Wer kennt es nicht: Ein Stück Vollmilchschokolade auf der Zunge – und plötzlich ist die Welt ein wenig besser. Doch was passiert dabei eigentlich in unserem Gehirn? In einer aktuellen Studie untersuchen Forscher*innen der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW Hamburg) erstmals mithilfe der funktionellen Nahinfrarotspektroskopie (fNIRS), wie das menschliche Gehirn auf unterschiedliche Geschmäcker und Schokoladensorten reagiert – mit überraschenden Erkenntnissen.
Veröffentlicht wurde die Studie im Fachjournal Applied Food Research. Das interdisziplinäre Forschungsteam bestand aus Prof. Dr. Stephan G.H. Meyerding (Projektleiter), Xiaochuan He (Datenerhebung) und Prof. Dr. Andrea Bauer (Beratung zur sensorischen Methodik) – alle Mitglieder der HAW Hamburg.
Schmecken im Gehirn
Ziel der Studie war es, neuronale Aktivitätsmuster bei der Wahrnehmung süßer und bitterer Grundgeschmäcker sowie bei der Bewertung von Vollmilch- und Bitterschokolade sichtbar zu machen. Dabei kam die mobile und alltagstaugliche fNIRS-Technologie zum Einsatz – ein bildgebendes Verfahren, das den Sauerstoffgehalt des Blutes im Gehirn misst und somit Rückschlüsse auf neuronale Aktivität erlaubt Im Zentrum der Untersuchung stand die Frage: Spiegelt sich unsere Geschmacksvorliebe auch im Gehirn wider? Die Antwort: Ja – aber nicht immer eindeutig.
So lief die Studie ab
In einem sensorisch ausgestatteten Labor an der HAW Hamburg verkosteten 31 Testpersonen unter kontrollierten Bedingungen fünf verschiedene Proben: Wasser (als Kontrollprobe), eine süße (Zuckerlösung), eine bittere (Koffeinlösung), Vollmilchschokolade und Bitterschokolade mit 85 Prozent Kakao. Währenddessen zeichnete die fNIRS-Technologie die neuronalen Reaktionen im Stirnlappen (präfrontaler Cortex) auf – dem Sitz von Entscheidungen und Emotionen.
Zusätzlich bewerteten die Teilnehmenden Geschmack und Vorlieben auf einer siebenstufigen Skala. Die Ergebnisse waren aufschlussreich: Fast die Hälfte erkannte die süße Lösung, nur etwa ein Drittel die bittere – ein Hinweis auf individuelle Unterschiede in der Geschmackssensibilität.
Was zeigt das Gehirn?
Die süße Lösung führte eher zu einer verminderten neuronalen Aktivität, während die bittere Lösung vermehrte Aktivität auslöste – ein Befund, der frühere Studien bestätigt. Besonders spannend: Menschen, die süß oder bitter klar erkennen konnten, zeigten bei entsprechender Schokolade (zum Beispiel Vollmilch vs. Bitter) stärkere neuronale Reaktionen. Bei den „Liebhabern“ (Likers) der jeweiligen Schokolade zeigten sich im Vergleich zu den „Ablehnern“ (Dislikers) signifikant andere Aktivitätsmuster in bestimmten Hirnregionen – allerdings nicht durchgängig konsistent.
Was bedeutet das für Verbraucherinnen und Verbraucher, Politik und Wirtschaft?
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass Geschmackswahrnehmung nicht nur subjektiv ist, sondern auch im Gehirn sichtbar wird“, so Prof. Meyerding. „Das eröffnet neue Möglichkeiten für die Entwicklung gesünderer und zugleich beliebterer Lebensmittel.“
Für die Lebensmittelwirtschaft bedeutet das: Neuromarketing-Methoden wie fNIRS könnten helfen, Konsumpräferenzen frühzeitig vorherzusagen und Produkte gezielter zu gestalten – gerade in einem Markt, der zunehmend auf gesunde, nachhaltige und trotzdem genussvolle Ernährung setzt.
Für die Politik und Gesundheitskommunikation ergeben sich Chancen, Ernährungskampagnen besser zu gestalten – etwa indem man erkennt, welche Geschmacksprofile besonders aktivieren oder abschrecken.
Und für Konsument*innen wird deutlich: Geschmack ist nicht nur eine Frage des Gaumens – auch unser Gehirn entscheidet mit.
Die Autor*innen betonen: Weitere Studien mit größeren Stichproben sind nötig, um die Ergebnisse zu verallgemeinern. Dennoch legt diese Pilotstudie einen wichtigen Grundstein für die Verbindung von sensorischer Forschung, Konsumentenverhalten und Neurowissenschaft – und macht sichtbar, was sonst im Verborgenen liegt: wie unser Gehirn Geschmack empfindet.
