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Nachhaltige Fahrzeugentwicklung

Kleinfahrzeuge – eine Klasse für sich?

PKW sind für unsere Transportbedürfnisse oft zu groß, Leichtfahrzeuge unkomfortabel und nicht wirklich sicher. Doch was wäre, wenn es eine Klasse dazwischen gäbe? Könnten wir uns mit Kleinfahrzeugen nachhaltiger und ressourcenschonender fortbewegen?

Im europäischen Zulassungsrecht gibt es eine Lücke zwischen PKW und Leichtfahrzeugen, die Platz lässt für eine neue Klasse an Fahrzeugen: die der Kleinfahrzeuge. Mit ihnen ließe sich der Energieverbrauch gegenüber einem durchschnittlichen PKW um 20 bis 50 Prozent verringern.

„Jede Form der Mobilität belastet die Umwelt mehr oder weniger stark“, sagt Jan Friedhoff, der am Department Fahrzeugtechnik und Flugzeugbau als Professor für Fahrzeugkonzepte und -design lehrt. „Uns allen ist klar, dass wir diese Belastung so klein wie möglich halten müssen – und dennoch unsere individuellen Mobilitätsbedürfnisse erfüllen wollen. Je genauer wir das Verkehrsmittel an die persönlichen Bedürfnisse und Möglichkeiten anpassen, desto nachhaltiger können wir uns bewegen“, erklärt er.

An persönliche Bedürfnisse angepasste Verkehrsmittel

Die Frage ist also, wann welches Verkehrsmittel das Passendste ist. Denn Fakt ist: In den meisten Fällen sind unsere täglich genutzten PKWs zu groß. Aktuell würden Fahrzeuge oft nach dem größten anzunehmenden Transportbedarf gekauft, so Friedhoff. Die Folge: sie seien im Alltag deutlich überdimensioniert. Das belaste die Umwelt und benötige unnötig viel Verkehrsfläche.
Kleinere Alternativen finden sich in der Mikromobilität: Fahrräder, E-Scooter und Roller sind aktuell sehr beliebt. Wetterschutz bieten so genannte Leichtfahrzeuge. Sie sind zwar umweltschonender als herkömmliche PKW, gehen aber mit Kompromissen in Sachen Sicherheit und Komfort einher. „Die Resonanz der Käufer ist hierzulande eher gedämpft“, resümiert Prof. Friedhoff.

Eine Klasse für sich? Die Kleinfahrzeuge

Im europäischen Zulassungsrecht gibt es deshalb eine Lücke zwischen PKW und Leichtfahrzeugen, die Platz lässt für eine neue Klasse an Fahrzeugen: die der Kleinfahrzeuge. Mit ihnen ließe sich der Energieverbrauch gegenüber einem durchschnittlichen PKW um 20 bis 50 Prozent verringern, erklärt Konzeptentwickler Friedhoff.

Warum unsere PKWs recht viel Energie verbrauchen, wird deutlich, wenn man einen Blick in die europäische Gesetzgebung wirft: Dort werden die Anforderungen an Fahrzeuge nämlich anhand von Zulassungsklassen vorgenommen. So steht die Fahrzeugklasse „M1“ für Personenkraftwagen, denen eine umfangreiche Fahrzeugsicherheit vorgeschrieben wird. Diese wirkt sich auf Gewicht, Verkehrsfläche und Kosten aus. „Indirekt wird damit auch eine entsprechende Mindestgröße vorgeschrieben, die in den kleinen PKW am Markt erkennbar wird“, erklärt Friedhoff. Im Jahr 2021 seien die drei führenden Modelle dieser Klasse in Deutschland der VW Up!, der Fiat 500 und der Smart EQ ForTwo gewesen – mit Gewichten zwischen 1095 und 1405 Kilogramm. Nur wenige Modelle schaffen es, unter 1000 Kilogramm zu bleiben.

In der nächstkleineren Zulassungsklasse der Leichtfahrzeuge „L7e“ ist das maximale Gewicht auf 450 Kilogramm beschränkt und die Höchstgeschwindigkeit auf 90km/h sowie die Leistung auf 15 Kilowatt limitiert. Die Vorschriften zur Fahrzeugsicherheit sind hier lediglich auf Anschnallgurte, Sitzstabilität und Kantenschutz reduziert. Viele Hersteller von Fahrzeugen dieser Klasse statten ihre Fahrzeuge allerdings freiwillig mit mehr Sicherheit aus, dennoch urteilt das Euro NCAP in seinen Sicherheitsbewertungen: „Kritische strukturelle Schwächen und unzureichende Rückhaltesysteme summieren zu einem inakzeptabel hohen Risiko von schweren oder lebensgefährlichen Verletzungen – selbst bei beschränkten Geschwindigkeiten.“

Kleinfahrzeuge – allerhand Vorteile. Und Forschungsbedarf.

