| Forschung

"Ich hätte in meiner Freizeit gerne mehr junge Leute um mich“

Jugendliche mit geistigen Behinderungen hätten in ihrer Freizeit gerne mehr junge Menschen um sich. Zu diesem Ergebnis kommen Forscher*innen der HAW Hamburg, die in einem Forschungstransferprojekt im Jahr 2022 Interviews mit Jugendlichen mit geistigen Behinderungen zwischen 12 und 19 Jahren geführt haben. Befragt wurden in Hamburg und Ostholstein insgesamt 18 junge Menschen in qualitativen Interviews dazu, wie sie ihrer Freizeit gerne gestalten möchten und was ihr Blick auf Angebote der Kinde- und Jugendarbeit ist.

V.l.n.r.: Katharina Przybylski (Wissenschaftliche Mitarbeiterin), Prof. Dr. Gunda Voigts (Projekteiterin), Maren Rothholz (Wissenschaftliche Mitarbeiterin)

V.l.n.r.: Katharina Przybylski (Wissenschaftliche Mitarbeiterin), Prof. Dr. Gunda Voigts (Projekteiterin), Maren Rothholz (Wissenschaftliche Mitarbeiterin)

Erstmalig wurden junge Menschen mit geistigen Behinderungen selbst dazu befragt, was sie sich von Angeboten der Kinder- und Jugendarbeit wünschen. Die Befragung leistet einen besonderen Meilenstein auf dem Weg zu einer inklusiven Kinder- und Jugendarbeit, wie sie gesetzlich wie menschenrechtlich gefordert ist (*). „Gemeinschaft, Verantwortungsübernahme, Bildung und Integration sind zentrale Potenziale von Kinder- und Jugendarbeit, wie sie in Jugendzentren und Jugendverbänden in wöchentlichen Treffen, offenen Angebote oder auf Ferienfreizeiten von jungen Menschen erfahren werden können. Jugendlichen mit geistigen Behinderungen eine stärkere Teilhabe an der Vielfalt der Angebote zu ermöglichen, ist große Ziel und gesellschaftsrelevanter Beitrag unserer Forschung.“, sagt Prof. Dr. Gunda Voigts, Forschungsleiterin der Studie an der HAW Hamburg im Department Soziale Arbeit. „Jetzt wissen wir endlich, was Jugendliche selbst darüber denken und können so Anregungen für die Praxis geben.“, resümiert Katharina Przybylski, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt, die die Interviews geführt hat.

Die Interviews sind Teil des Projektes „Mit den Augen von Jugendlichen – was braucht inklusive Jugendarbeit?“, an welchem die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg beteiligt ist. Projektträger ist die Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V., gefördert wir es von der Aktion Mensch Stiftung e. V. Weitere Kooperationspartnerinnen sind die Pädagogische Hochschule Heidelberg, die Lebenshilfe Hamburg und die Lebenshilfe Ostholstein. Von 2020 – 2023 werden in diesem Projekt antworten auf folgende Fragen gesucht: Was ist jungen Menschen mit geistigen Behinderungen für ihre Freizeit wichtig? Wie nutzen sie Angebote der Kinder- und Jugendarbeit wie beispielsweise Jugendzentren oder Jugendverbände? Was möchten sie dort erleben und was wünschen sie sich an Angeboten? Neben den Interviews wurden in Hamburg und Ostholstein Expert*innen-Interviews mit Fachkräften der Behindertenhilfe und der Kinder- und Jugendarbeit geführt sowie Workshops und Fachdiskurse mit Fachkräften durchgeführt. Zum Abschluss des Projektes werden im Herbst 2023 Handlungsempfehlungen herausgebracht, eine bundeszentrale Tagung in Berlin veranstaltet und eine Buchveröffentlichung erscheinen.

(*) Der „Auftrag Inklusion“ ist mit dem Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) im SGB VIII – Kinder- und Jugendhilfe vom Gesetzgeber für alle Arbeitsfelder der Kinder- und Jugendarbeit gestärkt worden. §11 regelt, dass jungen Menschen zur Förderung ihrer Entwicklung Angebote der Kinder- und Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen sind.

