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DFG-Forschung

"Für wirklich grüne Produkte brauchen wir Einblicke in unsere Prozessreaktoren"

Prof. Dr. Alexandra von Kameke ist mit zwei Projekten an einem neuen DFG-geförderten Sonderforschungsbereich der TUHH beteiligt. Es geht um smarte Reaktoren, die helfen, die Produktion von hochwertigen Chemikalien flexibler und nachhaltiger zu machen.

Ist mit zwei Projekten an einem Sonderforschungsbereich der TUHH beteiligt: Prof. Dr. Alexandra von Kameke

Um die Spitzenforschung zu stärken, fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)  bundesweit elf neue Sonderforschungsbereiche an verschiedenen Hochschulen. Prof. Dr. Alexandra von Kameke aus dem Department Maschinenbau und Produktion ist mit zwei Projekten am Forschungsvorhaben „SMARTe Reaktoren für die Verfahrenstechnik der Zukunft“ beteiligt, das von der Technischen Universität Hamburg (TUHH) geleitet wird. Zahlreiche Wissenschaftler*innen unterschiedlicher Hochschulen in und um Hamburg arbeiten im Projekt intensiv zusammen, um sogenannte smarte Reaktoren auf den Weg zu bringen. Die einzelnen Projekte sind eng miteinander verzahnt, ergänzen sich, bringen sich gegenseitig voran. Die enge Zusammenarbeit der beteiligten Wissenschaftler*innen ist deshalb enorm wichtig.

„Grünere“ Verfahren durch smarte Reaktoren
Um den Klimawandel nicht weiter zu verschärfen und widerstandsfähigere Lieferketten zu schaffen, müssen wir von fossilen auf nachwachsende Rohstoffe umsteigen. Diese Rohstoffe sind allerdings nicht das ganze Jahr über in gleicher Menge verfügbar und auch ihre Qualität schwankt. Beispielsweise fällt bei der Produktion von Biodiesel aus Pflanzenölen als Seitenprodukt Glyzerin in variierender Qualität an. Während das Glyzerin selbst nicht sehr wertvoll ist, kann es mittels chemischer oder biologischer Verfahren in höherwertige Chemikalien weiterverarbeitet werden. Um das besonders effizient und wenig fehleranfällig zu machen, werden im neuen Sonderforschungsbereich neuartige Reaktoren entwickelt. Das Ziel: Die Reaktoren sollen selbstanpassend reagieren, um die schwankenden Eigenschaften von Rohstoffen zu regulieren und die Prozesse widerstandsfähiger zu machen. Außerdem sollen sie weniger Abfallprodukte, also auch Schadstoffe generieren und am optimalen Leistungspunkt arbeiten.

Alternative Verfahren
„Parameter wie Druck, Temperatur, Konzentration und die Strömung von Gemischen im Inneren der Reaktoren sollen kontinuierlich mit Sensoren oder direkt von smarten, autonom agierenden Materialien überwacht und unmittelbar korrigiert werden“, so die studierte Physikerin und Prodekanin für Forschung an der Fakultät Technik und Informatik, Prof. von Kameke.

„Wir haben uns außerdem gefragt: Wie können wir dafür sorgen, dass die Reaktoren vielseitiger einsatzbar sind? Müssen sie immer in großen Fabriken stehen oder können wir dezentral und auf lokal spezifische Nachfrage produzieren? Was können wir tun, damit bei den Prozessen weniger Abfallprodukte und Schadstoffe entstehen?“, erklärt die Wissenschaftlerin die Fragestellung.
Gerade im Chemiesektor hätte sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht viel Grundsätzliches verändert: Die Prozesse verbrauchten oft sehr viele fossile Rohstoffe, erzeugten teilweise giftige Schadstoffe als Nebenprodukte und seien energieintensiv. „Wenn man den Prozess nur ein kleines bisschen verbessert, etwas selektiver macht, so dass man mehr von dem gewünschten Produkt und weniger von dem unerwünschten erhält, hat man schon viel gewonnen“, sagt sie. Von den Prozessen auf Basis nicht-nachwachsender Rohstoffen müsse man langfristig wegkommen und auf umweltfreundlichere Methoden umsteigen.

Beispielsweise lässt sich aus dem oben erwähnten Glyzerin der wertvollere Stoff 1,3-Propandiol gewinnen, der in Körperpflegeprodukten oder Malerfarben vorkommt und auch eine entscheidende Rolle bei der Herstellung von Teppichfasern spielt. Neuerdings kann man 1,3-Propandiol auch biologisch mit Hilfe von Bakterien herstellen, die den Stoff ausscheiden. Oder über Enzymreaktionen aus Glyzerin.

