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„Neue Verkehrskonzepte werden nur erfolgreich sein, wenn sie attraktiv und funktional sind“, sagt Industriedesigner Gregor Schimming

Diplomingenieur Professor Gregor Schimming trat auf der „Research Night“ in der HAW-Fakultät Design, Medien und Information auf wo er ein Kurzreferat über die Zukunft des Automobils hielt. Ein eher ungewöhnlicher Ort für ihn, denn eigentlich lehrt und forscht Schimming an der Schwesterfakultät Technik und Informatik am Berliner Tor. Wir haben ihn zu der Ästhetik und Logik von innovativen Automobil-konzepten befragt. Was er über MOIA und andere neue Verkehrskonzepte denkt:

Fahrzeugdesigner der Zukunft: Prof. Schimming

Professor für Fahrzeugdesign an der HAW Hamburg Gregor Schimming

Herr Professor Schimming, wann und warum ist ein Auto „schön“ oder wird als ästhetisch wahrgenommen? 

Natürlich sind die Geschmäcker verschieden. Aber Autos werden von der großen Allgemeinheit immer dann als schön oder ästhetisch wahrgenommen, wenn – ähnlich wie in der Architektur – die geometrischen Proportionen stimmen. Für das Exterieur gibt es ein paar Gestaltungsregeln, denen eigentlich alle Autodesigner folgen: Möglichst große Räder, kurze Überhänge – also die Räder möglichst weit in den Ecken, eine breite Spur, eine flache Silhouette. Die Fensterflächen sollten deutlich kleiner sein als die darunterliegenden Blechumfänge. Man spricht hier von einem idealen Greenhouse-zu-Body-Verhältnis von 1:2. Selbst die hoch aufbauenden SUVs werden zunehmend durch sportlicher anmutende SUV-Coupes mit niedrigerem Dachverlauf ergänzt. Die Proportionen gelingen auch immer besser, wenn die Autos lang und breit sein dürfen. Und genauso wachsen ja bislang die bekannten Modelle von Generation zu Generation.

Neben der Optik spielen technische Erneuerungen im klassischen Fahrzeug eine Rolle. Was bedeutet in diesem Sinne eigentlich Innovation? 

Jede neue Problemlösung ist eine Innovation, solange sie ein Hersteller exklusiv hat. Bei der X-ten Kolbenring-Beschichtung, die minimal weniger Sprit verbraucht, hört aber keiner mehr hin. Innovationen müssen auch gut kommunizierbar sein. Etwas, mit dem man den Nachbarn beim Vorführen beeindrucken kann. Die Autos sind ja alle schon nahezu perfekt. Aber für die Werbung – gerade im Fernsehen – braucht jedes Modell irgendeine Innovation, die man gut inszenieren kann.

Modelle wie der Fiat Multipla oder der Olli von Local Motos sind von einer vergrößerten Kabine und Beförderungsmöglichkeit her gedacht. Diese Autos wirken eher „nicht schön“. Warum trifft das nicht den allgemeinen Geschmack, obwohl ja im Sinne des Wortes innovativ?

Der Fiat Multipla von 2001-2004 kombinierte verhältnismäßig ungünstige Proportionen mit einigen gewagten stilistischen Besonderheiten: Ein unkonventionelles Scheinwerfer-Layout und die ungewöhnliche, aufgesetzte Wasserkasten-Einfassung. Schon fand das jeder hässlich, obwohl das Auto sehr funktional und extrem innovativ war. Robo-Taxen wie der Olli leiden natürlich auch darunter, wenn sie als reine People-Mover gedacht wurden. Wenn die Grundform nur ein Kasten und das Interieur nur anspruchslose Sitz- und Haltemöglichkeiten zeigt, dann ist das vielleicht etwas zu pragmatisch. Wir sind ja alle schöne und ansprechende Autos gewöhnt. Niemand mag gern verzichten. Neue Verkehrskonzepte müssen ja gerade noch cooler sein, damit uns der Umstieg vom privaten PKW leicht gemacht wird.

Sie sagen, E-Autos oder Hybride werden erst gekauft, wenn Prestige und Proportionen der klassischen Bauweise darauf übertragen werden. Sie sprechen von „der Fortsetzung der Geschichte von Geschwindigkeit und Status“. Wie kann diese Logik unterbrochen werden, damit der Switch zu einem nachhaltigen Fahrzeug gelingt?

Zumindest kommen jetzt von den etablierten Marken einige batteriegetriebene Fahrzeuge auf den Markt, die dieser Logik folgen. Das liegt natürlich auch daran, dass diese teure Technologie bei den margenstarken Premiumfahrzeugen leichter eingepreist werden kann. Selbstverständlich haben 80.000 Euro teure SUVs mit einhundert Kilowattstunden Batterie-Kapazität und zweieinhalb Tonnen Leergewicht nichts mit Nachhaltigkeit zu tun.

