024-Pulvermetallurgie

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Transkript

Hallo - es ist wieder Zeit für etwas Fertigungstechnik

Ich bin Jens Telgkamp, Professor am IPT der HAW Hamburg. Und fast immer, wenn ich das Mikrofon aufbaue, geht es um die Additive Fertigung. Heute tritt jedoch eine Ausnahme ein: das Thema ist die Pulvermetallurgie. Ein Bisschen Additive Fertigung kommt dennoch vor – sorry, ich kann nicht anders.

Pulvermetallurgie – was ist das eigentlich? Ein Begriff, der damit verbunden ist, ist das Sintern. Beim Sintern werden feinkörnige keramische oder metallische Stoffe – manchmal unter erhöhtem Druck – erhitzt, wobei die Temperaturen unterhalb der Schmelztemperatur der Hauptkomponenten bleiben, so dass die Gestalt (Form) des Werkstückes erhalten bleibt. Ziel ist es, dass die einzelnen Körner des Pulvers durch Diffusionsvorgänge so zusammenlaufen, dass ein neuer Stoffzusammenhalt und damit ein neues Bauteil entsteht. Folglich gehört das Verfahren zur Hauptgruppe des Urformens: es wird aus formlosem Stoff – dem Pulver – eine feste Bauteilgeometrie erzeugt, ähnlich wie beim Gießen aus der flüssigen Schmelze.

Das ist also Sintern – wo ist nun der Zusammenhang mit dem Begriff der Pulvermetallurgie? Pulvermetallurgie ist der Oberbegriff! Einfach ausgedrückt: „Sintern“ ist das, was im Sinterofen stattfindet. Wenn es nur das Sintern gäbe, könnte man also kleine Häufchen aus Pulver im Sinterofen zu festen und noch kleineren Häufchen aus Metall oder Keramik fertigen. Diese Häufchen könnte man sich dann auf den Schreibtisch stellen, wo eigentlich aber auch schon genug Mist rumliegt. Tatsächlich will man ja nicht nur Pulverhäufchen zu festen Häufchen versintern, sondern Bauteile einer bestimmten Geometrie erzeugen. Ich muss das Pulver also vorher schon in die richtige Form bringen, die dann hoffentlich im Sinterprozess erhalten bleibt. Das alles gehört bei der Pulvermetallurgie dazu – und nimmt in dieser Podcastfolge sogar den prominenten Teil ein.

Bevor wir zu den Möglichkeiten der Formgebung kommen, klären wir mal schnell, in welchen Bereichen gesinterte Teile – ich spreche im Folgenden hauptsächlich über Metallteile – überhaupt zum Einsatz kommen. In meinem Browserfenster läuft gerade eine Bildersuche. In diesem Fall ist es eine Suche nach Bildern von Sinterbauteilen. Ich sehe viele kleine bis mittelgroße Getriebeteile, Mechanikhebel, Gestängeteile, Zahnräder. Also belastete Bauteile mit mechanischen Funktionen. Ich weiß, dass ein Hersteller nobler Automobile (ich kann mich nicht erinnern, ob es der aus München, der aus Stuttgart, oder der aus Ingolstadt war), angibt, dass in den guten Sechszylinder-Motoren eine große Anzahl von pulvermetallurgisch hergestellten Metallteilen verbaut ist, es waren auf jeden Fall über 10 kg pro Motor. Das gibt schonmal die Richtung vor: es geht offensichtlich in den meisten Fällen um Bauteile, die in Serie produziert werden und eine gewisse mechanische Belastbarkeit haben. Allerdings muss man fairerweise dazusagen: so gut wie beispielsweise Schmiedebauteile sind die gesinterten Kollegen meistens nicht. Im Motor sind wahrscheinlich die Pleuel des Antriebs selbst als Schmiedeteile ausgeführt, die Bauteile der Ausgleichswellen (damit der Sechszylinder dann auch geschmeidig läuft), sind dann vielleicht unsere Sinterbauteile.

