Jungfräuliches Textildesign

Diplomarbeiten in der Armgartstraße


Am Fachbereich Gestaltung der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg findet vom 16. bis 18. März wieder die jährliche Diplomausstellung statt. Gezeigt werden Diplomarbeiten aus den Studienrichtungen Illustration, Kommunikationsdesign, Produktdesign Textil, Mode- und Kostümdesign, Bekleidungstechnik. Eröffnet wurde die Ausstellung von der neuen Dekanin Professorin Dorothea Wenzel.

Der Begriff "angewandt" scheint fast verbraucht, da oftmals beliebig angewendet. Als Markenzeichen der Nähe zur Wirtschaft und Gesellschaft wird er derzeit auf fast alle aktuellen Bildungsprodukte geklebt. Der Begriff aber füllt sich mit Leben, wenn man durch die Ausstellung des Departments Design (ehemals Fachbereich Gestaltung) der HAW Hamburg geht und dort auf die "angewandte Kunst" trifft. Wieder hat die "Armgartstraße" ihre Tore geöffnet, um Studierenden, Lehrenden, eingeladenen und interessierten Gästen die Ergebnisse der Studienabschlüsse zu zeigen. Und wieder ist man von der kreativen Vielfalt und Praxisnähe beeindruckt.



Foto: Walter Müksch


"Fragen Sie nicht nach der höheren Bedeutung der ausgestellten Arbeiten, sondern lassen Sie sich von ihnen berühren", so leitete die Dekanin, Professorin Dorothea Wenzel, in die Ausstellung ein. "Berührung", das ist ein seltsames Gefühl, das einen zart ergreift und zugleich entdeckendes Interesse weckt. Neugier, Begeisterung, Hingabe, spröde Scheu, Ablehnung - mit diesen Gefühlen ausgestattet, hat man einen guten Schlüssel in der Hand, um sich den ausgestellten Arbeiten zu nähern. Der Studiengang Textildesign unter der Leitung von Frau Professorin Marion Ullrich hat sich des Themas "Berührung" angenommen. Zu dem Thema "Jungfrau" haben die Studierenden eine Stoffserie aufgelegt, die alle Schattierungen der Berührung und des Berührtseins aufruft.


Als Inbegriff des Noli-me-tangere, des "Fass mich nicht an", steht die Jungfrau für unberührte Weiblichkeit. Diese Keuschheit und Reinheit macht auch den Ausdruck der Arbeiten zum Textildesign aus. In blassen rosa und lachsfarbenen Tönen sind hier die unterschiedlichsten Arten von transparenten Stoffen und Volants zusammengestellt. Damit aber nicht genug. Es wurde auch nach Möglichkeiten gesucht, das jungfräulich Keusche in eine stoffliche Form zu bringen. Und in der Tat hat die Diplom-Textildesignerin aus feinstem Nylonfäden runde rosa Stoffbällchen gehäkelt, die lose in einer Schale thronen und deren weiche und stachelige Oberfläche die unterschiedlichsten Gefühle hervorruft. Auch die große Muschel in authentischem Perlmutterschimmer aus dehnbarem Plastik mit den vielen Fischrogen und Augen in weißen Nylon-Hütchen mit Perle brachte See, Seegetier und Seeungeheuer oder auch anderes Organisch-Elementares näher. Stoff, so könnte man meinen, sollte wie eine zweite Haut sein, sollte sich möglichst nahe und unauffällige an den Körper schmiegen und diesen verhüllen. Hier aber setzt eine Autonomie und selbstständige Bewegung ein; Stoff wird und macht sich selbst zum Thema und tritt aus dieser unmittelbaren Nähe zum Körper heraus; wird selber Körper - ein spannender und intellektuelle Prozess, der sich auf den aufgedruckten Wortbahnen: Unschuld - Scham - Scheu - Würde - Wunde - über der Arbeit wieder findet.




