Lieber Professor Reintjes, wie schätzen Sie die Lage für das Infektionsgeschehen im Herbst 2022 ein?
Prof. Dr. Ralf Reintjes: Wie genau der Herbst verlaufen wird, ist nicht mit Sicherheit vorherzusagen. Wenn wir jedoch aus den Erfahrungen der letzten Jahre und aus epidemiologischer Sicht auf den Herbst und Winter schauen, spricht vieles dafür, dass mit sehr hohen Infektionszahlen zu rechnen ist. Hinzu kommt, dass durch den Wegfall vieler Schutzmaßnahmen, die uns in den letzten Jahren vor einer einfachen Übertragung des Virus geschützt haben, es dem Virus erleichtern, sich weiter in der Gesellschaft auszubreiten. Somit ist für den nächsten Herbst und Winter – so leid es mir tut – immer noch keine Entwarnung zu geben.
Wie bewerten Sie die aktuellen Entscheidungen der Bundesregierung und – recht aktuell – von der STIKO und was wäre Ihr Rat an die Hamburger Bürger*innen?
Ralf Reintjes: Aus meiner Sicht sind viele der aktuellen Entscheidungen zum Schutz vor einer massiven Übertragung des Virus gut durchdacht, jedoch in Teilen nicht weitreichend genug.
Eine Maskenpflicht in öffentlichen Innenräumen, in denen sich viele Menschen aufhalten, wäre sicherlich zum Schutz vieler Personen wünschenswert. Aus vielen wissenschaftlichen Untersuchungen wissen wir mittlerweile, dass das Tragen von Masken das Übertragungsrisiko respiratorischer (Anmerk. „die Atmung betreffend") Viren deutlich verringert. Es ist vor allem dann effektiv, wenn alle Personen in einem Raum eine Maske tragen und nicht nur Personen mit einem erhöhten Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf.
Im Oktober soll es einen angepassten Impfstoff geben. Dazu rät die STIKO, auch den bestehenden Wirkstoff weiter zu nutzen. Wie schätzen Sie die Impf-Situation im Herbst ein?
Ralf Reintjes: Auch wenn der zur Verfügung stehende Impfstoff nur beschränkt vor einer Infektion mit dem Virus schützt, so ist doch mittlerweile deutlich, dass eine Impfung ziemlich gut vor einem schweren Krankheitsverlauf schützt. Da im Laufe der Zeit die Schutzwirkung bei Geimpften abnimmt ist eine Auffrischung hilfreich, und das nicht nur für ältere Mitbürger*innen.
Da sich dieses Virus durch Mutationen regelmäßig weiterentwickelt, können wir beobachten, dass sich viele Personen auch mehrfach, teilweise nach recht kurzer Zeit, infizieren können. Somit kann ich als Arzt und Epidemiologe nur jede oder jeden dazu ermuntern, das eigene individuelle Infektionsrisiko so gering wie möglich zu halten. Dazu gehört neben der Auffrischung des Impfstatus auch das regelmäßige Nutzen von Masken in öffentlichen Innenräumen sowie überall dort, wo viele Menschen sich nahekommen.
Interview: Kathrina Jeorgakopulos/Anke Blacha