Wie kommt das Pulver denn nun in die beabsichtigte Form? Die erste Möglichkeit ist die klassische Lösung: durch Pressen! Wir nehmen ein geeignetes Presswerkzeug, welches die Form des späteren Bauteils vorgibt, und betreiben dieses Werkzeug in einer Presse, beispielsweise einer Hydraulikpresse. Wenn die Geometrie des herzustellenden Bauteils komplizierter wird, dann kommen bewegliche Teile des Stempels nicht nur von oben, sondern auch von unten und von den Seiten – in einem gesteuerten Bewegungsablauf. Das Pulver hält dann in Abhängigkeit vom Pressdruck mehr oder weniger gut zusammen. Das entstandene Zwischenprodukt heißt „Grünling“, sieht auf den ersten Blick aus wie ein fertiges Metallteil, hat aber noch keine nennenswerte Festigkeit oder Steifigkeit. Meist lassen sich die Grünlinge mit bloßer Hand durchbrechen. Wenn unsere Studierenden einen Grünling – also vermeintlich ein massives Metallteil – versehentlich durchbrechen, dann haben sie oft den Eindruck, plötzlich in den Besitz von Superkräften gelangt zu sein. Wobei auffällt, dass die Superkräfte sich meist nicht bis zu den Klausuren am Ende des Semesters halten, teilweise nicht mal bis zum Schreiben des Laborberichts.

Zurück zum Prozess: Wir haben also jetzt Grünlinge, und mit denen geht es dann weiter in den Sinterofen, wo das Bauteil dann bei der entsprechenden Temperatur (etwa 2/3 bis 3/4 der Schmelztemperatur) und meist unter Schutzgas-Atmosphäre gesintert wird. Das entstandene Sinterbauteil ist dann ein festes Metallbauteil und meist etwa um 15-20% kleiner als der Grünling, und zwar in allen drei Raumrichtungen.

Die neueren Prozessrouten unterscheiden sich davon – wie bereits erwähnt – im Bereich der Formgebung. Anstelle des klassischen Pulverpressens kommt heute oft das Metallpulverspritzgießen (auch MIM, von „Metal Injection Molding“) zum Einsatz. Die Schnelldenker und Blitzmerker unter unseren Zuhörern wundern sich jetzt bereits, denn Spritzgießen ist ja eigentlich ein Herstellungsverfahren für Kunststoffteile, nicht für Metallteile. Und genau das ist der Trick: Es wird ein Kunststoffmaterial mit eingebetteten Metallpulverpartikeln, der sogenannte Feedstock, im Spritzguss mit einem Spritzgusswerkzeug in Form gebracht. Das ist dann der Grünling. Anschließend wird der eigentliche Kunststoff dann chemisch oder thermisch entfernt, und es bleibt nur noch das Pulver übrig, wobei die Pulverteilchen durch einen weiteren Hilfsstoff – das sogenannte Backbone Polymer – zusammengehalten werden. Dieser Zustand ist dann fertig für den Sinterprozess und heißt Bräunling.

Ach ja: Die neueste Methode, um unser Metallpulver in eine sinterfähige Form zu bekommen ist natürlich die Additive Fertigung – wie gesagt – ganz ohne kann ich nicht. Wieder werden Fertigungsverfahren benutzt, die eigentlich für den Kunststoff 3D-Druck geschaffen sind. Also zum Beispiel das Strangablegen / die Materialextrusion, das Granulatdrucken oder das Binderjetting. Wieder ist das entstandene 3D-Druck-Bautreil der Grünling, aus dem durch Austreiben des Kunststoffs, also des Binders, schließlich der Bräunling wird, und wieder kommt danach der Sinterprozess zum fertigen Metallteil. Der Vorteil der Additiven Fertigung ist auch hier erhalten: ich kann eine größere geometrische Gestaltungsfreiheit ausnutzen als beim Pulverpressen oder beim Metallpulverspritzgießen, und ich benötige kein formgebendes Werkzeug pro Bauteilgeometrie, sondern nur mein Equipment der Additiven Fertigung.

Der gesamte Prozess der Pulvermetallurgie hat selbstverständlich auch seine Nachteile. Eine der größten Herausforderungen ist die Schrumpfung. Je nach Bauteilgeometrie wird das Bauteil nicht gleichmäßig in alle Raumrichtungen schrumpfen, sondern sich dabei auch kräftig verziehen. Hier kann die Fertigungsprozesssimulation helfen, um schon beim Bauteildesign die später auftretenden Verzüge zu kompensieren und doch wieder ein maßhaltiges Bauteil zu erhalten. Wenn dann am Bildschirm der verwendeten Simulationssoftware schon ein kleines unförmiges Häufchen angezeigt wird, dann ist es wahrscheinlich genau das, was später im Bauraum liegt. Ich glaube, das lege ich mir auf den Schreibtisch…

 

geschrieben von Prof. Jens Telgkamp
eingesprochen von Prof. Jens Telgkamp