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Partnergewalt stoppen. Das Projekt StoP macht es vor

Das an der HAW Hamburg entwickelte Konzept „StoP – Stadtteile ohne Partnergewalt – sozialraumorientierte Prävention und Intervention bei häuslicher Gewalt" erhielt vor Kurzem eine Förderung durch das österreichische Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz. Prof. Dr. Sabine Stövesand, Expertin für Soziale Arbeit an der HAW Hamburg, ist die Initiatorin des Projekts. Hier spricht sie über die Kooperation wie auch die Schwierigkeiten eines solchen Projekts besonders in Zeiten der Pandemie.

Logo von StoP - Stadteile ohne Partnergewalt

Das offizielle Logo von StoP - Stadteile ohne Partnergewalt

Frau Prof. Dr. Sabine Stövesand, mit der Förderung durch das österreichische Bundesministerium können Sie das StoP-Projekt in sieben Bundesländern in Österreich umsetzen. Wie kam es zu der Förderung und wie lässt sich diese umsetzen?

StoP hat seit mehreren Jahren bereits ein Projekt im fünften Wiener Bezirk. Die Leiterin, Frau Rösslhumer, ist in Wien und Österreich recht bekannt, sie wurde für ihr Engagement gegen Gewalt an Frauen mehrfach ausgezeichnet. Sie hat einen Antrag beim Sozialministerium für eine Landesweite Startförderung sowie für die Fortbildung von 20 zukünftigen Mitarbeitenden gestellt, der bewilligt wurde. Außerdem haben die Stadt Salzburg und die Stadt Klagenfurt von sich aus StoP-Projekte initiiert. Ein wichtiger und trauriger Grund ist, dass die Anzahl der Femizide, also die Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts, in Österreich in diesem Jahr noch einmal dramatisch gestiegen ist. Österreich ist das einzige Land in Europa, in dem mehr Frauen als Männer ermordet werden, häufig von Ex- oder aktuellen Beziehungspartnern. 

Gibt es grundlegende Unterschiede zwischen einer Förderung in Deutschland oder in Österreich?

In Deutschland gibt es bisher keine Bundesförderung. Die mittlerweile 13 StoP-Projekte in acht deutschen Städten werden in einer Mischung aus Landes- und kommunalen Mitteln und Spenden sowie durch viel zivilgesellschaftlichem Engagement gefördert. Hamburg hat mit sechs Projekten die Vorreiterrolle. Die Projekte in Österreich erhalten über das Bundesprogramm allerdings nur eine Starthilfe für ein Jahr. In Deutschland hingegen sind die Förderungen mindestens zwei Jahre lang. Im Hamburger Koalitionsvertrag ist zum Beispiel festgehalten, dass Hamburg eine „Stadt ohne Partnergewalt“ werden will. Um das umzusetzen, müsste die StoP-Arbeit in die Regelförderung übernommen werden. Sie zielt ja auf Haltungsänderungen in der Bevölkerung als Bestandteil von Gewaltprävention und aktiven Schutz für betroffenen Frauen*, also Zivilcourage, das braucht Zeit. Während es in Österreich eine landesweite Koordinationsstelle für die StoP-Arbeit gibt, fehlt diese in Deutschland noch.

Jede dritte Frau ist laut Bundeministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend von physischer oder sexualisierter Gewalt betroffen. Wie kann ein Projekt wie StoP besonders in diesen schwierigen Pandemie-Zeiten dem Trend entgegenwirken?

Gerade hier erweist sich die niedrigschwellige Nachbarschaftsarbeit als besonders wertvoll. Vor allem im vergangenen Jahr waren Beratungsstellen geschlossen. Die Frauen waren oft zuhause und die Situationen von Kontrolle und Überwachung durch gewaltausübende Partner wurde intensiver. StoP-Mitarbeiter*innen waren im Stadtteil unterwegs, sind in die Häuser gegangen, haben mit Abstand und Maske Informationsmaterial oder Lebensmittelspenden vorbeigebracht.

Zusätzlich haben sie auf Straßen und Höfen die Nummer des bundesweiten Hilfetelefons mit Kreide geschrieben und mutmachende Botschaften aufgemalt. Es gab Infostände vor dem Supermarkt, Infoflyer an den Bäumen im Stadtteil und später dann Treffen und Gesprächsangebote im Freien. StoP wendet sich dabei nicht nur an Frauen, sondern an alle im Stadtteil – auch an Männer. Männer sind ausgesprochen wichtig, wenn es um die Änderung von überkommenen Rollenvorstellungen und die Gewaltprävention geht. Die weit überwiegende Anzahl der Menschen aller Geschlechter haben Interesse an liebevollen, gleichberechtigten Beziehungen und sind deshalb potenzielle Verbündete für unsere Ziele. Deshalb ist StoP keine „Frauensache“, sondern Gemeinwesenarbeit.

