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Studienprojekt "Mobile Kommunikationsstation"

Gemeinsam für Bevölkerungsschutz

Die Hochwasser-Katastrophe Mitte Juli im Westen Deutschlands hat gezeigt, wie wichtig, aber auch wie schwierig die Aufrechterhaltung der Kommunikation bei einer völligen Zerstörung der Infrastruktur ist. Studierende der Mechatronik (Fakultät Technik und Informatik) haben im Sommersemester 2021 gemeinsam mit Kommilitonen der Gefahrenabwehr und des Rettungsingenieurswesen (Fakultät Life Sciences) Modelle für autarke, transportfähige Lade- und Kommunikationsstationen entwickelt.

3-D-Modell einer mobilen Kommunikationsstation - Blick in die Station

Jannik Gerbers, Victor-Glekler, Joshua Ole Rühaak haben in ihrer Konzeptidee für eine mobile Kommunikationsstation neue Herausforderungen aufgrund des Klimawandels berücksichtigt.

„In der Aufgabenstellung lag der Fokus der Einsatzmöglichkeiten zwar nicht ausschließlich auf Krisengebieten. Doch da wir die Expertise der Fakultät Life Sciences nutzen konnten, hat sich eine ideale Kooperation ergeben, mit der wir direkt einen Praxis-Check machen konnten“, sagt Prof. Dr. Anna Usbeck vom Departement Maschinenbau und Produktion über das Studienprojekt.

Prof. Dr. Karsten Loer, Professor für Technik der Gefahrenabwehr im Bevölkerungsschutz, ergänzt: „Jeder Studierendengruppe stand ein Studierender der Studiengänge Gefahrenabwehr oder Rettungsingenieurswesen als potenzieller Kunde zur Verfügung. Die meisten von ihnen engagieren sich ehrenamtlich bei Rettungsdiensten oder der Feuerwehr und kennen die Bedarfe also aus der Theorie und Praxis.“ Diese Studierenden nahmen nicht aktiv an der Entwicklung teil, sondern standen außerhalb ihrer eigenen Lehrveranstaltungen für Rückfragen zur Verfügung.

Zum Start des Projekts konnte keiner von uns ahnen, wie relevant die Produkt-Ideen zum Ende des Semesters sein werden.

Jannik Garbers, studiert Mechatronik dual im 4. Semester an der HAW Hamburg

„Bislang habe ich noch nie an einem fakultätsübergreifenden Projekt teilgenommen. Ich hatte aber den Eindruck, dass unsere Hinweise aus Sicht der Gefahrenabwehr sehr hilfreich für die Produkt-Entwicklungen der Mechatronik-Studierenden waren, weil sie so die Bedarfe aus der Praxis besser einschätzen konnten“, sagt Markus Wiedemann, der 2019 sein Studium an der HAW Hamburg abgeschlossen hat und derzeit im Simulationslabor SIMLab arbeitet. „Da wir als potenzielle Kunden unterschiedliche Ansprüche gestellt haben, sind in den einzelnen Gruppen auch verschiedene Produkt-Varianten entstanden, was sehr spannend zu sehen war.“

Neben den Hinweisen der Studienkolleg*innen galt es für die Mechatronik-Studierenden folgende Voraussetzungen zu berücksichtigen: An der mobilen und autark zu nutzenden Ladestation sollten bis zu 200 Smartphones parallel geladen werden können. Außerdem sollte es möglich sein, die Station auf einem geländegängigen Anhänger zu transportieren. „Zum Start des Projekts konnte keiner von uns ahnen, wie relevant die Produkt-Ideen zum Ende des Semesters sein werden. Dennoch hatten wir in unserer Gruppe gleich zwei entscheidende Entwicklungskriterien bedacht: Den Klimawandel, der zukünftig häufiger zu Katastrophen führen wird, und Kommunen als potenzielle Kunden, die kostensensibel entscheiden müssen,“ so Jannik Garbers, der Mechatronik dual im vierten Semester an der HAW Hamburg studiert. Sein Kommilitone Thorge Karnath, der ebenfalls im vierten Semester ist, ergänzt: „Wir waren überrascht, dass es noch kein Produkt am Markt gibt, das die beiden Komponenten Stromversorgung und Kommunikation in dieser Form verknüpft. Momentan gibt es dafür also kaum Wettbewerber.“

Die Studierenden lernen, dass die Entscheidungen zu Beginn der Entwicklungsphase einen großen Einfluss auf den späteren Erfolg des Produktes haben.

