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Kleine Blasen, die viel verändern

Wie verhalten sich Blasen in industriellen Reaktoren? Forschende der HAW Hamburg und der TU Hamburg haben dafür ein neues Modell entwickelt, mit dem chemische Prozesse optimiert werden könnten. Aber warum ist das ein Meilenstein für die Industrie?

© HAW Hamburg / Helen Kemmler

Erstautor Christian Weiland von der TU Hamburg (links) und Co-Autorin Prof. Dr. Alexandra von Kameke von der HAW Hamburg (rechts)

Was passiert, wenn jemand Luft durch einen Strohhalm in ein Glas Wasser blubbert? Es entstehen Blasen. Aber wie genau verhalten sich diese Blasen? Diese alltägliche Frage ist für die Industrie entscheidend. Denn um industrielle Reaktionen zu optimieren, müssen Unternehmen genau verstehen, wie sich Blasen bilden und wie sie sich verhalten.

Ob zur Herstellung von Medikamenten, Kunststoffen oder Lebensmitteln – ohne Reaktoren, in denen chemische Reaktionen stattfinden, wären die meisten industriellen Produkte unseres modernen täglichen Lebens kaum denkbar. Doch diese Reaktionen hängen nicht nur von den eingesetzten Ausgangsstoffen, den Chemikalien, ab, sondern auch von physikalischen Größen wie den Aggregatzuständen dieser Stoffe – also ob sie gasförmig, flüssig oder fest sind. Gerade in der Industrie werden häufig Reaktionen durchgeführt, bei denen Gase in Flüssigkeiten eingeleitet werden – ähnlich wie beim Blubbern mit einem Strohhalm im Wasserglas.

Die Simulation des Blasenverhaltens in den Reaktoren ist jedoch alles andere als einfach. Forschende der TU Hamburg und der HAW Hamburg sind überzeugt, mit ihrem neuen Modell für effiziente Blasen-Simulationen einen entscheidenden Fortschritt in diesem Forschungsfeld erzielt zu haben. Ihre Ergebnisse wurden kürzlich im renommierten Chemical Engineering Journal veröffentlicht.

Warum die genaue Beschreibung der Blasen so entscheidend ist

Blasen spielen eine Schlüsselrolle, um chemische Reaktionen effizienter zu gestalten: Je kleiner die Blasen, desto größer ihre spezifische Oberfläche, also das Verhältnis von der Oberfläche zu dem Volumen. Und je größer die gesamte Oberfläche, desto mehr Gas kann sich über die Oberfläche in die Flüssigkeit einlösen – und damit der gewünschten Reaktion in der Flüssigkeit zur Verfügung stehen.

Doch Blasen verhalten sich nicht immer gleich: In turbulenten Strömungen – wie in industriellen Rührkesselreaktoren – zerbrechen sie ständig in kleinere Blasen. „In solchen Umgebungen den Blasenbruch besser voraussagen zu können, hat enorme Auswirkungen auf die Berechnung des Stofftransportes“, erklärt Co-Autorin Prof. Dr. Alexandra von Kameke von der HAW Hamburg. Der Stofftransport beschreibt, wieviel Gas in einer bestimmten Zeit in die Flüssigkeit übergeht, und beeinflusst maßgeblich die Effizienz der Verfahren.

Ein Modell, das die Chemie revolutioniert?

Um das Verhalten der Blasen besser vorhersagen zu können, kommt die sogenannte Lattice-Boltzmann-Methode für Strömungsberechnungen ins Spiel. „Diese Methode gibt es eigentlich schon länger, aber sie wurde bisher noch nicht häufig genutzt“, sagt Erstautor der Studie Christian Weiland vom Institut für Mehrphasenströmung der TU Hamburg. Durch die zunehmende Leistungsfähigkeit moderner Grafikkarten erlebt die Methode jedoch neuerdings Aufwind. „Mit ihr können wir hochaufgelöste Strömungsberechnungen durchführen – sowohl räumlich als auch zeitlich“, ergänzt Weiland.

Das Besondere an dem Ansatz der aktuellen Arbeit ist die Betrachtung einzelner Blasen während ihrer gesamten Wanderung durch den Reaktor. „Früher konnte man nur globale Größen modellieren, aber nicht die Bewegung einer einzelnen Blase nachvollziehen“, erläutert von Kameke. Mit dem neuen Modell liegt der Fokus auf individuellen Blasen – genauer gesagt auf prolaten Ellipsoiden, einer speziellen Blasenform, die an längliche Medikamentenkapseln erinnert. Das Nachverfolgen ihrer Bewegungsbahn ermöglicht es, detaillierte Aussagen darüber zu treffen, wie sich die Blase in der Strömung verformt, wie und wann die Blase zerbricht und wie viel Gas dabei in die Flüssigkeit eingelöst wird.

Validierung im Rührkessel

Für die Validierung ihrer Simulationen verließen sich die Forschenden auf deutlich größere Maßstäbe als das Gedankenexperiment mit dem Wasserglas: Sie führten Simulationen in Rührkesselreaktoren mit Volumina von bis zu zu 200 Litern durch und verglichen diese mit experimentellen Daten aus früheren Studien. Das Resultat? „Die Übereinstimmung war wirklich extrem gut – und besser als bei anderen gängigen Modellen“, berichtet Weiland.

Simulationen sparen Zeit und Geld

Doch warum sind Simulationen so wichtig? Experimente in der chemischen Industrie können schnell Millionenbeträge verschlingen. Simulationen am Computer hingegen sparen nicht nur Geld, sondern auch Zeit. Allerdings benötigen bisherige Simulationsmethoden häufig aufwendige Vorexperimente für zahlreiche Parameter, die in den Modellen als Vorfaktoren festgelegt werden müssen. Das besondere an dem neuen Modell der vorgestellten Studie: Es benötigt keine dieser Parameter und kann daher direkt eingesetzt werden. Es können auch feinere Details der Strömung effizient simuliert werden. „Die Frage ist nun: Wie ungenau darf man werden, ohne dass es zu ungenau wird und wie genau muss man werden, ohne dass die Berechnung zu zeitintensiv wird?“, beschreibt Weiland die nächste Herausforderung.

Blick in die Zukunft

Die Arbeit ist Teil des Sonderforschungsbereichs 1615 „SMART Reactors“, der sich mit innovativen Reaktorkonzepten beschäftigt. „SMART Reactors“ wird von der DFG, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, gefördert. In einem nächsten Schritt sollen auch oblate elliptische Blasen untersucht werden – eine flachere Blasenform, die man sich wie einen auf dem Boden auftreffenden Fußball, oder einem UFO vorstellen kann. Bis März 2025 sollen die ersten Ergebnisse vorliegen.

Dieses neue Modell könnte die chemische Industrie dabei unterstützen, Prozesse effizienter und kostengünstiger zu gestalten. „Das Ziel ist es, bessere Vorhersagen zu treffen und letztlich die industrielle Produktion nachhaltiger zu machen“, fasst von Kameke zusammen.

Text: Helen Kemmler

Kontakt

Prof. Dr. Alexandra von Kameke
Department Maschinenbau und Produktion
Berliner Tor 21
20099 Hamburg
Raum 320
T +49 40 428 75-8624
Alexandra.vonKameke (at) haw-hamburg (dot) de

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