Aktuell wissen wir noch gar nicht so genau, was in den Prozessreaktoren eigentlich passiert.

Prof. Dr. Alexandra von Kameke

Transportprozesse an smarten Oberflächen besser verstehen
Im Teilprojekt „Maßgeschneiderte Transportprozesse in Mehrphasenreaktoren (Tailored transport processes in multiphase reactors)“ möchte von Kameke mit ihrem Kollegen Prof. Dr. Michael Schlüter von der TUHH die Transportprozesse an den smarten Oberflächen besser verstehen, auf denen Enzyme, Bakterien oder Katalysatoren aufgebracht sind. Meistens ist ein möglichst rascher Transport zu den Oberflächen hin und auch wieder weg vorteilhaft, so dass in kurzer Zeit möglichst viel Fluid reagieren kann. Dabei spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, beispielsweise die Strömungsführung im Reaktor oder die Blasenbildung. Für das Projekt bauen die Wissenschaftler*innen kleine Testreaktoren – in maximal Millimetergröße – nach und führen Messungen und Simulationen durch. Im Inneren dieser sogenannten Mikroreaktoren strömen Flüssigkeiten über die dort verbauten smarten Oberflächen hinweg. Da diese Transportprozesse mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen sind, verwenden von Kameke und Schlüter spezielle Mikroskope. Dort, wo auch deren Auflösung nicht mehr gut genug ist, kommen numerische Simulationen zum Einsatz.

Den Strömungen auf der Spur
In einem zweiten Projekt von Prof. von Kameke, das sie mit Kollegin Prof. Dr. Kathrin Padberg-Gehle von der Leuphana Universität bearbeitet, werden Strömungen und Mischprozesse in chemischen Reaktoren auf größerer Skala untersucht. Das Team um von Kameke wird dafür experimentelle Messdaten erheben, beispielsweise mittels Sensoren und hochaufgelöster Partikelverfolgung mit Hochgeschwindigkeitskameras, die die HAW Hamburg soeben erfolgreich mit dem Großgerät MUST einwerben konnte. Diese Daten werden dann von Prof. Padberg-Gehle und ihrem Team an der Leuphana mit Netzwerktheorie analysiert.

„Aktuell wissen wir noch gar nicht so genau, was in den Prozessreaktoren eigentlich passiert“, erklärt von Kameke. Dabei sind diese Prozesse rund um die Durchmischung total wichtig“. Die Wissenschaftlerinnen möchten verstehen, wie sich Substrate, also beispielsweise Chemikalien oder Nährstoffe für Mikroorganismen, mischen und werden ihren Transportmustern auf den Grund gehen. „Mikroorganismen in Bioreaktoren reagieren empfindlich auf verschiedene Konzentrationen von gelösten Gasen oder Nährstoffen. Wir möchten verstehen, wie die Durchmischung in Reaktoren durch bestimmte Strömungssituationen verzögert wird und was wir tun können, um optimale Bedingungen im Reaktor zu schaffen“, erklärt von Kameke. Ziel ist es, Zonen mit schlechter Durchmischung zu identifizieren und so deren negativen Einfluss auf Reaktionsausbeute und die Bildung von Nebenprodukten zu reduzieren.

Mit der Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert von Kameke eineinhalb Doktorandenstellen sowie die Ausstattung für die zwei Forschungsprojekte. Die Förderung läuft vorerst über drei Jahre und neun Monate, danach kann eine Verlängerung in Betracht gezogen werden. Die maximale Förderdauer für einen Sonderforschungsbereich beträgt zwölf Jahre.

Text: Tiziana Hiller

Weiterführende Infor­mationen zum Forschungsprojekt

Am DFG-geförderten Sonderforschungsprojekt „SMARTe Reaktoren für die Verfahrenstechnik der Zukunft“ sind neben der TU Hamburg, der HAW Hamburg und der Leuphana Universität Lüneburg auch die Universitäten Hamburg und Freiburg sowie die Forschungsinstitute Hereon Geesthacht und das DESY beteiligt. Die Fördersumme insgesamt beträgt rund 13,5 Mio. Euro für eine Laufzeit von 45 Monaten.
Das Akronym SMART steht dafür, nachhaltige Ressourcen „Sustainable“ in verschiedene Produkte umzuwandeln (Multipurpose), indem die Bedingungen im Reaktor autonom (Autonomous) optimiert werden. Dies wiederum soll zu widerstandsfähigeren Prozessen (Resilient) führen, die dann besser übertragbar sind (Transferable).

Kontakt

Prof. Dr. Alexandra von Kameke
Prodekanin für Foschung, Fakultät TI
Department Maschinenbau und Produktion
alexandra.vonkameke (at) haw-hamburg (dot) de

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