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Vereiste Flugzeuge

Dem Material auf der Spur

Doktorand Maximilian Schutzeichel nimmt auf kleinster Ebene das Material von Flugzeugflügeln unter die Lupe, so genanntes Faserverbundmaterial. Wäre es möglich, die darin enthaltenen Fasern mit Strom zu versetzen, um mit der Wärme das Problem vereister Flügel zu lösen? Schutzeichel interessiert, wie sich das Material verhält, wenn es erwärmt wird. Mit einer neuen Methode ist es ihm nun gelungen, dies schneller und effektiver zu berechnen als bisher. Die wissenschaftliche Community zollt ihm Anerkennung: Mit seinem Paper hat er es auf das Cover eines Fachmagazins geschafft.

Das Problem mit dem Eis

Hebt ein Flugzeug ab und steigt bis auf Reiseflughöhe, herrschen dort – in 10 bis 15 Kilometern Höhe – Temperaturen von bis zu minus 60 Grad Celsius. Fliegt es auf seinem Weg nach oben durch feuchte Luft, beispielsweise Wolken, frieren kleine Wassertröpfchen innerhalb kürzester Zeit auf den Flügeln oder dem Heck fest und hüllen sie in eine Schicht aus Eis. Dies kann gefährlich werden. Denn die Eisschicht ändert das Strömungsverhalten der Luft nahe der Flugzeugoberfläche, erhöht den Luftwiderstand und reduziert den Auftrieb.

Um derartige Eisablagerungen zu verhindern oder bestehendes Eis zu entfernen, gibt es an den Flügeln entsprechende Vorrichtungen: Ein bewährtes System leitet heiße Luft aus den Triebwerken hin zu den vereisten Flügelkomponenten. Allerdings bringt es einige Nachteile mit sich: Die vielen Rohre, Rohrmechaniken und elektrischen Steuerungen erhöhen die Masse des Flugzeugs und sorgen so für mehr Kraftstoffverbrauch; gleichzeitig arbeitet das Triebwerk während der Enteisung weniger effizient. Hinzu kommt, dass die Vorrichtung nur auf rund zehn Prozent der Flugzeit zum Einsatz kommen kann, da auf Reiseflughöhe keine Vereisung mehr eintritt. Dies liegt daran, dass dort die Luft sehr trocken ist. Daher sind nur die Steig- und Sinkflüge problematisch, in denen feuchte Luftschichten durchflogen werden.

Mich interessieren multifunktionale Leichtbaumaterialien. Eine Idee ist, mit dem Material selbst eine Temperaturerhöhung zu erzeugen, ohne dass zusätzliche Systemmasse wie etwa Rohre, Installationsmaterial oder weitere Materialschichten benötigt werden.

Maximilian Schutzeichel, Doktorand am Department Fahrzeugtechnik und Flugzeugbau

Wissenschaftler*innen arbeiten daran, alternative und vor allem energiesparende Lösungen zu entwickeln. So auch Maximilian Schutzeichel, der am Department Fahrzeugtechnik und Flugzeugbau bei Prof. Dr. Ing.- habil. Thomas Kletschkowski seine Dissertation schreibt – in einem kooperativen Promotionsvorhaben mit der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.

Passendes Material für die Mobilität der Zukunft

Als Promotionsstudent forscht Schutzeichel zu einer energieeffizienten Mobilität der Zukunft. „Mich interessieren multifunktionale Leichtbaumaterialien“, sagt er. Beispielsweise für die Anwendung im Flugzeugflügel. Er sieht großes Potenzial im Material selbst, wenn es darum geht, das Eis-Problem energieeffizient in den Griff zu bekommen: „Eine Idee ist, mit dem Material selbst eine Temperaturerhöhung zu erzeugen, ohne dass zusätzliche Systemmasse wie etwa Rohre, Installationsmaterial oder weitere  Materialschichten benötigt werden “, erklärt er. Doch wie soll das gehen?

Verborgenes Potenzial im Material

„Flugzeugkomponenten bestehen heute häufig aus Faserverbundmaterial. Das bedeutet, dass sie aus zwei oder mehr Rohmaterialien zusammengesetzt sind, die jeweils unterschiedliche Materialeigenschaften besitzen“, erklärt der junge Wissenschaftler. Wie der Name bereits erahnen lässt, spielen Fasern darin eine große Rolle. Würde man das Material stark vergrößern, könnte man sehen, dass künstlich hergestellte Kohlenstoff-Fasern lang und mit rund 5 Mikrometern Durchmesser sehr dünn sind, dünner noch als ein menschliches Haar. Durch ihr geringes Volumen sind sie recht leicht und in Längsrichtung sehr belastbar. Da die Fasern selbst allerdings keine Strukturen in Form halten können, wird ein weiteres Material benötigt, das die Fasern fixiert und umhüllt. Die sogenannte Matrix bildet daher den zweiten Bestandteil eines Fa­serverbundmaterials. Sie besteht zum Beispiel aus Kunststoff.

