„Irgendetwas gibt es immer zu bewegen“
Für die vielseitig interessierte Schleswig-Holsteinerin war es vorher gar nicht so einfach, etwas zu finden, das praktische Arbeit und theoretisches Wissen miteinander verbindet. Eigentlich wollte sie Kriminalpsychologin werden. „Deswegen habe ich mit Soziologie, Psychologie und Pädagogik angefangen. Dann habe ich zu Jura gewechselt.“ Doch das war ihr zu theoretisch. Sie entschied sich für eine schulische Ausbildung zur Ergotherapeutin, die sie nun mit dem Studium wissenschaftlich ergänzt.
Die Ergotherapie-Ausbildung sah Ann-Cathrin als Chance, theoretische Grundlagen mit praktischen und teilweise handwerklichen Elementen zu verbinden. Mit Kreativität und handwerklichem Geschick Probleme lösen, nicht nur im übertragenen Sinne, sondern ganz konkret in Bezug auf Gesundheit. Kreatives Arbeiten, Nähen, Einrichten oder andere handwerkliche Tätigkeiten gehören für sie auch in der Freizeit dazu: „Irgendetwas gibt es immer zu bewegen.“ Doch in der Ausbildung fehlte ihr ein entscheidender Baustein: „Die Verbindung aus Handwerk und Psychologie in der Ausbildung war schon ganz gut, aber ich wollte mein Wissen ausbauen, wollte auch Zusammenhänge verstehen.“
„Ich will die Probleme in der Gesundheitsversorgung angehen, präventiv und gesundheitsfördernd tätig sein.“
Danach arbeitete Ann-Cathrin drei Jahre lang in einer Ergotherapie-Praxis. Zuletzt in einer Werkstatt für mehrfach behinderte Menschen. Dort war schnell klar: Lange könnte sie in der Form nicht arbeiten. „Ich habe gemerkt, dass ich nicht die nötige emotionale Distanz herstellen kann. Viele Sachen haben mich stärker bewegt, als es gut wäre“, sagt Ann-Cathrin. Und noch etwas bemerkte die ehemaligen Handballerin, die gut funktionierende Teams aus dem Sport gewohnt ist: Die Strukturen verhinderten oft eine Kommunikation der unterschiedlichen Berufsgruppen innerhalb der Einrichtung. „Mit dem Abstand und dem Wissen aus dem Studium kann ich mittlerweile einschätzen, was da los war und welche Möglichkeiten es gibt, etwas zu ändern.“ Das „Große Ganze“ im Takt zu halten ist keine leichte Aufgabe. Aber es ist eine notwendige. Deshalb entschloss sich Ann-Cathrin auch für das Studium: „Ich will die Probleme in der Gesundheitsversorgung angehen, präventiv und gesundheitsfördernd tätig sein.“
Ein Wunsch, den sie mit vielen ihrer Mitstudierenden teilt. Mittags trifft Ann-Cathrin ihre Kommilitoninnen Steffi, Ann-Kristin, Tabea und Julia. Logopädin Tabea sieht ihre Zukunft im betrieblichen Gesundheitsmanagement. Für Steffi hingegen ist die Abwechslung wichtig: „Ich kann mir sehr gut vorstellen, auch in Zukunft weiterhin in Teilzeit in der Pflege zu arbeiten. Immerhin ist es das, was ich mal gelernt habe und ich möchte den Bezug dazu auch nicht verlieren.“ Die gleichzeitige Arbeit auf mehreren Ebenen der Gesundheitsversorgung wäre für die Krankenpflegerin ideal.
Die Vielfalt der Fächer und die unterschiedlichen Erfahrungen und Einstellungen der anderen Berufsgruppen gefallen den fünf Studentinnen an ihrem Studiengang. „Ich lerne die Stärken und Grenzen der anderen Berufe kennen. Das ist ein wirklicher Vorteil dieses Studiums“, sagt Ann-Cathrin. „Nur gemeinsam können bessere Versorgungswege gefunden werden.“ Eines der Hauptziele des Studiengangs ist, an wichtigen Schnittstellen zwischen den Berufen ein gegenseitiges Verständnis herzustellen.
„Ich lerne die Stärken und Grenzen der anderen Berufe kennen. Das ist ein wirklicher Vorteil dieses Studiums“
Ebenso wie Ann-Cathrin entschlossen sich Logopädin Tabea und Physiotherapeutin Ann-Kristin recht schnell nach der Ausbildung für das Studium. Julia und Steffi hingegen haben schon einige Jahre gearbeitet: Julia 17 Jahre als Hebamme, Steffi 20 Jahre als Krankenschwester. „Diese Mischung aus Berufseinsteigern und -erfahrenen macht den Studiengang aus“, sagt Ann-Cathrin. Auch dass das Studium bis auf den Semesterbeitrag gebührenfrei ist, ist für die Studierenden ein klarer Vorteil. Besonders nach der kostenintensiven Ausbildung zur Ergo- oder Physiotherapeutin oder zur Logopädin wäre ein teures Studium kaum vorstellbar. Trotzdem arbeiten die meisten Studierenden neben dem Studium in ihren gelernten Berufen. Tabea, Ann-Christin und Steffi haben je eine halbe Stelle, Julia fünf Stunden in der Woche. Die Berufstätigkeit ist Teil des Studienkonzepts. Die Lehrveranstaltungen finden an zweieinhalb Tagen statt, das Studium ist neben einer Teilzeitbeschäftigung möglich.