Dass aber gerade kleine Autos für den urbanen Einsatzbereich sich für diese Technologie eignen, steht auch in dem Widerspruch, dass die großen OEMs (das meint Erstausrüster, die Red.) neue Technologien gern Top-Down einführen. Also zuerst in den teuren Modellen und dann nach unten weiterreichen. Dass es auch anders geht, zeigt der E.go Life aus Aachen. Ein kleines Elektroauto, das gerade nicht versucht, alle Einsatzzwecke zu bedienen, sondern nur für die Stadt da ist. Ein konsequentes Konzept und dadurch sehr attraktiv.

Die ZEIT beschreibt, dass der SUV deshalb so erfolgreich ist, da die Einzelperson besonders viel Platz hat und erhaben über der Straße trohnt (Ausgabe Nr. 20/2019, Platz da!). Space ist also ein Luxusgut. Kann man diesem Gefühl durch neue Gestaltungskonzepte begegnen?

Platz für sich zu haben ist mehr als ein gutes Gefühl. In den eigenen vier Wänden genauso wie unterwegs. Eingeengt im Flugzeug oder in der U-Bahn ist das Schlimmste. Verschwendung ist aber auch furchtbar. Und zehn Quadrat Flächenverbrauch für jedes Auto, in dem dann nur einer sitzt, können sich hochverdichtete Metropolen nun mal nicht leisten. Also entweder wir zahlen für diesen Luxus eine City-Maut wie in London oder wir nehmen andere Verkehrsmittel: Öffentliche, Sharing-Konzepte, Fahrräder oder gehen zu Fuß.

Untersucht werden natürlich auch kleine Ein-Personen-Autos wie der Renault Twizzy. Aber durch die Infrastruktur werden solche Konzepte noch nicht besonders unterstützt. Wenn wir zukünftig Fahrzeuge teilen sollen oder wollen, müssen wir bei der Interieurgestaltung auf den Personal Space für jeden Fahrgast achten. Es kann nicht so privat wie im eigenen Auto sein, aber für eine Minimum-Privatsphäre sollte gesorgt werden. Die Autos von MOIA haben zum Beispiel besonders große Kopfstützen, die auch seitlich eine Trennfunktion zum Sitznachbarn haben.  

Verfolgt MOIA ein innovatives Verkehrskonzept und ist er eine ernstzunehmende Alternative zur Massenbeförderung? 

Ridesharing per App-Buchung gab’s schon vorher. Aber die Fahrzeuge bieten Platz und Komfort. Außerdem kommt MOIA mit einer Flottengröße, die auch Sichtbarkeit garantiert. Preislich zielt MOIA auf die Lücke zwischen Taxi und ÖPNV. Ob das langfristig funktioniert, kann momentan noch keiner sagen. Natürlich befördern S- und U-Bahnen samt Bussen noch ganz andere Mengen. Aber Nachverdichtung in den Städten führt überall zu Engpässen. Die Straßen bekommen wir nicht mehr breiter, im Gegenteil: Wir brauchen mehr Platz für Radfahrer und jetzt auch für E-Scooter. Und U-Bahnen können auch nicht enger getaktet werden. Also müssen neue Konzepte einfach mal ausprobiert werden. Nur so kann man lernen. 

Wie sieht das Fahrzeug der Zukunft aus? Und reden wir hier eigentlich noch von einem Auto?

Der Familienkombi für die Fahrt ans Meer oder in die Berge ist nur schwer zu ersetzen oder zu verbessern. Den wird’s immer geben. Die drei Fahrten im Jahr machen das Klima aber auch nicht kaputt. Es muss darum gehen, den Pendlerverkehr smarter und für alle erträglicher zu machen. Jeden Tag fahren 200.000 Autos nach Hamburg rein, die durchschnittlich mit 1,2 Personen besetzt sind. Vollautomatisch fahrende Autos helfen der verstopften Stadt auch erst, wenn Sie mehr Personen gleichzeitig mitnehmen. Ein großer Fortschritt wird aber schon die Vernetzung von Auto und Infrastruktur bringen, indem zukünftig die Parkplatzsuche entfällt. Diese ist momentan nämlich immer noch für ein Drittel aller weltweit gefahrenen Kilometer verantwortlich.

Lieber Professor Schimming, wir danken für das Gespräch!

(Das Interview führte Dr. Katharina Jeorgakopulos)

 

Kontakt

Fakultät Technik und Informatik
Department Fahrzeugtechnik und Flugzeugbau
Prof. Dipl. Ing. (FH) Gregor Schimming
Professor für Automobildesign und Karosseriekonstruktion
Tel.: 040.428 75-7902
GregorJohannes.Schimming( (at) )haw-hamburg (dot) de

 

 

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