Text: Gunda Voigts/Katharina Jeorgakopulos

In Hamburg stellten am 23. Mai Prof. Dr. Gunda Voigts, Professorin für Kinder- und Jugendarbeit an der HAW Hamburg, und Dr. Lars Schulhoff, Abteilungsleiter Gestaltung der Jugendhilfe der Sozialbehörde, erstmals die Ergebnisse am Forschungsstandort Hamburg vor. „Was braucht inklusive Kinder- und Jugendarbeit? Gemeinsam Zukunft gestalten.“ lautete das Motto des gemeinsamen Fachtages von HAW Hamburg und Sozialbehörde, der im Haus der Jugend Kirchdorf-Süd stattfand. Auch Praxispartner in Hamburg, die Lebenshilfe Hamburg, waren in einem der insgesamt fünf Praxisworkshops zur Thematik beteiligt. Insgesamt 80 Fachkräfte aus der Kinder- und Jugendarbeit, der Behindertenhilfe und den Hamburger Behörden hatten sich zum Fachtag angemeldet.

Zentrale Aussagen der Jugendlichen mit Behinderung als Ergebnis der Studie:

  • „Es ist hier nie langweilig. Hier ist immer was los.“: Wenn junge Menschen mit Behinderungen bereits Angebote der Kinder- und Jugendarbeit wie die Jugendfeuerwehr, die Pfadfinder*innen, den kirchlichen Jugendtreff, das Jugendzentrum oder Sportangebote nutzen, ist ihre Motivation wie bei allen Jugendlichen: Sie wollen Freund*innen treffen, Gemeinschaft und Neues erleben.
  • „Wenn schwierige Wörter kommen, da bräuchte ich ein bisschen Hilfe“: Jugendliche mit Behinderungen benötigen spezifische Unterstützung, die allerdings individuell sehr unterschiedlich. Diese kann sich auf kommunikative oder soziale Momente beziehen, aber auch bauliche Hindernisse an Orten der Kinder- und Jugendarbeit sind zu überwinden.
  • „Dann sprechen wir über WhatsApp ab, wo wir uns treffen“ – Auch jungen Menschen mit Behinderungen ermöglicht die Nutzung digitaler Medien Zugänge zu Peers und in Angeboten. Sie in der Mediennutzung bei Bedarf zu unterstützen, hat daher besondere Bedeutung.
  • „Ich werde hingebracht von Mama“ – Mobilität ist für junge Menschen mit geistigen Behinderungen ein wichtiges Thema. Ihr Tagesablauf ist immer noch häufig vom Besuch einer Förderschulen außerhalb des gewöhnlichen Sozialraums geprägt, therapeutische Termine gehören zu ihrem Alltag. Mobil zu sein, ist für sich von Bedeutung, gleichzeitig sind Wegstrecken von ihnen nicht immer zu bewältigen. Sie sind auf Eltern oder andere Bezugspersonen angewiesen, die ihnen Mobilität ermöglichen, gerade zu Angeboten an Nachmittagen und am Wochenende in der Kinder- und Jugendarbeit.
  • „Ja, ich darf ganz alleine gehen“ – Die befragten Jugendlichen machen klar, wie wichtig ihnen die Freiräume ohne Eltern in Angeboten der Kinder- und Jugendarbeit sind. Für ermöglicht die Nutzung von Angeboten der Kinder- und Jugendarbeit Selbstbestimmung und hier übernehmen einige selbst Verantwortung, in dem sie als Teil von Jugendgruppen für sie bewältigbare Aufgaben übernehmen.
  • „Mama wollte auch ein Kind, dass wenigstens einmal kurz da mitmacht“ – Die Erzählungen der Jugendlichen zeigen auf, wie wichtig die Haltung von Eltern zu Angeboten der Kinder- und Jugendarbeit. Eltern schaffen Zugänge in Angebote und verschließen diese zugleich, wenn sie das Angebot für ihr Kind nicht für das geeignet halten.
     

Kontakt

Fakultät Wirtschaft und Soziales
Department Soziale Arbeit
Prof. Dr. Gunda Voigts
Professur für Grundlagen der Wissenschaft und Theorien Sozialer Arbeit, 
Theorie und Praxis der (offenen) Kinder- und Jugendarbeit
gunda.voigts (at) haw-hamburg (dot) de

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