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Für eine lustvolle Nachhaltigkeit

Thekla Wilkening ist Nachhaltigkeitsaktivistin. Mit 25 Jahren machte sie sich mit der „Kleiderei“ selbstständig. Als Expertin für Kreislaufwirtschaft in der Mode berät sie heute Unternehmen in Sachen Nachhaltigkeit. Gerade hat sie außerdem ein Buch über die Widersprüche in der Nachhaltigkeitsdebatte veröffentlicht. Gestartet hat sie ihre Karriere am Department Design der HAW Hamburg als Studentin für Bekleidung, Technik und Management.

Thekla Wilkening an einem Tisch mit Blumen

Thekla Wilkening ist Expertin der Kreislaufwirtschaft. 2012 gründete sie die Kleiderei, ein Geschäft für hochwertige Second-Hand-Mode zum Ausleihen.

Als Thekla Wilkening 2017 ihr Studium der Bekleidungstechnik an der HAW Hamburg abschließt, blickt sie bereits auf eine erfolgreiche Karriere zurück: Sie hatte 2012 zusammen mit ihrer Kollegin Pola Fendel die „Kleiderei“ ins Leben gerufen, ein Geschäft, in dem sie hochwertige Second-Hand-Mode zum Ausleihen im Monats-Abo anboten und nur die Kleider gekauft wurden, die einem wirklich gefallen. Dem Magazin Brand eins war dies 2013 sogar eine Titelgeschichte wert.

„Eigentlich haben wir aus der Not eine Tugend gemacht“, erzählt Wilkening. „Ich hatte im Ingenieursstudium der Bekleidungstechnik bei Prof. Patrick Kugler die vielfältigen und komplexen Produktionszusammenhänge erlernt, die hinter einem Kleidungsstück, der fertigen Mode, stehen. Ich war ehrlich gesagt frustriert, wie wenig Einfluss wir darauf haben, den Produktionsprozess nachhaltig zu gestalten und die Lieferketten umzustellen. Daher haben wir beim Produkt, dem fertigen Kleidungsstück, angesetzt. Wir wollten dieses wieder verwenden und so den Gedanken der Kreislaufwirtschaft verwirklichen“, erzählt Wilkening. 

Die Rechnung der beiden Gründerinnen ging auf: Die Kleiderei wurde zu einem Erfolgskonzept: Heute ist sie mit zwei Standorten in Köln und Freiburg und auf der Online-Plattform kleiderei.com vertreten. „Wir waren mit diesem Konzept der Nachhaltigkeit von Mode der Zeit schon ein wenig voraus“, sagt Wilkening. „Darauf sind wir heute stolz!“

Kleider teilen statt besitzen – Ausleihen statt Kaufen: Sharing Economy ist auch in der Modebranche angekommen. Pola Fendel und Thekla Wilkening ließen den innovativen Konsumgedanken "Mode-Erfahrungen zu abonnieren” mit ihrer Pop-up Kleider-Bibliothek “Kleiderei" wahr werden.

Beratung für nachhaltige Start-ups
Inzwischen hat sie die Geschäftsführung an eine kompetente Kollegin aus der nachhaltigen Textilbranche abgegeben. Ihr Haupttätigkeitsfeld liegt heute in der Beratung von Start-ups: „Viele Produkte schaffen es nicht auf die Straße, obwohl die Anfangsvision schön und gut gewesen war und die Gründerinnen und Gründer dafür brannten“, sagt sie. Ihre Aufgabe sei die Begleitung des nachhaltigen Produkts bis zur Marktreife. „Hier profitiere ich natürlich von meinen Kenntnissen durch den Aufbau der Kleiderei und die fast zehn Jahre Geschäftsführung.“