Das Konzept für “StoP – Stadtteile ohne Partnergewalt” umfasst acht konkrete Handlungsschritte, die auf Information und Zusammenbringen von Menschen basieren. Müssen diese Schritte jetzt in der Pandemie neu gedacht werden? 

Die Schritte an sich nicht, es mussten nur neue Formen gefunden werden. Ein Beispiel sind die Treffen der Nachbarschaftsgruppen, die digital, teilweise im Freien und in kleinerer Runde oder eben auch gar nicht stattfanden. In Stadtteilen, wo es vor der Pandemie schon gelungen war Nachbarschaftsbeziehungen und Gruppen aufzubauen, ging das sehr viel leichter.

StoP wendet sich dabei nicht nur an Frauen, sondern an alle im Stadtteil – auch an Männer. Männer sind ausgesprochen wichtig, wenn es um die Änderung von überkommenen Rollenvorstellungen und die Gewaltprävention geht.

Prof. Dr. Sabine Stövesand, Expertin für Soziale Arbeit an der HAW Hamburg, ist die Initiatorin des StoP-Projekts

Es gibt neben dem StoP-Projekt ebenfalls das Haus der Talente. Können Sie kurz schildern, um welche Art von Einrichtung es sich handelt? 

Es handelt sich um ein Nachbarschaftszentrum in Braunschweig, das der zentrale Kooperationspartner von StoP vor Ort ist. Alle StoP-Projekte sind bei Stadtteil-Einrichtungen wie zum Beispiel Elternschulen, Jugendhäuser oder Quartiersbüros angedockt. „StoP“ ist deshalb mittendrin im Alltagsleben.

Neben Österreich gibt es das Projekt ebenfalls in der Schweiz. Wo liegen die Stärken und Herausforderungen in der internationalen Zusammenarbeit?

Die Traditionen von Gemeinwesenarbeit, Gewaltschutz und Geschlechterpolitik sind unterschiedlich. Wir lernen voreinander. Fortbildungen und die Netzwertreffen sind noch spannender und es fördert den Eindruck, wirklich zu einer übergreifenden Bewegung zu werden. Es gibt regelmäßigen Austausch mit ähnlichen Projekten. Zusätzlich entstand international noch ein Netzwerk mit StoP-ähnlichen Projekten in Neuseeland, Uganda und den USA. Das geht auf zwei internationale Konferenzen zurück, die ich 2009 und 2015 an der HAW Hamburg durchführen konnte.

Welches sind die nächsten Schritte in Bezug auf die weitere Entwicklung und etwaige weitere Standorte für das Projekt? 

Für die Weiterentwicklung braucht es Mittel, um Menschen zu finanzieren, die die Arbeit in den verschiedenen Projekten bundesweit mit Beratung unterstützen und die Öffentlichkeitsarbeit koordinieren. Außerdem erhalten wir viele Anfragen aus anderen Bundesländern, die mehr über StoP wissen wollen. Ich bin viel gereist und habe Vorträge gehalten, aber das Ganze wird erfreulicherweise zu groß und braucht mehr Ressourcen. Außerdem gibt es ein Konzept für eine digitale Toolbox, einen Methodenkoffer, den ich gern mit einer Kollegin von der Fakultät Design, Medien, Information der HAW Hamburg entwickeln würde. Dafür sind wir noch auf der Suche nach Ressourcen. 
Mitarbeiter*innen von fünf Neustartern im Jahr 2021 haben bereits erfolgreich ihre StoP-Ausbildung absolviert. Wir vom „StoP e.V. international“ sind gerade dabei, die nächste Fortbildungsrunde vorzubereiten. Es liegen schon mehrere verbindliche Interessenbekundungen vor.

(Interview: Ted Koob)

Weitere Informationen: 
https://stop-partnergewalt.org/wordpress/aktuell/ 
https://stop-partnergewalt.org/wordpress/konzept/wie-funktioniert-stoppen/
 

Infobox
Das Projekt StoP hat sich zum Ziel gesetzt, Gewaltbetroffene und soziale Netzwerke in Stadtteilen so zu stärken, dass Partnergewalt nicht mehr erduldet, verschwiegen, ignoriert oder toleriert wird. Partnergewalt ist kein neues, aber immer noch ein sehr unsichtbares Thema. Jede vierte Frau in Deutschland erlebt, laut einer Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aus dem Jahr 2004, in einer Partnerschaft Gewalt. Jeder dritten Frau begegnet psychische Gewalt, wie zum Beispiel die extreme Kontrolle des Freizeitverhaltens durch den Partner. Fast jede siebte Frau wird Opfer sexueller Gewalt. Aber: Scham oder fehlende Informationen hindern Betroffene darüber zu sprechen, sich Hilfe zu holen oder die Polizei anzurufen. Wenn hier die aufmerksame und informierte Nachbarschaft Hilfe anbietet, wenn das Thema Partnergewalt öffentlich angesprochen wird, kann Gesundheit und Leben gerettet werden.

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