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„Wir wollen den Wandel in der Ernährung mitgestalten"

Der Start des Forschungsprojekts PIONEER markiert eine neue Phase in der Entwicklung nachhaltiger Ernährungskonzepte. Alternative Proteinquellen stehen dabei im Mittelpunkt – sie sollen Umwelt und Klima entlasten und gleichzeitig eine gesunde Ernährung ermöglichen. Im Gespräch erklärt Inka Alten, worum es bei PIONEER geht.

Projekt PIONEER mit den fünf Handlungsfeldern Fermentierte Proteine, Insektenproteine, Pflanzliche Proteine, Kultivierte Proteine und Innovative Ansätze© PIONEER / HAW Hamburg

Das Projekt Pioneer bündelt zentrale Forschungsfelder rund um alternative Proteinquellen.

Frau Alten, was sind alternative Proteinquellen?
Proteine sind für den menschlichen Körper essenziell. Sie bestehen aus Aminosäuren und sind unter anderem für den Aufbau und die Reparatur von Zellen sowie für die Bildung von Enzymen, Hormonen und Antikörpern verantwortlich. Wenn wir von „alternativen Proteinquellen“ sprechen, meinen wir damit Lebensmittel, die tierische Produkte wie Fleisch, Fisch, Milch oder Eier ersetzen können – entweder ganz oder teilweise. 
 

Wir brauchen Alternativen, die nicht nur ökologisch sinnvoll sind, sondern auch alltagstauglich.

Inka Alten, HAW Hamburg

Können Sie ein paar Beispiele nennen?
Zu den pflanzlichen Alternativen zählen etwa Hülsenfrüchte wie Erbsen, Linsen, Soja oder Bohnen, aber auch Lupinen, Getreide, Nüsse und sogar Algen. Dann gibt es zellbasierte Produkte, also Fleisch oder Fisch, das aus tierischen Zellen im Labor hergestellt wird. Ein weiterer Bereich sind fermentationsbasierte Proteine. Hier wandeln Mikroorganismen Zucker und andere Nährstoffe in Eiweiß um – entweder durch traditionelle Verfahren oder durch sogenannte Präzisionsfermentation, bei der Mikroorganismen gezielt genetisch verändert werden, um bestimmte Proteine herzustellen, etwa für vegane Käsealternativen. Und schließlich gibt es noch insektenbasierte Proteinquellen, etwa aus Mehlwürmern oder Grillen. Diese werden in vielen asiatischen Ländern schon lange genutzt und gelten als besonders ressourcenschonend.

Die alternativen Proteinquellen stehen im Fokus von PIONEER …
Ja, ein gemeinsames, im Juni gestartetes Forschungsprojekt der HAW Hamburg, der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) und der Food-Processing Initiative (FPI). Es bündelt zentrale Forschungsfelder rund um alternative Proteinquellen. Ziel ist es, innovative Ansätze und nachhaltige Technologien zu fördern, die eine zukunftsfähige Ernährung ermöglichen. 

Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Vernetzung: PIONEER bringt Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft und Praxis zusammen – von Forschungsinstitutionen über Start-Ups bis hin zu etablierten Unternehmen der Lebensmittelbranche. Und es geht nicht zuletzt um den Transfer von Wissen in die Gesellschaft. Wir wollen Forschungsergebnisse sichtbar machen und verständlich kommunizieren – etwa durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit wie Fachveranstaltungen, verständlich formulierte Inhalte in sozialen Median oder praxisnahe Formate. So will PIONEER dazu beitragen, die Akzeptanz alternativer Proteine zu erhöhen und den Wandel in der Ernährung aktiv mitzugestalten.

Warum gewinnen die Alternativen gerade jetzt an Bedeutung?
Der Lebensmittelsektor ist für etwa ein Drittel der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Besonders die konventionelle Tierhaltung belastet das Klima und die Umwelt stark. Gleichzeitig wächst die Weltbevölkerung, Ressourcen wie Wasser und Ackerflächen werden knapper. In dieser Situation kann tierisches Protein allein die Versorgung mit hochwertigen Eiweißen nicht mehr sicherstellen.

Wir brauchen also Alternativen, die nicht nur ökologisch sinnvoll sind, sondern auch alltagstauglich. Das heißt: Sie müssen gut schmecken, vielfältig sein und leicht verfügbar. Je einfacher der Zugang und je größer die Auswahl, desto eher gelingt es, den Konsum tierischer Produkte zu reduzieren – und zwar ohne das Gefühl, auf etwas verzichten zu müssen.

Sind diese neuen Proteinquellen auch gesünder als Fleisch und Co.?
Das lässt sich nicht pauschal beantworten, aber es gibt gute Hinweise. Fachgesellschaften wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfehlen, den Verzehr von Fleisch – insbesondere von rotem Fleisch und verarbeiteten Produkten wie Wurst – auf maximal 300 Gramm pro Woche zu begrenzen. Ein hoher Konsum dieser Lebensmittel wird mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-2-Diabetes und bestimmten Krebsarten in Verbindung gebracht.

Viele pflanzliche Produkte enthalten reichlich Ballaststoffe, gesunde Fette sowie wichtige Vitamine und Mineralstoffe. Die sogenannte „Planetary Health Diet“, entwickelt von der EAT-Lancet-Kommission, verfolgt einen ähnlichen Ansatz: Sie empfiehlt eine Ernährung, die sowohl gesundheitsfördernd ist als auch die planetaren Belastungsgrenzen respektiert – unter anderem durch weniger Fleisch und mehr pflanzliche Lebensmittel.
Bei innovativen Produkten wie kultiviertem Fleisch liegen allerdings noch nicht genügend Daten vor, um sie abschließend gesundheitlich zu bewerten. Auch bei sogenannten Hybridprodukten – also Lebensmitteln, die Fleisch teilweise durch pflanzliche Proteine ersetzen – kommt es auf die genaue Zusammensetzung an. Aber viele dieser Produkte schneiden im Vergleich zu klassischer Wurst oder Hackfleisch besser ab, etwa beim Fettgehalt oder beim Anteil an Ballaststoffen. Insgesamt kann der Ersatz von Fleisch durch pflanzliche Proteine die Ernährung ausgewogener machen und die Vielfalt auf dem Teller erhöhen.

Welche Rolle spielt die HAW Hamburg in dem PIONEER-Projekt?
Das Team der HAW Hamburg übernimmt die wissenschaftliche Begleitung und Evaluation der gesamten Fördermaßnahme. Wir analysieren die Arbeiten im Gesamtprojekt und in den einzelnen Teilprojekten – unter anderem mit Blick auf Erfolge, Herausforderungen und bestehende Hürden. Wir holen Feedback zur Vernetzung und zum Transfer ein, um die Maßnahmen kontinuierlich weiterzuentwickeln. Dabei identifizieren wir Unterstützungsbedarfe und entwickeln gemeinsam tragfähige Lösungen. Genauso adressieren wir übergreifende Fragestellungen – etwa zur gesellschaftlichen Akzeptanz neuer Proteinquellen oder zu regulatorischen Hürden im Zulassungsverfahren.

Unser besonderer Fokus liegt auf der zielgruppengerechten Aufbereitung und Kommunikation der Erkenntnisse. Denn diese sollen nicht nur Fachkreise diskutieren, sondern auch für Verbraucher*innen, Unternehmen und politische Entscheidungsträger*innen sichtbar und verständlich sein. So wollen wir zur gesellschaftlichen Sichtbarkeit und langfristigen Akzeptanz alternativer Proteinquellen beitragen.

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