Im Zentrum ihrer Beratung stünden immer die Kund*innen. „Wir arbeiten zusammen einen Fragenkatalog durch. Das wichtigste dabei ist die Definition der Zielgruppe und die Produktionsbedingungen. Wir fragen, passt das Produkt zur Zielgruppe, ist die Lieferkette transparent genug? „Diese Fragen sind für die jungen Unternehmer*innen oftmals schmerzhaft, denn sie wollen gar nicht so genau wissen, was die anderen wollen oder machen.“ Der Realitätscheck habe eben auch eine Rückwirkung auf das Produkt, das gegebenenfalls nochmal angefasst werden müsse. „Aber um wirtschaftlich erfolgreich zu sein, ist dieser Filter absolut notwendig!“ Dazu fragen wir, ob das Produkt auf Kurz- oder Langfristigkeit angelegt ist, ob es teuer oder billig sein soll. Das spielt zum Beispiel eine Rolle, wenn ein kostspieliges Nachhaltigkeitssiegel benötigt wird, um sich am Markt platzieren zu können.

Wilkening bringt ein Beispiel: Eine Gründerin stellt nachhaltig produzierte Kerzen aus Bienenwachs her. Sie möchte diese zunächst in einem eigenen Store verkaufen. „Hier ist ein teures Öko-Siegel überflüssig, denn die Glaubwürdigkeit liegt in der Person, die wir persönlich treffen können. Die Kerzen können so günstiger verkauft werden. Will sie aber in den Wholesale-Markt gehen, braucht sie es. Dann aber werden die Kerzen teurer“, bilanziert sie. Die Gründer*innen prüfen auf diese Weise in sogenannten Power-Workshops ihre Marktfähigkeit und richten ihre Produkte gegebenenfalls neu aus. „Das kann ein anstrengender, leidvoller Prozess sein. Einige schaffen es deshalb auch nicht, ihre Ideen in die Praxis umzusetzen.“

Was jeder für mehr Nachhaltigkeit tun kann
Im Juli ist jetzt außerdem ein Buch von Thekla Wilkening erschienen: „Das Bio-Pizza-Dilemma“ (7/2021). Es geht darum, was jeder*jede Einzelne für mehr Nachhaltigkeit tun kann und was nicht.  „Den Unternehmen wird es leicht gemacht, sich nachhaltig zu präsentieren und dies als Werbestrategie einzusetzen.“ Immer mehr Siegel erscheinen auf den Produkten von Großunternehmen. „Durch diesen Siegel-Dschungel steigt kein Mensch mehr wirklich durch. Keiner weiß, was sich dahinter wirklich verbirgt.“ Den Unternehmen verleihe dieser Siegel-Hype Glaubwürdigkeit, die es jedoch zu hinterfragen gelte: „Fünf Cent beim Kauf einer sogenannten Bio-Pizza sollen für bessere Böden eingesetzt werden. Was bitte meint das? Wie werden diese Böden verbessert und welche Böden sollen das eigentlich sein? In meinem Buch zeige ich, dass das Ganze irgendwann absurd wird.“

Anders stelle sich die Situation bei den Konsument*innen dar: „Hier herrscht ein Schamgefühl vor, nicht genügend nachhaltig zu sein.“ Jeder beäuge den anderen. Eine Freundin von Thekla Wilkening bemerkte beispielsweise bei einem Besuch erstaunt das Plastik in ihrem Badezimmer. „Dieser Perfektionismus, den wir als Privatperson betreiben, um rein nachhaltig zu haushalten, ist falsch. Er führt zur Frustration bis hin zur Kapitulation. Dabei ist jedes Bemühen richtig! Es gibt hier kein richtig oder falsch, nicht die eine Messlatte für alle. Das versuche ich, in meinem Buch zu beschreiben.“  Alles andere führe am Ende zu Resignation und Hoffnungslosigkeit. „Aber wir möchten zum nachhaltigen Handeln auffordern, wollen Mut machen, dass eigentlich alles geht und gut ist, was damit zu tun hat. Das ist unsere Botschaft!“

Text: Katharina Jeorgakopulos

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