Besonders Frauen und Minderheiten, wie die LGBTQ+-Gemeinschaft, sind unverhältnismäßig stark vom Mangel an Sicherheit im öffentlichen Raum betroffen, das – so sieht es die Gründerin von UrbView – stellt ein großes Hindernis auf dem Weg zur Gleichstellung und Diversity dar. Dabei zeigen Studien, welchen Einfluss eine sicherheitsbewusste Stadtplanung auf die Kriminalitätsrate und die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel haben können.
In unserem Interview erzählt Elnaz Nouri über ihre Gründung, ihre persönliche Geschichte dahinter und was sie anderen Wissenschaftler*innen und Gründer*innen raten würde.
Wie sind Sie auf die Idee Ihrer Gründung gekommen?
Als Iranerin hatte ich persönlich viel mit Belästigung auf der Straße zu kämpfen. Das ist ein großes Problem. Als ich nach Deutschland kam, um zu studieren, wurde es besser, dennoch kommt es auch hier zu Belästigungen. Nur auf andere Weise und in unterschiedlicheren Kontexten - aber es passiert. Während meines Masterstudiums Public Health an der HAW Hamburg habe ich mich entschlossen, mich auf Citizen Health und speziell auf Belästigung zu fokussieren. Ich habe Daten in meiner Heimatstadt gesammelt und Studien aus Regionen auf der ganzen Welt analysiert. Die Daten und Metriken zeigen eindeutig, dass Belästigung sich auf alle Aspekte des Lebens einer Person auswirkt. Es verändert, wie sie Dinge wahrnimmt, wie sie mit anderen interagiert, wie sie Verkehrssysteme und Infrastruktur nutzt und sogar die Entscheidungen, die sie in Bezug auf Arbeit oder Studium trifft. Es ist ein weitreichendes Problem und wir sollten dort deshalb Lösungen finden.
Was zeichnet eine gute oder sichere städtische Architektur aus?
Das ist eine große Frage… Es ist wichtig zu wissen, dass Sicherheit in Städten oder öffentlichen Räumen ein komplexer Begriff ist, der auch von Kultur und Gesellschaft beeinflusst wird. Wir bei UrbView möchten bessere Orte für alle schaffen, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrem Minderheitenstatus oder ihrer Herkunft. Um dies zu verstehen, müssen wir beachten, wie diese verschiedenen Gemeinschaften öffentliche Räume nutzen und dort interagieren. Selbst einfache Aktivitäten wie Spazierengehen oder die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel hängen von Faktoren wie Erziehung, Gender und dem Gefühl persönlicher Sicherheit ab. Forschungen zeigen, dass Frauen sich oft gezwungen fühlen, teurere, aber sicherere Reisemöglichkeiten zu wählen, also zum Beispiel Taxi fahren statt einen Bus zu nehmen. Sie meiden möglicherweise auch bestimmte Orte wie Parks in der Nacht, wenn diese unsicher sind. Das Thema berührt also sehr wesentlich Fragen zu Fairness und sozialer Gerechtigkeit in einer Gesellschaft.
Was hat Ihr Projekt damit zu tun, wie macht es Städte sicher?
Unser Ziel ist es, Belästigung und sexuelle Gewalt in öffentlichen Räumen anzugehen. Ein Beispiel: Derzeit gibt es schon Apps, die anhand von Kriminalstatistiken anzeigen können, wie sicher ein Gebiet ist. Das ist aber nur eine vorübergehende Lösung. Es ist, als würde man Schmerzmittel nehmen, anstatt die eigentlichen Probleme anzugehen. Und warum sollte ich dafür bezahlen müssen, mich sicher zu fühlen, während ich mein tägliches Leben führe? Das ist nicht gerecht. Es gibt viele Faktoren, die berücksichtigt werden müssen. Themen wie Bildung, Wirtschaft, Engagement in der Gemeinschaft, die Arbeit von sozialen und staatlichen Organisationen, Polizeiarbeit und natürlich auch Aspekte bei der städtebaulichen Planung. Wir bei UrbView konzentrieren uns insbesondere auf Letzteres. Wir bringen Wissen aus den Bereichen Public Health, Kriminologie, Data-Science und Stadtplanung zusammen, um sichere öffentliche Räume zu schaffen oder zu erhalten. Städtebaubehörden können künftig unsere Expertise nutzen, um öffentliche Räume für alle sicherer zu machen, und wir stellen ihnen die dafür erforderlichen Werkzeuge zur Verfügung.
