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Shanghai-Hamburg College

„Um China zu verstehen, muss man es erleben“

Im Jahr 2009 gründeten die University of Shanghai for Science and Technology (USST) und die HAW Hamburg offiziell das Shanghai-Hamburg College. Hier studieren inzwischen rund 500 junge Menschen in den drei Bachelor-Studiengängen Elektrotechnik, Maschinenbau sowie Internationale Wirtschaft und Außenhandel bilingual – auf Chinesisch und Deutsch.

 

Verbesserte finanzielle Rahmenbedingungen und mehr Möglichkeiten für Hamburger Studierende, die sich für ein Auslandsstudium in Shanghai interessieren: Dies und mehr wurde im neuen Kooperationsvertrag der University of Shanghai for Science and Technology (USST) und der HAW Hamburg festgehalten

Prof. Dr. Ute Lohrentz, Präsidentin der HAW Hamburg, besuchte Ende November zusammen mit einer Delegation die USST und vereinbarte und besiegelte den neuen Kooperationsvertrag zwischen den beiden Hochschulen für die kommenden sieben Jahre. Wir haben mit Prof. Dr. Michael Röther, Chinabeauftragter des Präsidiums und Leiter des Shanghai-Hamburg College in Hamburg, Prof. Zhen Ru Dai, Prodekanin für Internationales an der Fakultät Technik und Informatik sowie Prof. Dr. Jens-Eric von Düsterlho, Geschäftsführender Dekan der Fakultät Wirtschaft und Soziales, gesprochen.

Prof. Dai, die Kooperation besteht inzwischen seit rund 40 Jahren – inwieweit hat das Shanghai-Hamburg College dazu beigetragen, dass zwei Hochschulen, die rein geografisch sehr weit voneinander entfernt liegen, voneinander profitieren?

Prof. Dr. Zhen Ru Dai: Vor 40 Jahren war China noch ein Entwicklungsland, das sich gerade dem Westen öffnete. Die Kooperation zwischen einer deutschen und einer chinesischen Hochschule war damals visionär, und diese Vision hat sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte bestätigt. Chinesische Studierende lernten während des Studiums die deutsche Sprache und Kultur kennen und konnten nach ihrem Studium in deutschen Firmen arbeiten. Deutsche Kollegen wurden nach China geschickt, um ihre China-Kompetenzen zu erhöhen. Diverse lebenslange Freundschaften sind dabei entstanden, die wertvoll waren für den internationalen Austausch. Wir konnten miterleben, wie China in den vergangenen Jahrzehnten gewachsen ist. Der zukünftige Austausch gestaltet sich in beide Richtungen und wir werden voneinander lernen.

Für Studierende ist ein Aufenthalt in Shanghai eine Chance, an einer modernen, sehr gut ausgestatteten Universität zu studieren und eines der weltweit führenden High-Tech-Industriezentren neben dem Silicon Valley zu erkunden

Prof. Dr. Jens-Eric von Düsterlho

Prof. von Düsterlho, warum sollten Studierende aus Hamburg einen Aufenthalt am Shanghai-Hamburg College in Erwägung ziehen? 
Prof. Dr. Jens-Eric von Düsterlho: Für Studierende ist ein Aufenthalt in Shanghai eine Chance, an einer modernen, sehr gut ausgestatteten Universität zu studieren und eines der weltweit führenden High-Tech-Industriezentren neben dem Silicon Valley zu erkunden. Im Yangpu-Technologiepark oder dem Zhangjiang Hi-Tech Park finden sich Start-ups und etablierte Technologieunternehmen gleichermaßen. Gerade für junge Menschen dürfte die Dynamik einer pulsierenden, schnell wachsenden, hochmodernen Metropole ein einmaliges Erlebnis sein, welches zugleich interkulturelle Kompetenz stärkt. 
Der neue Kooperationsvertrag sieht für Studierende verschiedene neue Möglichkeiten für Studienaufenthalte am Shanghai-Hamburg College vor: Sie können im Rahmen eines Auslandssemesters jetzt unter englischsprachigen Bachelor-Modulen in den Bereichen Elektrotechnik, Maschinenbau oder Internationale Wirtschaft wählen und erhalten eine Wohnmöglichkeit auf dem Campus der USST. Daneben wird für 15 Studierende ab dem kommenden Jahr eine 3-wöchige Summer School angeboten werden, bei der sogar die Flug- und Unterbringungskosten durch das Shanghai-Hamburg College beziehungsweise durch die USST übernommen werden. Weitere interessante Möglichkeiten gibt es für Master-Studierende im Rahmen von Forschungsaufenthalten oder bei der Unterstützung der deutschen Kolleg*innen bei ihren Lehrveranstaltungen in Shanghai.

Prof. Röther, am 25. November 2024 haben Hochschulpräsidentin Prof. Ute Lohrentz und USST-Präsident Prof. Dr. Zhu Xinyuan Zhu die vierte Änderungsvereinbarung zum Kooperationsvertrag unterzeichnet, die ab September 2025 in Kraft tritt. Welche Änderungen kommen auf die beiden Hochschulen zu und warum sind sie nötig?