Langfristig den Gesundheitsbereich mitgestalten
Mit einem konkreten Berufswunsch ist Ann-Cathrin nicht ins Studium gegangen. Sie wusste nur, dass sie mitgestalten will. Als es dann die Möglichkeit gab, für das „Team Studieneinstieg“ ein Erstsemestertutorium zu übernehmen, sagte sie sofort zu. „Ich war nun oft genug Ersti, weiß also wie man sich fühlt. Weiß, was passiert. Und ich hatte selbst vor einem Jahr so tolle Tutoren, dass ich mir dachte: Das will ich weiterführen.“
Ganz nebenbei bereitet sich Ann-Cathrin auf diese Weise für ihre mögliche berufliche Zukunft vor: „Die akademische Lehre oder die berufliche Bildung kämen für mich als Arbeitsfelder auf jeden Fall in Frage.“ Mit ihrer Berufserfahrung und dem Überblick über die verschiedenen Motivationen und Arbeitsweisen der Gesundheitsberufe könnte sie dann genau die Dinge ändern, die ihr im Beruf Schwierigkeiten bereitet haben. Ihr Praxissemester wird Ann-Cathrin im nächsten Sommersemester erst einmal im Kommunalen Gesundheitsförderungsmanagement des Bezirks Altona machen. Und auch über die dreieinhalb Monate hinaus plant sie noch mehrere kürzere Praxiseinheiten in den Semesterferien. Denn irgendetwas gibt es schließlich immer zu bewegen.
Fünf Fragen an Prof. Dr. habil. Corinna Petersen-Ewert

Die Psychologin Corinna Petersen-Ewert ist Professorin für Gesundheits- und Sozialwissenschaften am Department Pflege und Management und Studiengangsbeauftragte für den Studiengang "Interdisziplinäre Gesundheitsversorgung und Management“.
Welche Idee steht hinter dem Studiengang?
In den Diskussionen um eine notwendige Umstrukturierung des Gesundheitssystems spielt die Zusammenarbeit zwischen den Gesundheitsberufen seit einigen Jahren eine große Rolle. Um sich wirklich konstruktiv in einem interdisziplinären Team einbringen zu können und um die Ziele des Teams aktiv verfolgen zu können sind spezielle Fähigkeiten erforderlich. Hierfür benötigen wir neue Studiengänge beziehungsweise die entsprechenden Anpassungen der Lehrpläne.
Was macht eine interdisziplinäre Zusammenarbeit aus?
Die Entwicklung einer professionellen Haltung ist ein entscheidender Punkt für die interdisziplinäre Zusammenarbeit. Deshalb müssen wir eine solche Haltung in der schulischen und in der hochschulischen Ausbildung mehr fördern. Dazu gehören natürlich die wissenschaftliche Perspektive, Training in Kommunikation und Gesprächsführung, Kenntnisse in Management und Personalführung und der umfassende Blick auf unser Gesundheitssystem und die gesundheitspolitischen Entscheidungen.
Aus welchen Bereichen kommen die Lehrenden dieses Studiengangs?
Die Lehrenden kommen aus ganz unterschiedlichen Bereichen. Dazu gehören Betriebswirtschafts- und Volkswirtschaftslehre, Psychologie, Pflegewissenschaft und natürlich die Gesundheitswissenschaften.
Das Studium ist berufsbegleitend möglich. Funktioniert das Studium auch mit Kindern und Familie?
Dass Studierende ihr Kind ins Seminar mitbringen, kommt immer mal wieder vor und ist für mich als Professorin und ebenfalls Mutter von zwei Kindern eine Selbstverständlichkeit. Studium, Beruf und Familie unter einem Hut zu bekommen, stellt für viele Studierende eine große Herausforderung dar. Wir versuchen dabei, die Rahmenbedingungen so familienfreundlich wie möglich zu gestalten.
In Ihrem Seminar standen die Praxiserfahrungen der Studierenden im Vordergrund. Ist dies Teil des Konzeptes?
Ja, und es ist sogar ein wichtiger didaktischer Ansatz. Wir nennen es Praxisreflexion. Gemeinschaftliche Zusammenarbeit wird nur dann selbstverständlich, wenn verschiedene Gesundheitsberufe miteinander lernen. Kompetenzen und Bereiche der anderen Berufe zu kennen, ist die grundlegende Voraussetzung für Interdisziplinarität. Wir müssen grundlegende Fragen klären: „Was zeichnet einen Beruf aus? Was ist disziplinspezifisch und was ist notwendig, auch bereichsübergreifend zu lernen?“ Und es geht auch um Vorurteile gegenüber den anderen Berufsgruppen, die eine Zusammenarbeit behindern. Diese kann das gemeinsame Lernen ebenfalls abbauen