Was sind Ihre nächsten Meilensteine?
In den nächsten Monaten planen wir, unser Produkt für unsere erste Gruppe von Beta-Nutzer*innen zu öffnen, hauptsächlich für Planungsbüros in der Stadtplanung. Das ist ein aufregender Meilenstein für uns. Darüber hinaus bewerben wir uns auch um öffentliche Startup-Förderprogramme in Hamburg und Berlin, wie zum Beispiel EXIST oder InnoRampUp. Wenn wir ausgewählt werden, würde das unser Projekt auf eine ganz neue Ebene bringen. Derzeit sind wir ein Team von fünf Personen, das sich darauf konzentriert, unseren Prototypen zu entwickeln. Wir haben das Glück, ein starkes Unterstützungsnetzwerk zu haben, insbesondere mit unserem Mentor Professor Dr.-Ing. Jörg Rainer Noennig von der HCU, HafenCity Universität, der uns wertvolle Einblicke in städtebauliche Planung und Stadtwissenschaften gibt, was sein Fachgebiet an der HCU ist. Es wäre jedoch großartig unsere Expertise im Team künftig auch im Vertrieb oder im Bereich Stadtplanung zu erweitern.
Haben Sie hilfreiche Ratschläge für andere, die ihre Forschung in ein Startup umwandeln möchten?
Ich glaube wirklich, dass fast jede*r das Potenzial hat, ihr oder sein eigenes Unternehmen zu gründen. Und die drei wichtigsten Dinge, die man dafür braucht, sind das Team, das Team und das Team. Als wir anfingen, wussten wir nicht, wie oder wo wir anfangen sollten. Aber wir haben uns an Startup-Services im Hamburger Startup-Ökosystem gewandt. Also Netzwerke wie beyourpilot an den Hochschulen. Die Berater*innen haben uns geholfen, ein besseres Verständnis dafür zu entwickeln, was funktionieren könnte. Das Wichtigste war aber die Verbindung zu anderen Gründer*innen. Das ist unglaublich wichtig. Mein Tipp ist daher: Geht einfach raus und fragt nach Hilfe oder einem Rat. Viele Menschen haben eine Hemmung, andere mit ihren Anliegen anzusprechen, aber es wirkt Wunder! Ich habe mich mit einer anderen Gründerin nach einem Startup-Event vernetzt und wir haben angefangen, uns alle zwei Wochen auf einen Kaffee zu treffen. Das hat unglaublich geholfen. Also zögert nicht, Kontakte zu knüpfen und euch zu vernetzen! Umgebt euch mit Menschen, die eure Werte, eure Vision teilen und sich für die gleichen Dinge einsetzen. Das kann eine so große Inspirationsquelle sein.
Vielen Dank für Ihre Zeit!
Interview: Olaf Ledderboge (das Interview wurde auf Englisch geführt)
Gründer*in werden
Fertig mit dem Studium und dann? Der GründungsService der HAW Hamburg bietet eine grundlegende Erstberatung für Einzelgründer*innen und Gründungsteams an, die sich in der Vorgründungs-, Gründungs- und Nachgründungsphase befinden. Dazu zählen auch Beratungen zur Freiberuflichkeit.
Dabei geht es unter anderem um folgende Themen:
Interessierte finden auf der Website der HAW Hamburg weiter Informationen.
Für alle, die noch am Anfang des Studiums stehen: Die Bewerbungsfrist für den Masterstudiengang Public Health ist abgeschlossen. Aber aktuell läuft die Bewerbungsphase vieler Studiengänge für den nächsten Start zum winter semester 2023/24. Bewerbungen sind bis zum 15. Juli 2023 möglich.