Prof. Dr. Michael Röther: Auf finanzieller Seite wurde vereinbart, dass die USST auf die Drittmittel, die jährlich der HAW Hamburg zufließen, den Gemeinkostenzuschlag in Höhe von derzeit 32 Prozent übernimmt. Des Weiteren wurden für die Shanghai-Reisenden die Sätze für Übernachtungskosten und Tagegeld angepasst.
Außerdem wurde das neue Lehrkonzept „Teamteaching“ im Kooperationsvertrag verankert. Für Lehrende der HAW Hamburg ist nun ein verkürzter Lehraufenthalt von zwei bis vier Wochen möglich. Außerdem wurden Lehrformate flexibilisiert: Die verbleibenden Stunden des Lehrprogramms können vor Ort durch Lehrbeauftragte in Abstimmung mit der jeweiligen Lehrkraft der HAW Hamburg als anwendungsorientierter Teil umgesetzt werden – beispielsweise als Seminar, Case Study oder Unternehmensbesuch. Dieser Umstieg war erforderlich, da es beim Studiengang Wirtschaft zuletzt zu wenig interessierte Professor*innen für einen Lehraufenthalt in Shanghai gab.
Der dritte Aspekt ist die Reziprozität: Die Anzahl der Studierenden der HAW Hamburg, die einen Auslandsstudienaufenthalt an der USST in Erwägung ziehen, ist äußerst gering verglichen mit der Zahl der Studierenden, die von der USST an die HAW Hamburg kommen. Hier bestand dringender Handlungsbedarf. Im Kooperationsvertrag sind jetzt erstmals vielfältige, attraktive Optionen für Hamburger Studierende für einen Aufenthalt an der USST fixiert: beispielsweise eine Summer School, Aufenthalte für Praxissemester, Abschlussarbeiten oder Lehrunterstützung sowie aufzubauende Fachmodulangebote in englischer Sprache. Die Umsetzung soll schrittweise gelingen und zeigt in die richtige Richtung.

Ende November wurde nicht nur der Kooperationsvertrag zwischen den beiden Hochschulen unterzeichnet, es fand auch eine vor-Ort-Begehung an der USST durch ein Akkreditierungsagentur ASIIN statt. Dies ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Reakkreditierung der Studiengänge. Prof. Röther, wie fiel deren Feedback aus?

Prof. Dr. Michael Röther: Bei der Vor-Ort-Begehung durch das ASIIN-Expertenteam an der USST am 26. und 27. November gab es sehr viele positive Rückmeldungen. Unter anderem wurde das hohe Engagement aller Beteiligten gelobt sowie die hohe Zufriedenheit von Studierenden und Vertreter*innen aus Industrie und Handel. Positiv hervorgehoben wurden außerdem das Auslandsstudiensemester an der HAW Hamburg bei den Studiengängen Elektrotechnik und Maschinenbau sowie das sehr hohe Ausstattungsniveau bei den Laboren und zentralen Einrichtungen der USST und des Shanghai-Hamburg College. Selbstverständlich gab es auch Anmerkungen für Verbesserungen: So soll die Qualität der Abschlussarbeiten angehoben werden und beim Studiengang Internationale Wirtschaft und Außenhandel ist gewünscht, die Präsenzzeiten der Lehrenden der HAW Hamburg in Shanghai zu erhöhen. Der ASIIN Bericht wird Mitte Januar 2025 erwartet. Anschließend müssen alle Dokumente beim Akkreditierungsrat eingereicht werden, der dann über die Reakkreditierung entscheidet.

Im Kooperationsvertrag sind jetzt erstmals vielfältige, attraktive Optionen für Hamburger Studierende für einen Aufenthalt an der USST fixiert

Prof. Dr. Michael Röther

Was wünschen Sie sich in Sachen Shanghai-Hamburg College für die kommenden sieben Jahre?

Prof. Dr. Jens-Eric von Düsterlho: Für die kommenden sieben Jahre erhoffe ich mir, dass möglichst viele Studierende und Lehrende einen Aufenthalt am Shanghai-Hamburg College in Shanghai realisieren und positive Erfahrungen in China machen können. Interkultureller Austausch und persönliche Beziehungen erzeugen gegenseitiges Verständnis und Vertrauen. Die Kooperation der HAW Hamburg mit der USST in Shanghai kann insoweit ein Beitrag sein, um die Beziehungen zu China in den kommenden sieben Jahren positiv zu beeinflussen und Feindseligkeit zu verhindern.

Prof. Dr.  Zhen Ru Dai: China ist technologisch sehr weit entwickelt und in manchen Bereichen dem Westen bereits voraus. Ich wünsche mir, dass wir Reziprozität leben durch einen ausgewogenen Austausch in beide Richtungen: Wenn wir es schaffen, mehr deutsche Studierende für ein Studium in China zu begeistern, können auch wir vom Wissen aus China profitieren. Außerdem stärken wir den deutschen Arbeitsmarkt, indem wir Fachkräfte weltweit gewinnen – und eben auch besonders aus China. Dafür ist ein ständiger Austausch und vor allem gegenseitiges Verständnis notwendig. Das Shanghai-Hamburg College ist nur eines von diversen Colleges an der USST. Ich würde mich freuen, wenn wir den Austausch auf die gesamte Universität ausweiten könnten. 

Prof. Dr. Michael Röther: Um China zu verstehen, muss man es erleben. China hat uns bereits auf vielen Gebieten wie beispielsweise der Digitalisierung, den erneuerbaren Energien und Elektromobilität überholt. Ich wünsche mir, dass unsere Studierenden und auch Lehrenden das Potenzial erkennen, die in unserer langjährigen, vertrauensvollen Kooperation steckt, und die Angebote zum Austausch und Lernen wahrnehmen, sowohl in Hamburg als auch in Shanghai. Insbesondere Shanghai erlaubt in meinen Augen bereits jetzt einen umwerfenden Blick in eine Megacity der Zukunft.

Interview: Tiziana Hiller

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