Prof. Dr. Anna Usbeck vom Departement Maschinenbau und Produktion

Neben der genauen Markt- und Wettbewerbsanalyse sowie der (technischen) Produktentwicklung am 3D-Modell stand der regelmäßige Austausch mit dem Kommilitonen von Life Sciences auf dem Projektplan: „Wir hatten während des Semesters rund drei Gespräche mit dem Kommilitonen: Am Anfang, um überhaupt eine Idee von den Anforderungen zu bekommen, und in der Entwicklungsphase, um unsere Umsetzungen mit der Praxiserfahrung zu vergleichen und direkt zu verbessern“, erklärt Jannik Garbers.

Die drei von einer Jury ausgewählten Arbeiten zeigen fachlich gut durchdachte Konzepte und gehen über die gestellten Anforderungen sogar hinaus: Eine Studierendengruppe entwickelte eine Station, die mit zusätzlichen Solarmodulen langfristig energie-autark zum Einsatz kommen kann. Eine weitere Gruppe sieht in ihrem Konzept vor, dass die Station sogar in der Luft transportfähig ist. Dadurch könnte diese auch bei einer komplett zerstörten Verkehrsinfrastruktur zum Einsatz kommen. „Mit der Idee, dass die Anlage per Luftfracht transportiert werden kann, hat die Gruppe eigenständig eine zusätzliche Anforderung formuliert. Dieses Detail stellt auf dem Markt einen sogenannten „unique selling point“ dar“, so Prof. Usbeck. „Die Studierenden lernen, dass die Entscheidungen zu Beginn der Entwicklungsphase einen großen Einfluss auf den späteren Erfolg des Produktes haben.“

Zum Abschluss des Semester-Projekts hatten die drei besten Studierendengruppen die Chance, ihre Projekt-Entwicklung vor einer Jury zu präsentieren, die aus Anwender*innen aus der Praxis bestand. „Unsere Gruppe hatte durch den Berater vom Studiengang Gefahrenabwehr schon einen guten Einblick in die Bedarfe vor Ort – allerdings hatten wir den Fokus stärker auf internationale Katastrophengebiete gelegt. Dennoch zeigte die Hochwasser-Katastrophe, dass unsere Produkt-Idee einen starken realen Bezug hat und wir etwas Relevantes entwickelt haben,“ so Thorge Karnath. „Das hat uns die Präsentation zum Abschluss deutlich gezeigt. Hätten wir die Konzepte der drei besten Gruppen zusammengetan, wäre schon ein sehr gutes Produkt am Ende des Semesters herausgekommen.“

Die im Studiengang an der HAW Hamburg entwickelten Konzepte passen in die neuen Anforderungen.

Prof. Dr. Karsten Loer, Professor für Technik der Gefahrenabwehr im Bevölkerungsschutz

Prof. Dr. Loer ergänzt: „Für potenzielle Kunden sind solche Konzeptideen sehr interessant, da es auch für die Kommunikation über Messengerdienste wie Whatsapp oder die Nutzung von Warnhinweisen per App eine funktionierende Kommunikationsinfrastruktur braucht. Gleichzeitig müssen aber auch die Menschen erreicht werden, die nach wie vor analoge Kommunikation bevorzugen. Die im Studiengang an der HAW Hamburg entwickelten Konzepte passen in die neuen Anforderungen.“ Markus Wiedemann, der drei Tage nach der Hochwasser-Katastrophe als Helfer vor Ort war, weiß: „Auch für die Helfer, die zum Teil spontan unterstützen wollen, ist so eine mobile Kommunikationsstation hilfreich – vor allem in den ersten Tagen, wenn die Kommunikationsnetze gestört sind. Und neben den Internet-Störungen gibt es immer wieder Stromausfälle oder ist der Strom komplett abgeschaltet, die Ladestationen könnten da mitunter der einzige Anlaufpunkt sein.“

Wie es mit den Modellen weitergeht, ist derzeit offen. Die Studierenden und Lehrenden hoffen auf eine Umsetzung mit Projektpartnern, damit in zukünftigen Krisenfällen zumindest die Kommunikation besser funktioniert.

Text: Anke Blacha

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