Fotos: Walter Müksch


Aber auch "der Knoten" war erklärtes Thema der Textildesigner. Der Knoten stellt die Grundform alles Geknüpften, Gewebten, Gefertigten dar; er ist eine Grundeinheit des Textils. In seiner Betonung wird damit ein Stück des Fertigungsprozesses von Textil selbst sichtbar. Als herausgelöstes Element wird er hier zum Serienprodukt für eine neue Sitzeinheit, ein Sitzkissen, und ist so bereits Interieurdesign. Trotz der unterschiedlichen Farben und Stoffe haben die Sitzkissen-Knoten doch immer eines gemeinsam: Sie sind überdimensionierte Knoten, die immer wieder auf die Machart ihrer textilen Beschaffenheit verweisen. Oftmals aus alten Teppichen gefertigt, kann er sogar als Recycle-Produkt gelten, der durch seine einfache Beschaffenheit auch schnell und unkompliziert zusammengefaltet werden kann.



Foto: Ina Weidmann


Die Oberfläche als Design-Produkt hat in dem Ausstellungsraum unterschiedliche Konnotationen. So hat sich eine Abschlussarbeit vorgenommen, wahrheitsgetreu und authentisch unterschiedliche Oberflächen eines Mädchenzimmers abzubilden. Korb, Holz, Seide, Blumen, Karo- und Teppichmuster bilden hier ein bunt gemischtes Ganzes, das mit dem Titel der Diplomarbeit "Miss Pattern is stupified" gut beschrieben ist. Dennoch ist alles "fake", denn nichts ist in diesem Zimmer echt, nichts entspricht der aufgerufenen Stofflichkeit, sondern alles ist eingescannte, photographierte, digitale Oberfläche, die Echtes mit Unechtem ersetzt. Ein grandioses Verwirrspiel, das wieder das seltsame Gefühl von Berührung und Abstoßung aufruft, da mit der Erkenntnis reiner Künstlichkeit schlagartig Vertrautes entstellt und ent¬fremdet. Ursprüngliche Vertrautheit wird in diesem Mädchenzimmer besonders über die anheimelnde Atmosphäre transportiert: die geblümte Bettdecke, der Kiefernholzschrank, das schmiedeeiserne Bettgestell und die aufgehängten Seidenkleidchen. Hat man sich in dieser Vertrautheit gerade eingerichtet, so ist der Schock der Künstlichkeit umso stärker. "Willkommen in der Zukunft" des Textildesigns möchte man hier eigntlich gar nicht weiterdenken, da die Welt auf zwei Dimensionen zu reduzieren wäre.


Ein Blick in eine weitere Ausstellungskammer des Textildesigns setzt ein anderes Szenarium frei. In einem Hotelzimmer sind Stoffe montiert, die auch bei Dunkelheit leuchten oder phosphoreszierend nachleuchten. Decken, Kissen, Lampenschirm, Bett und Stuhl werden so zu Leuchtkörpern, in der die Trennung der Gegenstände insgesamt zurückgenommen ist, oder anders gesagt: die multifunktional sind. In dem verdunkelten Zimmer werden nämlich so Orientierungshilfen gegeben, die nachtblinde und ängstliche Menschen beruhigen. Das Zimmer erhält auch bei absoluter Finsternis sein Raumprofil. Die indirekt scheinenden Gegenstände betonen die Linien des Raumes und haben dadurch eine stabilisierende Wirkung. Das ist die funktionale/soziale Seite dieser Arbeit. Der mit Licht linierte Lampenschirm, der sanft scheinende Teppich, die Licht umrundete Bettdecke und das still scheinende Kopfkissen mit seinen Phosphorpailletten, der schrill erleuchtete Zahnputzbecher auf dem Nachttisch haben aber auch andere komische Seite, die ins Groteske und auch Ästhetische spielen. Der Schöpfungswortlaut: Alles ward Licht, ist hier bis zur Zauberei getrieben. (jeo)


Die Diplomandinnen im Bereich Textil/Produktdesign sind:

Genevieve Saghmeister

Maren Kandel

Manja Noppe

Nathalie Weißguth

Angela Wesnigk


Leitung

Professorin Marion Ullrich

Textildesign

m.ullrich (at) design.haw-hamburg (dot) de


Diplomausstellung

HAW Hamburg

Studiendepartment Gestaltung

Armgartstraße 24

22089 Hamburg

Öffnungszeiten zur Besichtigung: 16.-18. März, 10 -18 Uhr


Kontakt

bernd.ostendorf (at) pv.haw-hamburg (dot) de

 

x