Lukas will nach Hause – Intensivbetreuung mithilfe innovativer Software

Das Zitat von Konfuzius, dass „der Weg das Ziel ist“, könnte als Motto über dieser Wanderung quer durch Deutschland stehen. Björn Beck, 34, ist bereits seit zwei Wochen mit seinem Zögling Lukas* unterwegs. Es handelt sich dabei um eine Intensivbetreuung. (Auf die Bilder klicken für Fotogalerie)

Die Maßnahme basiert auf Abenteuer- und Erlebnispädagogik, die Lukas hier durch den anerkannten Erzieher, Outdoortrainer und studierten Tourismusmanager Björn Beck erfährt. Mit im Gepäck: die Software „factorIS“. Das ist eine interaktive Plattform für Jugendhilfe, die in einem Start-Up und unter der Leitung von Prof. Dr. Jens Weidner (HAW Hamburg) für die soziale Arbeit mit Kindern entwickelt wurde. Die Jugendlichen haben hier genauso wie ihre Betreuer die Möglichkeit, ihre Sicht der Dinge und die am Tag entstandenen Konflikte darzustellen.

Es ist keine ganz freiwillige Reise, die Björn Beck und Lukas per Pedes oder Rad durch Deutschland unternehmen – von Verden an der Aller bis Weiden in der Oberpfalz nahe Regensburg. Warum Lukas in Becks Obhut kam, ist eine lange Geschichte, die hier nicht erzählt werden kann. Bei ihm handelt es sich um einen sogenannten „Systemsprenger“; das sind Jugendliche, die meist nicht mehr zuhause leben und schon mehrere Wohngruppen, geschlossene oder offene, hinter sich haben. Jugendliche, bei denen – wie Beck es formuliert – „oftmals das Kind schon in den Brunnen gefallen ist“ und die dann mit viel Glück in dieser Intensivmaßnahme landen. „In der Regel kontaktieren uns die Jugendämter direkt“, erklärt Beck. „Sie fragen bei uns für eine Intensivbetreuung an.“ Im Fall Lukas hat dessen Mutter Beck kontaktiert, „sie war auf meine Einrichtung `Nordwind´ bei der Internetrecherche gestoßen.“ Nach der Abstimmung mit dem zuständigen Jugendamt wird ein Termin ausgemacht und der Jugendliche persönlich getroffen. 

Erst wenn Beck und sein Team, das inklusive Honorarkräften aus acht Personen besteht, mit dem betroffenen Jugendlichen übereingekommen sind, werden Termine für ein Reiseprojekt gemacht – und das kann Wochen dauern. „Zeit, die später auf der Tour dann intensivpädagogisch wieder aufgeholt werden muss“, so Beck. „Wir wandern nur los, wenn der Jugendliche sich damit einverstanden erklärt, die Chemie zwischen uns muss stimmen, sonst geht so etwas nicht.“ Lukas nickt dazu. „Ja“, sagt er, es ist ihm „am Anfang schon schwergefallen“. Als Beck ihn bei Regensburg abholen wollte, war er kurzzeitig sogar verschwunden. „Ein wenig Torschlusspanik hatte ich schon“, sagt er und lächelt ein wenig. „Ich wusste ja auch gar nicht, was auf mich zukommt!“ Beck kann das gut nachempfinden. Dass er den Jungen mag und seinen Mut schätzt, merkt man dem kernigen 34-Jährigen an. „Er kann durchhalten, Lukas kämpft!“, sagt er anerkennend. Doch worum geht’s? „Auf der Wanderung gibt es in der Regel immer Konflikte“, erklärt er weiter. „Die Rucksäcke sind schwer und manchmal ist es unerträglich heiß oder es regnet in Strömen, da fällt das Wandern oft schwer!“ Aber genau um diese Konflikte geht es. „Denn“, so Beck, „wir arbeiten uns daran ab.“

Wie das praktisch geht? „Jeder Tag wird dokumentiert!“ Und das machen Björn Beck und Lukas mit der Software „factorIS.sozial“. Das ist eine interaktive Plattform für Jugendhilfe, die in einem Start-Up von Jan-Ole Diekmann und Ingo Meyer für die soziale Arbeit entwickelt wurde. Unterstützung erfahren sie von namenhaften Professoren wie Prof. Dr. Jens Weidner, Prof. Dr. Klaus Hurrelmann und Prof. Dr. Wolfgang Hinte. "factorIS.sozial" setzt sich aus zwei wesentlichen Elementen zusammen, der pädagogischen Methode zur Dokumentation (SKEED) und verschiedenen Modulen die der Verwaltungsvereinfachung dienen. Einzigartig ist die Möglichkeit der gemeinsamen und strukturierten Dokumentation mit Adressatinnen und Adressaten. 

Durch den Einsatz der Software können Hilfe- und Entwicklungsverläufe visualisiert und so Erfolge sicht- und erlebbar gemacht werden. Dies gibt den Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit den Hilfe- und Entwicklungsverlauf zu verstehen und in einem reflexiven Prozess konkret mitzugestalten. „Gemeinsam kann das Erlebte fixiert und eingeschätzt werden. Die Jugendlichen haben hier genauso wie ihre Betreuer die Möglichkeit, ihre Sicht der Dinge und die am Tag entstandenen Ereignisse und gegebenenfalls Konflikte darzustellen“ so Beck. „Dabei zählt nicht mehr allein die Perspektive des Betreuers (nach dem Motto: Lukas hat wieder nicht mitgemacht und seinen Rucksack den Hang runtergeworfen). Sondern die Sichtweise des betreuten Jugendlichen fließt genauso in das fixierte Szenario und Tages-Protokoll mit ein.“

Ebenso kann er oder sie die Tour-Planung mitbestimmen, die ebenfalls gemeinschaftlich verläuft. Auch hier wird interaktiv und im Dialog die nächste, meist relativ offene Wegestrecke erarbeitet. Der Jugendliche plant mit und hat an allen Entscheidungen Anteil. „Genau das stärkt das Selbstbewusstsein der Kids“, sagt Beck. „Sie fangen an, sich wieder für ihre Umwelt zu interessieren. Sie nehmen Anteil am anderen und an sich selbst.“ In diesem Sinne ist der Weg durch das Land auch der Weg zu sich selbst, der entlang der eigenen Bedürfnisse verläuft. Und genau das ist das wirkliche Ziel dieser emotional meist aufgeladenen Reise. „Wenn der Jugendliche diese Kooperationsbereitschaft aufbringt, ist die Hälfte des Weges schon geschafft und die inneren Widerstände überwunden“, so der Trainer. „Und Lukas macht das ganz großartig!“, lobt Beck. Der Abenteurer schaut dabei auf Lukas und in seinem Blick liegt auch Freude. „Der wird es packen!“, sagt er und klingt zuversichtlich und beinahe stolz.

(Die Autorin Katharina Jeorgakopulos wanderte einen Tag lang mit den beiden mit)

*(Name von der Redaktion geändert)

Die interaktive Software factorIS: <link http: factoris-sozial.de _blank external-link-new-window external link in new>factoris-sozial.de


NORDWIND. Gemeinnützige Gesellschaft für individualpädagogische Kinder- und Jugendhilfe. <link http: www.expedition-nordwind.de _blank external-link-new-window external link in new>www.expedition-nordwind.de

 

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