Was wäre, wenn sich eine Klassendefinition zwischen L7e und M1 finden ließe, die aus Kunden- und Anbietersicht wettbewerbstauglich ist? Wie könnte man die Fahrzeugsicherheit auf ein Niveau bringen, das mit normalen PKW vergleichbar ist und in Abmessungen und Gewicht den Anforderungen im Kurzstreckenverkehr ressourcenschonend dimensioniert ist?

Für Prof. Jan Friedhoff böte die neue Klasse der Kleinfahrzeuge allerhand Vorteile: „Hersteller könnten mit Kleinfahrzeugen ihre Flotten-Emissionen reduzieren. Damit hätten sie einen Anreiz, entsprechende Produkte rentabel auf den Markt zu bringen.“ PKW-Fahrer, die ihren Wagen nur zur Arbeit und zum Einkaufen nutzen, könnten mit Kleinfahrzeuge die Umwelt, Verkehrs- und Parkflächen sowie ihren Geldbeutel entlasten ohne auf viel Komfort und Sicherheit verzichten müssen. Sprich: Bei kurzen Wegen wären Kleinfahrzeuge eine attraktive Alternative zum herkömmlichen Auto. Doch was ist, wenn man in den Urlaub fahren möchte?

Jede Form der Mobilität belastet die Umwelt mehr oder weniger stark.

Prof. Jan Friedhoff, Professor für Fahrzeugkonzepte und Design am Department Fahrzeugtechnik und Flugzeugbau

„Bei langen Fahrten wird der PKW weiterhin das bevorzugte Fahrzeug im Individualverkehr bleiben“, so der Fahrzeugexperte. „Kleinfahrzeuge wären allerdings eine tolle Option, das Haushaltsauto an die täglichen kleinen Fahrten anzupassen und für die Urlaubsfahrt einen größeren PKW zu leihen, sofern Öffentliche Verkehrsmittel nicht geeignet sind“, zeigt Friedhoff eine Lösung auf. 

Vorteile gäbe es nach Friedhoff auch für Nutzer*innen von Zweirädern und Leichtfahrzeugen. Durch den Umstieg auf Kleinfahrzeuge könnten die Anzahl und Folgen von Unfällen massiv reduziert werden. Außerdem böten Kleinfahrzeuge mehr Komfort – man denke nur an die Regentage im Hamburger Winter.

Sharingkonzepte sind aktuell vor allem im Bereich der Mikromobilität und bei kleinen PKW sehr erfolgreich. „Hier ist ein Ausbau des Angebots im Mittelfeld vielversprechend, um dem Markt in Städten und im städtischen Umfeld zu ergänzen. Im ländlichen Raum, wo das Netz des öffentlichen Personennahverkehrs dünner wird, könnten Kleinfahrzeuge neue Potenziale bieten“, so Friedhoff. Nach einer McKinsey Studie im September 2022 „Minimobility: The next big thing in urban mobility?“ ist das Marktpotenzial für Kleinfahrzeuge außerhalb Deutschlands und Europas noch um einiges größer.

Stand der Forschung

In der Vergangenheit sind bereits einige Fahrzeugkonzepte entwickelt worden, die jeweils mit verschiedenen Motiven die technischen Möglichkeiten von Kleinfahrzeugen im Rahmen der aktuellen gesetzlichen Randbedingungen dargestellt haben – wie der Visio.M der TU München, der Epsilon der RWTH Aachen oder der LSRV des Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt. Diese und weitere Erkenntnisse fließen jetzt in eine Fahrzeugkonzeptionierung an der HAW Hamburg ein, deren Intention „die attraktive Produktgestaltung innerhalb einer möglichen zukünftigen Gesetzgebung ist“, so Friedhoff.

Text: Tiziana Hiller/Prof. Jan Friedhoff

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Gemeinsam mit dem Fachbereich Fahrzeugtechnik der VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik und dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat arbeitet die HAW Hamburg an einem Vorschlag für eine gesetzliche Definition der M0-Klasse. Neben den bisher erarbeiteten wissenschaftlichen Erkenntnissen soll hier auch die Meinung Dritter mit einfließen. Interessierte können bis zum 31.12.2022 an der Umfrage teilnehmen.

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Kontakt

Prof. Jan Friedhoff
Department Fahrzeugtechnik und Flugzeugbau
Professor für Fahrzeugkonzepte und Design

Berliner Tor 5
20099 Hamburg
Raum 11.17

T +49 40 428 75-7903
jan (dot) friedhoff (at) haw-hamburg.de

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