Die Covid-19-bedingten Einschränkungen haben unser soziales Leben stark verändert. Social Distancing ist zur neuen Normalität geworden, das Zuhause für viele das Büro und die Jogginghose zum Hauptkleidungsstück avanciert.
Aber schon vor der Pandemie 2020 gab es Menschen, die sich über einen längeren Zeitraum von der Gesellschaft, dem Freundes- und Bekanntenkreis oder dem Arbeitsplatz zurückgezogen haben. „Die Fachwelt bezeichnet eine solche Selbstisolation von mehr als sechs Monaten als extremen sozialen Rückzug; der japanische Begriff `Hikikomori´ steht dafür,“ erklärt die Soziologin Dr. Sabina Stelzig von der HAW Hamburg. Sie untersucht jetzt das Phänomen im Rahmen eines Forschungsprojekts. „Dabei bestehen außerhalb der Familie keine Kontakte und es findet keine Teilnahme an sozialen Aktivitäten statt, Ausbildung und Arbeit eingeschlossen. Viele der Betroffenen werden auch als Erwachsene noch von ihren Familien versorgt.“
Die Perspektive „Hikikomori“ einnehmen
Das Forschungsprojekt zum extremen sozialen Rückzug in Familien ist am Department Soziale Arbeit angesiedelt und will untersuchen, inwiefern die Perspektive „Hikikomori“ das Verständnis und den Umgang mit Menschen im extremen Rückzug verbessern kann. Der soziale Rückzug aus dem Verständnis von Hikikomori stellt die mögliche psychische Störung nicht in den Vordergrund. Vielmehr wird versucht, den Rückzug ganzheitlich zu betrachten. „Der soziale Rückzug ist bei einem sogenannten primären Hikikomori kein Symptom einer psychischen Störung. Die Entstehung einer psychischen Störung wird aber mit einer längeren Dauer wahrscheinlicher. Bei einem sekundären Hikikomori hingegen ist davon auszugehen, dass eine psychische Störung wie eine Depression oder Angststörung Auslöser des Rückzugs sein können. In beiden Fällen geraten individuelle oder äußere Faktoren in den Fokus, die eine Untersuchung aus einer interdisziplinären Perspektive sinnvoll erscheinen lassen“, erklärt Dr. Stelzig.