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Neuer Report des IPCC

„Der Klimawandel verschärft soziale Ungleichheiten“

Prof. Dr. Dr. Walter Leal ist einer von 200 Leitautoren des Sechsten Sachstandsberichts der Arbeitsgruppe II des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change), der am 28. Februar 2022 erscheint. Als einer der federführenden Autoren betreute er das Kapitel acht, das sich mit Armut, Existenzgrundlagen und nachhaltiger Entwicklung befasst. Zudem arbeitete er an den Kapiteln sieben und neun über Klimawandel, Gesundheit und Afrika mit. Hier geht es um den Einfluss des Klimawandels auf Armut und nachhaltigen Entwicklung. Wir haben mit ihm über die Ergebnisse der aktuellen Veröffentlichung gesprochen.

Prof. Dr. Walter Leal beschäftigt sich mit den Themen Nachhaltige Entwicklung, Klimawandel und Energie sowie Life Sciences und Innovation. An der HAW Hamburg ist er unter anderem Leiter des Forschungs- und Transferzentrums "Nachhaltigkeit und Klimafolgenmanagement".

Seit 1990 erscheinen die Sachstandsberichte des IPCC und warnen vor den Folgen des Klimawandels. Gibt es etwas grundlegend Neues im aktuellen Bericht?
Prof. Dr. Dr. Walter Leal: Die Berichte des Weltklimarates waren in den 1990ern nur wenigen bekannt. Heute sind sie ein wichtiges Instrument, das einen zentralen Einfluss auf die Entscheidungen im Bereich Klimapolitik weltweit hat. Die Ergebnisse der aktuellen Veröffentlichungen des Weltklimaberichts zeigen, dass sich die globalen Wettermuster ändern. Auch wir in Europa sind gegen den Klimawandel keinesfalls immun, wie wir durch die Brände in Südeuropa und das Hochwasser in Mitteldeutschland deutlich zu spüren bekommen haben. Dies sind nur einige Beispiele für Veränderungen, die wir im globalen Wetter- und Wasserkreislauf zukünftig noch häufiger erleben werden, da die Systeme sind nicht mehr so stabil wie früher sind. Dies ist eine Folge der veränderten Klimabedingungen. Und diese Veränderungen sind gefährlich, weil niemand genau weiß, wo und wann die damit verbundenen Extremereignisse auftreten werden.

Können Sie uns Ihre Aufgaben als Leitautor für den jüngsten Weltklimabericht beschreiben? 
Walter Leal: Ich bin federführender Autor von Kapitel acht, das sich mit Armut, Existenzgrundlagen und nachhaltiger Entwicklung befasst. Genauer gesagt geht es in meinem Beitrag darum, wie sich der Klimawandel auf die Armut und das Streben nach einer nachhaltigen Entwicklung auswirken. Ich arbeite auch an den Kapiteln sieben und neun über Klimawandel, Gesundheit und Afrika mit.

Meine Aufgabe als Leitautor ist es, die Forscher-Teams mit Recherchen zu Studien und Analysen zu unterstützen, wie auch neue Ideen und eigene Perspektiven einzubringen. Außerdem lektoriere ich die Texte und versuche Fehler zu bereinigen und Lücken zu schließen, um eine klare Botschaft zu kommunizieren Es geht darum, die Beiträge so wissenschaftlich zu untermauern, dass sie möglichst frei sind von subjektiven Stellungnahmen, Polemiken oder Unklarheiten.

Sie haben zu den Themen Armut und Klimawandel gearbeitet. Die Staaten des globalen Südens fordern, das Budget für Anpassungsmaßnahmen an die Folgen des Klimawandels auf 50 Prozent zu erhöhen. Gibt es dazu Vorschläge?
Walter Leal: Reiche Länder wie die USA und viele EU-Länder zögern, mehr finanzielle Unterstützung zu gewähren, wenn nicht sichergestellt ist, dass die unterstützten Länder sich stärker für den Klimaschutz engagieren. Aber die Eindämmung des Klimawandels ist nicht nur eine Angelegenheit der etablierten Industriestaaten. Auch die neuen oder aufstrebenden Wirtschaftsnationen müssen einen konkreten Beitrag leisten, insbesondere Länder wie China, Südafrika und Indien, damit die Bemühungen in einem Teil der Welt nicht durch übermäßige Emissionen in anderen Teilen der Erde untergraben werden. Auf der UN-Klimakonferenz COP26 in Glasgow im vergangenen November hatten sich die armen Länder beschwert, dass die in Paris 2015 zugesagten 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr für die Bekämpfung der Klimawandels noch nicht bereitgestellt wurden. Es gibt also keine finanzielle Basis, Klimaanpassungsmaßnahmen, die dringend erforderlich sind, umzusetzen.

Einige der wichtigsten Erkenntnisse aus diesem Kapitel sind, dass der Klimawandel die Armut verschlimmert und die Ungleichheiten verschärft. Wenn Megatrends wie Urbanisierung oder Migration hinzukommen, wird diese Dynamik noch beschleunigt.

