem Zweck die Simulationssoftware Jarvis. Diese bietet eine kostenlose und leistungsfähige Simulation von Wärmenetzen in hoher Auflösung und als kooperativ bedienbare Web-Applikation. Jarvis wurde nun unter einer Open Source Lizenz veröffentlicht. Potentielle Nutzer*innen sind Energieversorger, Stadtwerke sowie Planer*innen und Wissenschaftler*innen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen.
Die Software wird seit 2017 im Rahmen von Forschungsprojekten zur Wärmewende, zuletzt im Reallabor „Integrierte Wärmewende IW3“, am Competence Center für Erneuerbare Energien und EnergieEffizienz (CC4E) der HAW Hamburg entwickelt. Jarvis kann dazu genutzt werden, unterschiedliche Ausbau- und Erzeugungsszenarien in Wärmenetzen vorab zu untersuchen und so die technisch machbaren und ökonomisch günstigsten Transformationskonzepte für eine klimaneutrale Wärmeversorgung zu identifizieren.
Simulationen in hoher Auflösung
Für Jarvis wurde ein vollkommen neuer, verteilter Rechenansatz entwickelt, der eine leistungsfähige, zeitlich hoch aufgelöste Simulation auf hochperformanten Rechenclustern, sogenannten High Performance Computing (HPC) Netzwerken ermöglicht: Die Architektur des Simulators berechnet die Zustände eines Modells in einem verteilten System auf einer beliebigen Anzahl an Rechenknoten und Prozessoren. Dadurch muss unzureichende Simulationsperformanz nicht mehr durch die Reduktion des Detailgrades ausgeglichen, sondern kann durch die Wahl ausreichender Hardwareressourcen gelöst werden.
Die hohe Auflösung in Jarvis kann zur Klärung zentraler Fragen beitragen, die bei der Integration von neuen erneuerbaren Wärmeerzeugern in bestehende Netze mit bereits existierenden Anlagen entstehen:
Können bestehende Netze die Wärmekunden weiterhin ausreichend versorgen? Wo entstehen Engpässe, und zu welchen Tageszeitpunkten? Wie kann eine optimierte Erzeugerregelung dem entgegenwirken?
Zur Beantwortung dieser Fragen ist eine zeitlich hoch aufgelöste Simulation von Netzmodellen mit hohem Detailgrad (häufig auch „Digitaler Zwilling“ genannt) Voraussetzung. Durch den verteilten Ansatz und die hohe Performanz können mit Jarvis solche Modelle aufgebaut werden und so genaue Vorhersagen von Druck- und Strömungsverhältnissen oder das Verhalten von Regelungen in Wärmenetzen abgebildet werden.
Die bisherigen Entwicklungsarbeiten konzentrierten sich auf die Modellierung und Simulation von Wärmenetzen. Der konzeptionelle Ansatz der Software ermöglicht jedoch auch die Modellierung und Simulation von Netzen sowie Systemen und Komponenten des Strom- oder Gassektors sowie von technischen Systemen im Allgemeinen. Somit kann Jarvis zukünftig genutzt werden, um zusätzlich sektorenübergreifende Ausbau- und Versorgungsszenarien zu untersuchen und zu evaluieren, was im Rahmen einer erfolgreichen Energiewende wichtig ist. Hierfür sind sehr umfassende Simulationsmodelle nötig, deren Berechnung hohe Ansprüche an die Rechenperformanz stellen. Ein solcher Detailgrad ist mit den am Markt vorhandenen erprobten und validierten Simulationsprogrammen entweder noch nicht möglich oder es müssen sehr lange Rechenzeiten in Kauf genommen werden.
Kooperative Bedienung im Browser
Die Benutzeroberfläche von Jarvis wurde nach dem modernen Ansatz einer Web-Applikation konzipiert: Benutzer*innen sind nicht mehr auf die Installation einer lokalen Anwendung angewiesen sind, sondern können Jarvis bequem im Browser bedienen. Dadurch müssen persönliche Computer nicht mehr über größere Rechenressourcen verfügen, da die Berechnung der Simulation auf einem leistungsfähigen Server oder Rechencluster geschieht. Der Ansatz ermöglicht sowohl die gleichzeitige, kooperative Bearbeitung als auch die Simulation von Projekten durch mehrere Benutzer*innen.
Aktuell deckt Jarvis unter anderem folgende Anwendungsfelder ab:
- Simulation und Analyse des energetischen und thermo-hydraulischen Verhaltens von Wärmenetzen, z.B. Transformations- und Ausbauszenarien mit hoch aufgelösten Modellen
- Berechnung von Betriebszuständen in Echtzeit ("Digitaler Zwilling")
- Analyse und Vorhersage von betrieblichen Engpässen
- Identifikation von Maßnahmen zur Temperaturabsenkung in Wärmenetzen
- Modellierung und Simulation bis hin zur Regelungsebene
Zugang für breite Anwenderschaft und Bildung eines Entwicklungskonsortiums
Durch den Open Source Ansatz von Jarvis, welcher den Quellcode und vergangene Entwicklungsschritte des Programms öffentlich einsehbar macht, ermöglicht die HAW Hamburg einen transparenten Zugang zur Entwicklung sowie zum Funktionsumfang der Software. Die Entwickler*innen präsentieren damit, neben weiteren Software-Projekten aus der deutschen Hochschullandschaft, einen Gegenentwurf zur mitunter undurchsichtigen Produktpalette herstellereigener Simulationswerkzeuge für die Energiebranche. Zusätzlich ermöglicht der Ansatz die kooperative, Hochschul- und Branchenübergreifende Weiterentwicklung der Software. Beiträge von einfachen Änderungen an der Dokumentation bis hin zur Entwicklung neuer Funktionen sind möglich und willkommen.
Jarvis wird auf diese Weise allen Anwender*innen aus Forschung und Praxis (z.B. Forschungsgruppen, Hochschulen, Energieversorgern, Stadtwerken, Planer*innen) langfristig und kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Bislang war das Simulationstool nur für Mitarbeitende der HAW Hamburg einsatzfähig und wurde in verschiedenen Anwendungsfällen auf einem Rechencluster des CC4E am Standort Hamburg-Bergedorf eingesetzt und erprobt.
Für die zukünftige Weiterentwicklung der Softwarewurde eine Roadmap mit priorisierten Weiterentwicklungen der Software erstellt. In den kommenden Monaten soll damit ein Konsortium sowie ein Finanzierungsplan für ein Entwicklungsprojekt in Kooperation mit Forschungseinrichtungen und Anwender*innen aus der Praxis zusammengestellt werden. Für Interessierte an der Anwendung bis hin zu einer Beteiligung am Entwicklungskonsortium besteht die Möglichkeit zum Kontakt:
HAW Hamburg / CC4E
Paul Kernstock, 040 428 75 5807
jarvis (at) haw-hamburg (dot) de
Links: https://gitlab.com/jarvis-simulation,https://gitlab.com/jarvis-simulation/jarvis#roadmap