Vor genau einem Jahr schlossen Hamburger Schulen pandemiebedingt das erste Mal. Seitdem wird das Problem der gravierenden Bildungsbenachteiligung von Kindern und Jugendlichen in Zeiten der Corona-Pandemie diskutiert. Das Team um Prof. Dr. Katja Weidtmann, Professorin und Leiterin des Masters "Angewandte Familienwissenschaften" an der Fakultät Wirtschaft und Soziales fordert deshalb konkrete Maßnahmen zur Unterstützung.
Schulschließungen betreffen derzeit alle Schüler*innen. Die Folgen wirken sich bei Kindern und Jugendlichen auf verschiedene Lebensbereiche aus. Dabei sind die Beziehungen zu Gleichaltrigen und zu pädagogischem Personal, das familiäre Zusammenleben, das subjektive Wohlbefinden, die körperliche und psychische Gesundheit sowie die schulischen Lernfortschritte betroffen. „Manche Kinder lernen gut zu Hause, andere weniger. Das hängt ab von kindbezogenen Faktoren wie Alter und Entwicklungsstand, aber auch von Bedingungen in ihrem Zuhause wie der Ausstattung mit technischen Geräten, einem stabilen Internetzugang oder räumlichen Gegebenheiten“, sagt Diplom-Psychologin Prof. Weidtmann von dem Department Soziale Arbeit.
Das schulische Lernen muss unterstützt werden
Fast alle Familien erleben das Homeschooling als eine zusätzliche Belastung und als Herausforderung, die von ihnen unterschiedlich bewältigt werden kann. „Der Einfluss der sozialen Herkunft eines Kindes auf seinen Lernerfolg war gerade in Deutschland auch schon vor dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie bedeutsam, gewinnt durch diese aber nun noch einmal deutlich an Brisanz“, stellt die Soziologin Dr. Sabina Stelzig fest. So finden sich unter den Schüler*innen bestimmte Risikogruppen, bei denen bereits seit dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 Lerndefizite entstanden sind. Diese verschärfen sich im aktuellen Lockdown weiter. "Es ist zu befürchten, dass diese Defizite auch nach der Wiederaufnahme des schulischen Regelbetriebs schwer aufzuholen sind", so Sabina Stelzig.
„Insbesondere sehr junge Schüler*innen sowie Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund, mit besonderem Förderbedarf, aus bildungsfernen Familien und aus sozial benachteiligten Quartieren geraten immer stärker ins Hintertreffen“, sagt Stelzig. Diese Misere wird von Lehrkräften bestätigt, die sich angesichts einer deutlich gestiegenen Arbeitsbelastung in Corona-Zeiten kaum in der Lage sehen, den besonderen Bedarfen dieser bildungsbenachteiligten Gruppen nachzukommen.
Auch Studierende sind betroffen
Neben den Schulen sind auch alle Hochschulen in Hamburg nahezu geschlossen. Studentisches Leben und Lernen finden fast ausschließlich vor dem heimischen PC statt. Seminare, Vorlesungen und Prüfungen erfolgen digital. Die wichtigen persönlichen Begegnungen, der Austausch und die Diskussionen mit Kommiliton*innen und Lehrenden finden nicht statt. Weidtmann: „Auch für die Gruppe der Studierenden sind negative Auswirkungen durch die pandemiebedingten Einschränkungen in vielen Lebensbereichen zu sehen wie zum Beispiel psychosoziale Belastungen durch Ängste, Sorgen oder die Isolation von Familie und Freundeskreis“. Hinzu kommen bei vielen Studierenden existenzielle Sorgen aufgrund des Wegfalls ihrer Nebenjobs oder durch Einschränkungen bei der finanziellen Unterstützung durch die Eltern, da diese selbst in eine Notlage geraten sind.
Initiative „Hamburger Lernduett“ will unterstützen
Kinder und Jugendliche müssen daher beim Lernen „aus der Distanz“ begleitet werden, um Defizite und individuelle wie gesellschaftliche Negativ-Folgen gering zu halten. Das „Hamburger Lernduett“ sellt ein Lern-Mentoring zwischen Schüler*innen und nicht ausgebildeten Lernpat*innen her. Angesprochen sind vor allem Studierende, die die Lernpatenschaften verbindlicher und regelmäßig in entlohnter Weise übernehmen. "Eine vertrauensvolle, längerfristige soziale Beziehung im Lernduett stellt für die Motivation zum Lernen und sich Verstehen die Basis dar. Die Möglichkeiten für Schnelltests zum Ausschluss einer Covid-19-Erkrankung sind inzwischen eine hinreichende Bedingung für das gemeinsame Lernen", sagt Weidtmann.
"Das Hamburger Lernduett bietet aus diesem Grund die Chance einer vierfachen Win-win-Situation: für unterstützte Lehrkräfte, entlastete Familien, besser geförderte Kinder und Jugendliche sowie für Studierende, die neben einem kleinen Einkommen auch soziale Kompetenzen erweitern und ein Stück weit der Isolation entkommen können", bilanziert die Wissenschafltiche Mitarbeiterin im Team, Dr. Stelzig.
Weitere Informtionen:
Universitätskrankenhaus Eppendorf: Folgen der Schulschließungen bei Kindern und Jugendlichen