Um der Vereisung von Flugzeugflügeln entgegenzuwirken, wurde in der Vergangenheit bereits versucht, die Kohlenstoff-Fasern wie Heizdrähte zu verwenden. Um gezielt Stellen zu erwärmen, versetzte man sie mit Strom. Allerdings verlief der Stromfluss chaotisch und es kam häufig zu Kurzschlüssen.
Um dies zu verhindern, wurden die Fasern isoliert und mit einer Schicht aus Kunststoff-Elektrolyt ummantelt, das aus der Forschung zu strukturellen Batterien stammt. Nun können sie den Strom gezielt leiten und das Material dort erwärmen, wo die Wärme eine Funktion erfüllt: die Enteisung. Ganz ohne zusätzliche Rohre und Installationsmaterialien. Doch was passiert genau im Inneren des Materials, wenn ein elektrischer Strom durch die Fasern geleitet wird? Genau dieser Frage ist Schutzeichel in seinem Paper auf den Grund gegangen. Auf Mikroebene hat er erstmals das thermische Verhalten der ummantelten Fasern in einer Kunststoffmatrix beschrieben. Dabei hat er eine Methode gefunden, wie das Verhalten des Materials schneller und einfacher berechnet werden kann als bisher. Die wissenschaftliche Community zeigte ihre Anerkennung, indem sie sein Paper auf das Cover eines Fachmagazins setzte.

Wie das Materialverhalten berechnet werden kann. Status: „Es ist kompliziert“

Um das Verhalten des Materials bei veränderter Temperatur zu beschreiben, muss das Augenmerk auf die Mikroskala gelenkt werden. Wir betrachten das Material also stark vergrößert: „Erst wenn klar ist, was auf der Ebene von ummantelter Faser und Matrix passiert, können wir diese Erkenntnisse auf größere Betrachtungsebenen übertragen“, erklärt der Promotionsstudent. Ausgangspunkt der Berechnungen ist ein so genanntes „repräsentatives Volumenmodell“: Man sieht den Faserverbundwerkstoff als eine Art Platte, aus der ein kleiner, repräsentativer Würfel entnommen wird. Für diesen Würfel führt man die Berechnungen durch. Das, was für den kleinen Würfel gilt, gilt auch für das Material als Ganzes.

Auf Mikroebene ist es möglich, die komplizierten Wechselwirkungen des Materials genau zu berechnen: Welchen Einfluss hat die neuartige Beschichtung auf die Temperaturentwicklung? Wie ändert sich das thermische Verhalten gegenüber klassischen Faserverbundmaterialien? Auf der Mesoebene, also der nächstgrößeren Ebene, wäre dafür der Rechenaufwand sehr hoch. Die Lösung: Man überträgt das beobachtete Verhalten von der Mikroskala auf die Mesoskala und geht dort lediglich von Durchschnittswerten aus. Dies geschieht mit Hilfe sogenannter „Homogenisierungsverfahren“, die Schutzeichel in seinem Paper diskutiert und mit hochauflösend berechneten Werten vergleicht.

Wir können 97 Prozent der Rechenzeit einsparen.

Maximilian Schutzeichel, Doktorand am Department Fahrzeugtechnik und Flugzeugbau

Eine dieser Methoden stammt von Lewis und Nielsen. Mit ihr lässt sich das Temperaturverhalten im Inneren des Materials berechnen; für die Faser selbst und für die Ummantelung. Schutzeichel hat dieses Modell erweitert, indem er die Homogenisierung in zwei Stufen unterteilte: Er berechnete das Temperaturverhalten zum einen für die Faser und die Ummantelung, zum anderen für die ummantelte Faser und das Matrixmaterial. Er nannte seine neue Methode den „Two-Level Lewis Nielsen“-Ansatz. Mit ihr erhält man eine Art Durchschnittskurve für die Temperatur, die erstaunlich genau den tatsächlichen thermischen Zustand wiedergibt. Um die Berechnung noch effektiver zu machen, reduzierte Schutzeichel die geometrische Auflösung von 3D auf 2D. Das Erstaunliche: Die Ergebnisse waren ähnlich genau, bei einer enormen Verringerung des Rechenaufwandes. „Wir können 97 Prozent der Rechenzeit einsparen“, so der Jungwissenschaftler.

Und wie geht`s weiter?

Mit den Erkenntnissen von Schutzeichel als Basis kann in einem nächsten Schritt das thermische mit dem mechanischen Verhalten in Verbindung gebracht werden. „Es wird interessant sein zu sehen, wie sich das Material durch die Temperaturbelastung verändert und ob klassische Anforderungen an Leichtbaustrukturen dann noch erfüllt werden.“ In Zukunft müsse man sich allerdings noch damit auseinandersetzen, wie es bei dieser neuen Technologie zur Eisvermeidung in Sachen Energiebedarf aussieht, so Schutzeichel. Denn nur dann wird man wirklich Bilanz ziehen können, ob sie den energetischen Vorteil liefert, der von ihr erwartet wird. Denn dies sei eine wichtige Voraussetzung, um sie bis hin zur industriellen Anwendung weiterzuentwickeln.

Maximilian Schutzeichel freut sich über die Anerkennung, die ihm beschert wird. „Es ist schön zu sehen, dass die wissenschaftliche Community in dieser Arbeit einen wertvollen Beitrag zum Stand der Forschung sieht“, sagt er. „Gleichzeitig wird damit die wissenschaftliche Grundlage geschaffen, um das Potential des Enteisungsverfahrens, das erstmals in einem Patent in Zusammenarbeit mit der Firma Airbus Operations GmbH in 2018 formuliert wurde, tatsächlich auszuschöpfen. Teil dieser Entwicklung zu sein motiviert mich sehr, weiter in der Forschung zu arbeiten und mein Know-How zu vertiefen.“

(Text: Tiziana Hiller)

Kontakt

Maximilian Schutzeichel
Department Fahrzeugtechnik und Flugzeugbau

Berliner Tor 9
20099 Hamburg
Raum 212b

T +49 40 428 75-7837
maximilian.schutzeichel (at) haw-hamburg (dot) de

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