Als Dozent in China
Seit 1999 unterrichten Hamburger Professor*innen acht Wochen lang mit 16 Stunden pro Woche in Shanghai. Sie vermitteln sowohl fachtechnische Inhalte als auch spezielle deutsche Fachbegriffe in den Bereichen Elektrotechnik, Maschinenbau und Wirtschaft. Einer der Lehrenden, die in diesem Semester in Shanghai unterrichten, ist Prof. Dr. Henner Gärtner, zugleich Fachkoordinator im Bereich Maschinenbau. Er berichtet davon, wie er neben Fachinhalten indirekt auch die deutsche Kultur vermittelt: „Wenn ich den Hörsaal betrete, rufen mir 45 chinesische Studierende motiviert „moin moin“ zu“, erzählt Gärtner von seinem Alltag am College. Unterschiede in der Lernmentalität wären allerdings nicht von der Hand zu weisen: „Ich erwarte von meinen chinesischen Studierenden beispielsweise, dass sie eine Präsentation frei halten“, so Gärtner. Das Konzept „Referat“ gäbe es in China allerdings nicht, die Studierenden mussten noch nie vor Publikum frei sprechen. „Aber die freie Rede gehört eben zur deutschen Kultur genauso dazu wie die Gummibärchen, mit denen ich die Studierenden nach dem Vortrag belohne“, erzählt Gärtner. „Mir ist es wichtig, dies auch zu vermitteln“.
Die Ausbildung am College
Am Shanghai-Hamburg-College werden hoch qualifizierte, chinesische Fachkräfte ausgebildet. Der Vorteil ihres Abschlusses: Sie haben nicht nur Fachkenntnisse erlangt; sie sprechen außerdem Deutsch und verfügen über interkulturelle Kompetenzen. Die Studiengänge sind bilingual organisiert. Im ersten Studienjahr lernen die Studierende grundlegende deutsche Sprachkenntnisse. Der Fachunterricht im zweiten und dritten Studienjahr erfolgt zu einem Drittel durch Lehrende der HAW Hamburg auf Deutsch.
Im Jahr 2020 wurde die Aufnahmekapazität auf 125 Studierende jährlich erhöht, außerdem wurde für die Ingenieursstudiengänge ein Auslandssemester an der HAW Hamburg in den Studienverlauf aufgenommen. Zudem absolvieren jedes Jahr neun chinesische Studierende ihr Praxissemester in Hamburg, während sechs deutsche Studierende zum Praxissemester oder zur Abschlussarbeit nach Shanghai reisen.
„Nach ihrem Abschluss arbeiten unsere chinesischen Studienabgänger in Unternehmen, die einen Bezug zu Deutschland haben und weltweit operieren“, erklärt Gärtner. „Viele nutzen ihren Doppelabschluss allerdings auch, um in Deutschland einen Master zu machen.“ Einige würden nach Shanghai zurückkehren und dort als so genannte Brückenköpfe nach Deutschland arbeiten. Ein Anteil der Absolvent*innen bleibe für eine Promotion in Deutschland – einige werden sogar in Deutschland sesshaft, so der Professor.
Im Rahmen der Reise haben die beiden Partnerhochschulen Möglichkeiten der Weiterentwicklung besprochen. „Dabei ging es insbesondere um eine größere Reziprozität der Partnerschaft“, berichtet Ines Tobis und erklärt, was sie damit meint: „Ziel ist beispielsweise, dass mehr Studierende der HAW Hamburg einen Auslandsaufenthalt am Shanghai-Hamburg-College absolvieren. Das College plant darüber hinaus, nächstes Jahr erstmalig eine Summer School für internationale Studierende anzubieten, an der unsere Studierenden teilnehmen können.“ Neben einem Chinesisch-Sprachkurs sind Firmenbesuche und Ausflüge angedacht, um den Studierenden so einen umfassenden Einblick in die chinesische Kultur zu vermitteln. „Damit sollen die China-Kompetenzen der Studierenden im Sinne der neuen China-Strategie der Bundesregierung gefördert werden“, so Tobis.
Der Erfolg des College zeigt sich nicht nur in den großen Plänen der beiden Partner, sondern auch in den kleinen Begegnungen: „Auf der 25-Jahr-Feier trafen wir auf Absolvent*innen aus den frühen Jahrgängen, die heute als gestandene Führungspersönlichkeiten bei Unternehmen wie Philips, Airbus, Siemens, Bosch oder ZF Friedrichshafen tätig sind und davon in fließendem Deutsch berichten“, erzählt Prof. Gärtner nicht ohne Stolz.
Zum ersten Mal in Deutschland
Qitong Lu ist einer der Studierenden, die vor kurzem aus Shanghai nach Hamburg gereist sind, um an der HAW Hamburg zu studieren. Ihm gefällt es in der Hansestadt. Beeindruckt hat ihn vom ersten Momentan an die Architektur: „Als ich den Flughafen verlassen habe, sind mir gleich die verschiedenen architektonischen Stile ins Auge gefallen“, erzählt er. „Sie wirken in echt noch viel imposanter.“
Zudem seien die Kassierer in den Supermärkten freundlich, erzählt er: „Sie begrüßen mich mit „moin moin“ und sagen „tschüss“, wenn ich einkaufen gehe.“ Unterschiede in der Lehr- und Lernmentalität fallen ihm durchaus auf: „Lehrende in Deutschland legen nicht ganz so viel Wert auf Anwesenheit wie bei uns in Shanghai. Bei uns hat es Auswirkungen auf unsere Noten, wenn wir nicht an Veranstaltungen teilnehmen“, erzählt er. „Darüber hinaus ist in Deutschland das Lernen freier – wir sind selbst dafür verantwortlich, ob wir unsere Hausaufgaben machen oder nicht.“ Das sei neu für ihn. Auch würden Lehrende mehr Wert auf die Arbeit in Laboren und das Schreiben von Laborberichten legen. „Ich kann das verstehen, denn sie helfen uns Studierenden, Theorie und Praxis in Einklang zu bringen“, sagt Lu. „Ich wünsche dem Shanghai-Hamburg-College alles Gute zum 25. Geburtstag und hoffe, dass die Kooperation und die Freundschaft zwischen der HAW Hamburg und der USST noch lange Jahre weitergeht!“
Dafür plädiert auch Prof. Dr. Michael Röther: „Wir alle sehen uns derzeit mit großen globalen Herausforderungen konfrontiert. So spüren wir beispielsweise eine beginnende Zurückhaltung der Unternehmen in Hamburg, chinesische Studierende für ein Praxissemester aufzunehmen. Das gleiche gilt für deutsche Studierende in Shanghai. Lassen Sie uns deshalb weiterhin tatkräftig mit Ausdauer und Verlässlichkeit an diesem Leuchtturmprojekt weiterarbeiten.“
Text: Tiziana Hiller