Der Kostüm- und Bühnenbildner Reinhard von der Thannen sorgt mit Regisseur Hans Neuenfels für eine furiose Lohengrin-Inszenierung in Bayreuth: Auf dem Grünen Hügel stellen sie die Welt als Versuchslabor dar und hüllen die Chorsänger in aufwändig gestaltete Rattenkostüme.
Fragen über Schaffen und Ausbildung an Reinhard von der Thannen, der an der HAW Hamburg eine Professur für Kostümdesign innehat:
Herr von der Thannen, Kostüme und Bühnenbild des Bayreuther Lohengrin wurden in der internationalen Presse überwiegend positiv besprochen. Das Publikum hingegen hat Sie und Herrn Neuenfels auch mit Buhrufen bedacht. Wie denken Sie über diese Reaktion?
Das Bayreuther „Premieren-Publikum“ ist ein spezielles Publikum, besteht es doch vorwiegend aus traditionell gesinnten, eingefleischten Wagnerianern und Prominenz aus Politik, Wirtschaft, Showbusiness und Geldadel. Da so manche Information über die Konzeption schon im Vorfeld einer Arbeit durchsickert, kocht die Stimmung zur Premiere hoch und das Publikum neigt zu heftigen Reaktionen: Es sucht sich sein eigenes Ventil, das muss so sein. Buh-Konzerte – auch orkanartig bin ich seit mehr als 25 Jahren gewohnt. Qualitative Arbeiten am Theater dürfen provozieren – ich wünsche mir für jede Theaterarbeit Befürworter und Gegner einer Interpretation eines Stückes – allerdings auf einer niveauvollen Ebene, das betrifft auch die Presse.
Wann kam es in Ihren Arbeiten zuletzt zu solch heftigen Reaktionen? Und wie gehen Sie damit um?
An der Inszenierung von „Idomeneo“ von W.A. Mozart an der Deutschen Oper Berlin erhitzten sich die Gemüter – allerdings erst ein Jahr nach der Premiere, als das Stück auf Grund von Bombendrohungen abgesetzt werden sollte, weil auf der Szene die abgeschlagenen Häupter von Mohammed, Jesus und Buddha präsentiert wurden. Einerseits fand ich es sehr spannend, dass mehr als eine Million Artikel weltweit über diese Arbeit erschienen sind, andererseits bedrohte den Regisseur Neuenfels und mich das Verschwinden unserer Arbeit von der Bildfläche. Arbeiten wie diese müssen gespielt werden, sie fördern den Dialog zwischen Theatermachern und Publikum. Presse und Publikumsreaktionen interessieren mich sehr, ich erfahre vieles und lerne daraus. Allerdings braucht man ein sehr gutes Selbstbewusstsein, um seinen eigenen Weg unbeirrt weiter zu verfolgen.
Welcher Gedanke war Ihnen bei der Arbeit für Lohengrin besonders wichtig?
Das war der Gedanke der Utopie. Die Utopie gibt es nicht – und genau das ist ihr Daseinsgrund. Man will das Paradies auf Erden erschaffen und kreiert die Hölle. Über die Beschäftigung mit Utopie war der gedankliche Weg, die Welt als Versuchslabor zu manifestieren nicht weit. Die Menschen werden zu Versuchstieren, zu Laborratten, kontrolliert von einer höheren Macht. Für mich hat mit dem 11. September 2001, dem eigentlichen Beginn des 21. Jahrhunderts auch in ästhetischer Hinsicht eine neue Ära begonnen: Bilder sind zu Bildern der Bedrohung, von Angst und Schrecken geworden. Es gibt kein Ereignis mehr ohne die Bilder davon. Diese Ästhetik haben wir bei Lohengrin gemeinsam mit einem Team von Studierenden und Dozenten des Kostümdesigns/Kommunikationsdesigns der HAW in Raum und Kostüm übertragen, auch 3 Zeichentrickfilme entstanden, die dramaturgisch von großer Bedeutung für die Gesamtkonzeption sind.
Sie sind international als Kostüm- und Bühnenbildner gefragt und haben darüber hinaus eine Professur für Kostümdesign an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg inne. Wie sieht Ihr Leben aus?
Ich wohne in Berlin und Hamburg. Generell teilt sich mein Leben in Theaterarbeit und Professur. Pro Jahr nehme ich maximal nur zwei Theaterprojekte an. Die Professur ist mir sehr wichtig, sie ist eine Passion. Jungen künstlerischen Menschen auf Augenhöhe im Dialog – Denken ist Dialog – zu begegnen, sie qualitativ gut auszubilden macht große Freude und bereichert meine Leben immens. Auf Autoritätsgehabe kann ich gut verzichten, Niveau und ein kreatives Arbeitsklima ist allerdings Voraussetzung.
Was geben Sie den angehenden Kostümdesignern mit auf den Weg ins Berufsleben?
Neben der künstlerischen Auseinandersetzung mit Studierenden ist eine handwerklich fundierte Ausbildung von größter Bedeutung. Der Modecampus Armgartstraße bietet dafür hervorragende Möglichkeiten und ist mit anderen wichtigen Instituten wie der Theaterakademie Hamburg, der Hamburg Media School, der Anna-Siemsen-Gewandmeisterschule eng vernetzt. Unsere Absolventen sind begehrt und finden Arbeit beim Theater, beim Film, in der Werbung und als Stylisten. Dabei ist das Designstudium kein Ausflug in eine Traumfabrik, sondern harte, tägliche Auseinandersetzung mit bildender Kunst, Literatur, Musik, Dramaturgischem Denken und der Wirklichkeit – eine Werkstatt des Theaterdenkers. Dazu gehört neben der Aneignung einer breit gefächerten Allgemeinbildung, auch das Erlernen fachlicher, berufsspezifischer und handwerklicher Kenntnisse. Der Beruf des Kostümdesigners ist hochinteressant – wie sagt Shakespeare: „Die ganze Welt ist eine Bühne!“
Das Interview führte Martina Hartmann,
Beauftragte für Öffentlichkeitsarbeit für die Fakultät DMI
Biographie:
Reinhard von der Thannen stammt aus Österreich und wurde 1957 geboren. Er studierte an der Hochschule für Angewandte Kunst Wien und an der Wiener Akademie der Bildenden Künste bei Erich Wonder Bühnen- Kostüm- und Filmgestaltung. Als Kostüm- und Bühnenbildner sowie als Regisseur ist er europaweit an den Theater- und Opernbühnen tätig. In Hamburg hat er eine Professur für Kostümdesign an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften inne. Von der Thannen wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem kürte ihn die Zeitschrift „Opernwelt“ mehrfach zum Kostümbildner des Jahres.