Prof. Dr. Dr. Walter Leal ist einer der Leitautoren des neuen IPCC-Berichts. Er lehrt Gesundheitswissenschaften an der Fakultät Life Sciences

Welche Empfehlungen gibt das von Ihnen bearbeitete Kapitel hinsichtlich der Widerstandsfähigkeit von Menschen in Armut gegenüber klimabedingten Extremereignissen? Wie sollen sie gegen die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Schocks gestärkt werden?
Walter Leal: Einige der wichtigsten Erkenntnisse aus diesem Kapitel sind, dass der Klimawandel die Armut verschlimmert und die Ungleichheiten verschärft. Wenn Megatrends wie Urbanisierung oder Migration hinzukommen, wird diese Dynamik noch beschleunigt. Diese Wechselwirkung untergräbt die Fortschritte bei der Verwirklichung der UN-Nachhaltigkeitsziele, der sogenannten 17 Sustainable Development Goals. Insbesondere die Ziele 1) „Keine Armut, 5) „Gleichstellung der Geschlechter“ und 10) „Verringerung der Ungleichheit“ werden gefährdet und Ungerechtigkeiten weiter verstärkt.

Der Klimawandel verschärft aber noch weitere Ungleichheiten auf der Welt, wie unterschiedliche Anpassungsfähigkeiten sowie ungleiche Wahlmöglichkeiten und Chancen für eine nachhaltige Entwicklung und Transformation. Das Kapitel acht des Sechsten Sachstandsbericht des IPCC zeigt, dass die Art und Weise, wie eine soziale Gruppe vom Klimawandel betroffen ist, von verschiedenen Faktoren wie dem sozioökonomischen, kulturellen und geografischen Kontext abhängt. Neue Daten zur globalen Bewertung der menschlichen Anfälligkeit beziehungsweise der Widerstandsfähigkeit bei erzwungener Migration und Armut, die wir im neuen Sachstandsbericht beschreiben, ermöglichen, regionale Hotspots zu identifizieren, die mit den Hotspots von Klimagefahren einhergehen – eine gefährliche Wechselwirkung!

Der IPCC ist kein politisches Gremium, sondern soll eine Orientierung für politische Entscheidungen in Sachen Klimaschutz bieten. Wie kann er mehr Gewicht erhalten?
Walter Leal: Der IPCC hat bereits das nötige Gewicht, da er ein unabhängiges Gremium ist, das frei von jeglichem Druck oder äußeren Einflüssen arbeitet. Sein Hauptzweck besteht darin, die besten verfügbaren wissenschaftlichen Informationen über den Klimawandel zu liefern. Danach liegt es in der Hand der Politiker*innen, die entscheiden müssen, ob diese Informationen ernst genommen und die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden oder ob sie es vorziehen, diese zu ignorieren. In jedem Fall kennen die Politiker*innen durch die Arbeit der IPCC die Risiken und die Auswirkungen, die eine Untätigkeit zur Folge hätte.

Sie lehren unter anderem Gesundheitswissenschaften an der HAW Hamburg. Wie bringen Sie die Ergebnisse des IPCC-Reports in die Studieninhalte ein? Was lernen die Studierendenden und wo kommt es später zur Anwendung?
Walter Leal: In meiner Lehre verwende ich den Begriff „Alphabetisierung“. Damit möchte ich verdeutlichen, dass die Studierenden der HAW Hamburg, aber natürlich auch aller anderen Hochschulen, mit den Begriffen Nachhaltigkeit und Klimawandel vertraut gemacht werden. Dafür gibt es zwei Hauptgründe: Erstens stellen diese Themen zwei der wichtigsten Fragen der globalen Zeit dar und die Studierenden sollten sich ihrer Definition, Bedeutung und gesellschaftlichen Funktion bewusst werden. Zweitens: Nachhaltigkeit und Klimawandel spielen in allen Sektoren und Berufen eine zentrale Rolle. Früher oder später werden sie in ihren Arbeitszusammenhängen damit zu tun haben.

Nachhaltigkeit und Klimawandel können dazu recht einfach in den Lehrplan integriert werden. Sie können als Module, Einheiten in Modulen oder als selbstständige Themen einer Vorlesung unterrichtet werden. Wir als Lehrkräfte haben hier viele Möglichkeiten und großen Spielraum für die Behandlung dieser wichtigen Themen.

Weitere Information
Hier geht es zumInterview in englischer Sprache.

Interview: Katharina Jeorgakopulos

Kontakt

HAW Hamburg
Fakultät Life Sciences
Prof. Dr. (mult.) Dr. h.c. (mult.) Walter Leal
Leiter Forschungs- und Transferzentrum „Nachhaltigkeit und Klimafolgenmanagement"
Tel.: 040. 428 75-6313
walter (dot) leal2 (@) haw-hamburg.de
 

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