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Nukleare Abrüstung

Mit VR Abrüstungskonzepte verifizieren

Im FTZ-Digital Reality der HAW Hamburg wurde zusammen mit dem Zentrum für Naturwissenschaft und Friedensforschung der Universität Hamburg eine virtuelle Umgebung programmiert, in der Inspektor*innen die Abrüstung von nuklearen Sprengsätzen nach internationalem Standard erlernen und durchführen können. Eine erste Präsentation fand bereits in New York statt, die nächste ist für Anfang Oktober in Berlin bei einem von der G7 geführten Gruppentreffen der Initiative Globale Partnerschaft gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen geplant. Wir haben uns die VR-Anwendung mit dem Namen „Nuclear Disarmament Verifikation VR“ von dem Projektleiter Matthias Kuhr erklären lassen.

Skulptur vor dem UN-Büro in New York

Skulptur vor dem UN-Büro in New York.

Lieber Herr Kuhr, wie kam der Kontakt zum Zentrum für Naturwissenschaften und Friedensforschung der Universität Hamburg zustande?
Dipl.-Ing. Matthias Kuhr: Der Kontakt kam über Professor Dr. Gerald Kirchner zustande, dem Leiter des Zentrums für Naturwissenschaften und Friedensforschung, der auch in dem Projekt NuDiVe forscht. Er sah zufällig eine Werbung in der Bahn zu unserem M.Sc. Studiengang Digital Reality an der HAW Hamburg. Ihm war sofort klar, welches Potenzial Digital Reality für das Forschungsprojekt NuDiVe birgt, die nuklearen Abrüstungskonzepte zu digitalisieren und somit unabhängig von Zeit und Raum zu machen. Dadurch entstand „Nuclear Disarmament Verifikation VR“. Ein wichtiger Schritt in der Beschleunigung der Prozessentwicklung in diesem Projekt.

Mit Ihrer VR-Anwendung setzen Sie Abrüstungskonzepte der Deutsch-Französischen Übung “Nuclear Disarmament Verification" in einer virtuellen Umgebung um. Was ist in der VR-Anwendung zu sehen?
Matthias Kuhr: Wir haben den digitalen Zwilling von NuDiVe gebaut. Dafür haben wir eine „Multiplayer VR Sandbox“ entwickelt. Das ist eine „Virtual Reality Mehrspieler-Spielumgebung“. So kann jeder mit einer VR-Brille und Internet in diese virtuelle Umgebung eintauchen und sich über Avatare sehen und über Sprach-Chat unterhalten. In diese Umgebung haben wir die für den nuklearen Abrüstungsverifikationsprozess nötigen Werkzeuge implementiert. Dies beinhaltet ein Sicherheitskamera-System mit Aufzeichnungsmöglichkeiten und ein System für eine physikalisch korrekte Strahlungsmessung, die über digitale Messinstrumente dargestellt wird.

Wichtig zu verstehen ist, dass der Abrüstungsprozess hochkomplex ist, denn die am Abrüstungsprozess beteiligten Parteien verfolgen unterschiedliche Ziele. Auf der einen Seite wollen die Staaten, die sich zur Abrüstung verpflichtet haben, keine militärischen Geheimnisse verraten. Deswegen können Inspektor*innen diesen Prozess nicht vollumfänglich überwachen. Am Ende sollen sie aber verifizieren können, ob der nukleare Sprengkopf wirklich vollständig abgerüstet und nicht vielleicht doch Teile des spaltbaren Materials im Gebäude versteckt wurden, um neue geheime Sprengköpfe zu bauen.

Es gibt verschiedene Rollen, die virtuell ausgeführt werden können. In der Rolle des Hosts sind Sie die Person, die gerade die Abrüstung eines Sprengkopfes in Ihrem Land durchführt. Oder Sie schlüpfen in die Rolle eines Inspektors, der die Abrüstung verifizieren soll. Eine weitere Rolle ist die des neutralen Beobachters. Jede Funktion hat im NuDiVe-Prozess einen anderen Farbcode in der Kleidung, um die Übersicht nicht zu verlieren.

Warum braucht es überhaupt eine VR-Anwendung, warum kann nicht vor Ort die Überprüfung der nuklearen Abrüstung erfolgen?
Matthias Kuhr: Digitale Zwillinge für Prozesse, vor allem für jene, die sich noch in der Entwicklungsphase befinden, beschleunigen deren Realisierung und ermöglichen raum- und zeitunabhängig, die Teilnahme aller Stakeholder und Entwicklungspartner*innen ohne aufwändige Reisen und Ressourcen. Außerdem kann die Anwendung später zu Schulungszwecken für die Ausbildung von neuen Inspektor*innen genutzt werden. Für die Kommunikation solcher Prozesse sind sie ebenfalls von großem Vorteil.

Dazu kann man den Zustand aller verwendeten VR-Objekte, wie zum Beispiel ihre Position im virtuellen Raum, einfach speichern und jederzeit weitermachen, ohne alle Schritte davor noch einmal durchlaufen zu müssen. So hat man die Umgebung für einen speziellen Prozessschritt für das Training immer griffbereit. In der echten physikalischen Welt ist das ein riesiges Ressourcenproblem.

