080-Feinschneiden
Die Episode
Transkript
Es ist Zeit für ein wenig Fertigungstechnik. Und für ein Türchen vom WissPod-Adventskalender 2025. Dazu am Ende der Folge weitere Informationen. Los geht’s!
[Intro des Adventskalenders]
[Klingeln vom Lichterglockenspiel im Hintergrund]
Das, was ihr hier im Hintergrund hören könnt, ist ein sogenanntes Lichterglockenspiel. Ich selbst erinnere mich seit frühester Kindheit an dieses Geräusch und das Schattenbild an der weihnachtlichen Zimmerdecke. Und warum? Zum Einen hatten wir Verwandtschaft in der damaligen DDR (ja, so alt bin ich), mit der es jedes Jahr einen weihnachtlichen Pakettausch gab. Und in einem davon muss mal so ein Lichterglockenspiel drin gewesen sein. Zum anderen hatte ich traditionsbewusste Eltern, zumindest was Familientraditionen angeht. So wurde das Glockenspiel jedes Jahr aufgebaut, zu Advent und Weihnachten betrieben und danach feinsäuberlich wieder verpackt und sicher auf dem Dachboden verstaut.
Für diese Podcastepisode habe ich allerdings nicht die altehrwürdige Variante genutzt, sondern ganz profan eine beim Onlineversand meines Vertrauens bestellt. Und nun werde ich meine Kolleg:innen damit ein wenig in weihnachtliche Stimmung versetzen bzw. ihnen auf den Keks gehen, damit es nicht ganz so ökologisch fragwürdig ist.
Im Original scheinen die Lichterglockenspiele eher aus Skandinavien zu stammen statt aus der DDR. Hierzulande sind sie aber eher aus letzterer Quelle bekannt.
Aber was zum [beep] hat das jetzt mit Fertigungstechnik zu tun?
Ich zerlege meines also ebenfalls feinsäuberlich wieder in seine Bestandteile.
Von unten nach oben geschaut besteht es aus folgenden Teilen:
- Ein Teller mit vier aufgelöteten Aufnahmen für die Kerzen
- Eine Mittelsäule mit zwei kaktusförmigen Armen für die Glocken, der Mittelteil ist sternförmig gestaltet
- Zwei Glocken, die aussehen, wie von einem alten Wecker oder einer Fahrradklingel geklaut
- Eine Drehachse mit Spitze, die oben in die Mittelsäule gesteckt wird
- Darauf kommt eine konische Drehhülse auf die wiederum ein
- Dreiarmiger Ausleger für
- 3 Blechengel mit
- Je einem kleinen Klöppel gesteckt wird
- Oben auf den Konus kommen noch die Flügel für den Antrieb und
- Ein weiterer Engel mit Trompete
Zündet man nun die Kerzen an, sorgt die aufsteigende Warmluft dafür, dass die Windmühlenflügel den Oberteil in Drehung versetzen. Die Klöppel an den scheinbar vorwärtsfliegenden Engeln werden von der Fliehkraft leicht nach außen gedrückt und dengeln nun bei Ihrem Rundweg auf jeder Seite einmal gegen jede Glocke und erzeugen so das liebliche Klingeln.
Auffällig ist, dass (bis auf die Drehachse und die Klöppel) alle Teile aus Blech hergestellt sind. Das Blech ist nur wenige Zehntelmillimeter dick und besteht vermutlich aus gelb verzinktem Stahlblech, denn es ist magnetisch. Zur Erhöhung der Stabilität sind einige Teile mit Sicken versehen. Deren Herstellung lasse ich heute aber mal außen vor. Ich möchte mich auf die besondere Art konzentrieren, wie die Blechteile vermutlich ausgeschnitten wurden. Sie haben gemeinsam, dass sie nicht scharfkantig sind aber weder entgratet noch trowalisiert bzw. gleitgeschliffen aussehen.
Jetzt dürft ihr anmerken, dass ich doch schon in Episode 44 über Trennverfahren und in Episode 58 über das Scherschneiden gesprochen habe.
Beim schnöden Scherschneiden gab es allerdings ein paar Effekte, die für genaue, gratfreie und hübsche Teile nicht so praktisch sind. Zum einen entsteht durch die beiden Schneiden und die Blechdicke ein Biegemoment im Teil. Das kennt jeder, der schon einmal zu dickes Papier mit einer Schere schneiden wollte. Eine Seite klappt hoch, die andere herunter und am Ende steckt der ganze Stapel senkrecht zwischen den Schneiden.
So schlimm ist es bei einem gut ausgelegten Scherschneidprozess nicht, aber es sorgt für einen großen Einzugsbereich und zur Durchwölbung des ausgeschnittenen Teils.
Dagegen bringt das Feinschneiden zwei zusätzliche Bauteile zum Einsatz. Da wäre der Niederhalter, der mit einer gewissen Kraft auf das Blech drückt und es somit flach hält. Dieser Niederhalter ist mit einer parallel zur Schnittlinie verlaufenden Ringzacke versehen. Diese drückt sich in das Material ein und sorgt dafür, das Fließen des Werkstoffes in Richtung des Schnitts zu verhindern. Damit haben wir beim Feinschneiden fast keinen Radius am Einzugsbereich mehr. Zusätzlich wirkt unter dem auszuschneidenden Teil (z. B. einem der Engel) ein Gegenhalter. Dieser wirkt nicht nur der Aufwölbung des Teils entgegen. Zusätzlich sorgt er durch eine Kraft von unten dafür, dass im Optimalfall keine Rissbildung auftritt.
Zur Erinnerung: Beim „normalen“ Scherschneiden konnte man an der Schnittfläche drei Bereiche ausmachen: freier Kanteneinzug (das ist die Rundung auf der Oberseite, Glattschnittzone und Bruchzone. Und gerade die Rissbildung und der Bruch führen halt zu Maßungenauigkeit, schlechter Oberfläche mit Kerbwirkung und eventuell Gratbildung.
Und hier kommt der Gegenhalter zusätzlich ins Spiel: Er sorgt dafür, dass zwar genug Spannungen in der Umformzone vorherrschen, um das Durchsetzen (also Fließen) in Gang zu bringen, aber nicht genug, um das Abreißen zu erlauben.
Auch der viel kleinere Schneidspalt von nur etwa 0,5% der Blechdicke sorgt für weniger Moment in der Umformzone und erlaubt eigentlich nur das Durchsetzen.
So erreicht man, dass beim Feinschneiden die Schnittfläche eigentlich nur aus Glattschnittzone besteht. Es wird also umgeformt, bis kein Werkstoff mehr übrig ist, Umformen bis zum Ende.
Es ist aber kein bitteres Ende, sondern klingt zumindest im Falle eines Lichterglockenspiels doch ganz lieblich.
Ach und übrigens: Auf wissenschaftspodcasts.de bzw. wisspod.de findet ihr nicht nur eine große Liste ausgewählter Podcasts aus der weiten Welt der Wissens- und Wissenschaftspodcasts, sondern auch eine Community rund um die Wissenschaftskommunikation. Wer also Wissen auf die Ohren sucht, einen eigenen Wissen-schafts-podcast machen möchte oder den eigenen Podcast in dieser Liste sehen möchte, findet dort alle Informationen. Frohe Festtage!
geschrieben von Benjamin Remmers
eingesprochen von Benjamin Remmers