Wie lange und mit wem haben Sie daran gearbeitet? 
Matthias Kuhr: Wir haben uns zunächst ausführlich mit dem Prozess von NuDiVe beschäftigt. Es ist ein wirklich langes Dokument mit einzelnen Prozessschritten, Abschnitten und Einschränkungen. Am Anfang war es für uns Laien schwierig, vorzustellen, wie das alles genau abläuft und wer was genau an welcher Stelle durchführt oder durchführen darf.

Dr. Simon Hebel hat für die Darstellung des komplexen Prozesses deshalb ein Brettspiel gebaut, um seinen Studierenden und Projektneulingen das Thema so näher zu bringen. Diesen Prozess selbst einmal in einer Rolle eines Inspektors durchzuspielen, hat uns extrem geholfen. Parallel schaut man sich natürlich an, wie nukleare Sprengköpfe aussehen und wie sie aufgebaut sind. So weiß man später, was hinter den verschlossenen Türen bei der Abrüstung wirklich passiert.

Was passiert jetzt mit Ihrer VR-Anwendung, wo kann man sie sehen, ist sie öffentlich zugänglich? Können Laien überhaupt etwas mit ihr anfangen?
Matthias Kuhr: Die erste Präsentation fand in New York statt, die nächste ist für Oktober in Berlin bei einem Treffen der Initiative Globale Partnerschaft gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen geplant. Parallel stellen wir die Anwendung jedem oder jeder Wissenschaftler*in für die Forschung und Entwicklung im Bereich der Abrüstungsverifikation zur Verfügung. Belgische Kolleg*innen beteiligen sich seit kurzem gemeinsam mit uns an der Architektur- und Raumaufteilung für die simulierte Abrüstungshalle.

Sie sagten, dass es eine echte Mammutaufgabe gewesen sei, fast wie ein Lebenswerk. Sie stehen aber noch am Anfang Ihrer Karriere, wie geht es für Sie weiter?
Matthias Kuhr: Ich mache einfach weiter und bringe meine Expertise und Energie in für mich sinnvolle Projekte ein. Ich habe eine Leidenschaft für neue Technologien, möchte einen gesellschaftlichen Mehrwert generieren und komplexe Kommunikation und Abstimmungsprozesse vereinfachen, die für das Training von Schlüsselpositionen nützlich sind. Neben NuDiVe beschäftige ich mich noch mit PAKOMM  – ein Projekt zur Unterstützung und Teilhabe an Stadtplanungsprozessen mit Mixed Reality. Außerdem entwickle ich zurzeit eine Trainingsanwendung für die Unterstützung der Ausbildung von Leitungspositionen beim MANV. Unter MANV versteht man einen Notfall mit einer größeren Anzahl von Verletzten, der besondere planerische und organisatorische Maßnahmen erfordert.

Zu guter Letzt finalisiere ich gerade eine „Indoor-Navigations-Augmented-Reality“-Anwendung für die Zentralbibliothek in Hamburg. Damit sollen Nutzer*innen schneller das gesuchte Medium in dem großen Gebäude finden. Ich folge dabei immer demselben Motto: Fortschritt durch Technik mit angewandten Wissenschaften und Technologien.

Interview: Katharina Jeorgakopulos

Projektinformationen zu "NuDiVe" und "NuDiVe VR"

Atomwaffen sind die gefährlichsten Waffen der Welt. Einschätzungen  nach gibt es weltweit rund 12.000 atomare Sprengköpfe, die die Erde gleich mehrfach zerstören können. Um die Zündung eines atomaren Sprengkörpers zu verhindern, wurde Anfang August in New York die turnusmäßige Konferenz zum Atomwaffensperrvertrag abgehalten. Die Zusammenkunft ist eine Routineveranstaltung, bei der alle fünf Jahre der 1970 in Kraft getretene Vertrag zur atomaren Abrüstung überprüft wird.

Projektleiter Matthias Kuhr, der die VR-Anwendung am FTZ-Digital Reality maßgeblich programmierte, stellte diese mit seinem Kollegen Dr. Simon Hebel aus dem NuDiVe-Projekt auf der Konferenz Delegierten und Mitarbeitenden des UN-Büros vor. Diese Präsentation des vom Auswärtigem Amt geförderten Projektes führt nun zu einer Präsentation auf dem G7-Gipfel zur globalen Partnerschaft gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen Anfang Oktober, der unter deutschem Vorsitz in Berlin stattfindet.

Poster zu NuDiVe VR"

Kontakt

HAW Hamburg
Forschungs- und Transferzentrum Digital Reality
Am Sandtorkai 27 (Hafencity)
20456 Hamburg
ftz.digitalreality (at) haw-hamburg (dot) de

Ansprechpartner:
Prof. Dr.-Ing. Roland Greule
Leitung FTZ-Digital Reality
M +49 152 22808652
T +49 40 428 75-7664
roland.greule (at) haw-hamburg (dot) de

Dipl.-Ing. (FH) Matthias Kuhr
Wissenschaftlicher Mitarbeiter des FTZ-Digital Reality
Projektleiter „Nuclear Disarmament Verifikation VR“
matthias.kuhr@haw-hamburg.de
 

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