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Unsicherheiten verständlich visualisieren – Datenjournalismus für alle

Wie lassen sich Unsicherheiten im Datenjournalismus so visualisieren, dass sie intuitiv auch von Medienrezipient*innen ohne Statistik-Kenntnisse verstanden werden? Damit beschäftigt sich das Projekt uncertainty4ddj von Prof. Dr. Christoph Kinkeldey, das von der Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (DATI) des Bundesministeriums für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) gefördert wird.

© annelehmann.de

Herr Kinkeldey, worum geht es in dem Projekt uncertainty4ddj genau?
In uncertainty4ddj untersuchen wir, wie man Unsicherheiten in datenjournalistischen Visualisierungen intuitiver darstellen kann – also etwa bei Umfragen, Prognosen, bestimmten Berechnungen oder Schätzungen. Ziel ist es, die Glaubwürdigkeit und Verständlichkeit solcher Darstellungen zu verbessern, ohne die Leser*innen zu überfordern. Dafür arbeiten wir mit Journalist*innen zusammen, testen verschiedene Visualisierungen und entwickeln praxisnahe Empfehlungen.

Als einen der ersten Schritte haben Sie Datenjournalist*innen renommierter Medien für einen Workshop einen Tag lang zusammengebracht.
Ganz genau, der Workshop am Campus Finkenau diente dazu, gemeinsam mit Datenjournalist*innen konkrete Szenarien zu identifizieren, in denen Unsicherheiten relevant sind – zum Beispiel bei Wahlprognosen oder Klima-Modellierungen. Außerdem wollten wir besser verstehen, was in der Praxis dazu führt, dass Unsicherheiten bislang selten visualisiert werden. Die Ergebnisse des Workshops bilden die Grundlage für die Gestaltung und Evaluation neuartiger Visualisierungsstrategien im Projekt.

Können Sie mir Beispiele nennen, wo komplexe Daten mit Unsicherheiten behaftet sind und wie die Journalisten diesen begegnen?
Ein klassisches Beispiel für unsichere Daten im Journalismus sind Wahlprognosen. Sie beruhen auf Umfragen, bei denen naturgemäß nur ein kleiner Teil der Wähler*innen befragt wird. Die daraus abgeleiteten Zahlen sind immer mit statistischen Unsicherheiten behaftet – u.a. durch die begrenzte Stichprobengröße und durch Verzerrungen in der Auswahl der Befragten.

In der journalistischen Praxis werden diese Unsicherheiten unterschiedlich behandelt. Manche Redaktionen zeigen Schwankungsbreiten direkt in der Visualisierung der prognostizierten Stimmanteile („Partei A liegt bei 28 %, mit einer Unsicherheit von ±2 PP“). Andere nutzen Sitzverteilungsrechner, um zu veranschaulichen, wie kleine Veränderungen große politische Auswirkungen haben können.

Häufig jedoch werden Unsicherheiten nicht oder nur am Rande thematisiert – teils aus Sorge, die Leser*innen zu überfordern, teils weil es keine etablierten Darstellungsformen gibt. Ein prägnantes Beispiel ist die COVID-19-Pandemie: Obwohl etwa Inzidenzwerte starke Schwankungen aufwiesen und gleichzeitig maßgeblich über Maßnahmen und Einschränkungen unseres Alltags entschieden, wurden Unsicherheiten meist nicht kommuniziert – dabei hätte gerade eine transparente Kommunikation das Vertrauen in politische Entscheidungen stärken können.

Wie geht es weiter in dem Projekt?
Gemeinsam mit den Teilnehmer*innen unseres Workshops haben wir konkrete Anwendungsfälle aus der datenjournalistischen Praxis identifiziert, in denen Unsicherheiten eine relevante Rolle spielen. Auf dieser Grundlage entwickeln wir derzeit erste Prototypen für neue Visualisierungsansätze – darunter auch experimentelle Formen, die unterschiedliche mögliche Szenarien sichtbar machen, wie sie durch Schwankungen in den Daten entstehen können. Unter anderem werden wir untersuchen, wie immersive Ansätze (z.B. durch die Nutzung von VR-Brillen) sich zur besseren Interpretation unsicherer Daten einsetzen lassen – denn Studien zeigen erste Hinweise auf positive Effekte in bestimmten Anwendungskontexten.

Ist es sinnvoll, nur an einer verbesserten Darstellung der Daten zu arbeiten, oder geht es auch um eine grundsätzliche Sensibilisierung beim Umgang mit komplexen Daten?
Bei der Arbeit an neuen Ansätzen für den Umgang mit unsicheren Daten geht es nicht nur um eine intuitivere Darstellung der Unsicherheiten, sondern ebenso um eine Unterstützung der Rezipient*innen im Umgang damit. Deshalb ist es wichtig, Visualisierung und Unterstützung gemeinsam zu denken: Daten sollten nicht nur anschaulich, sondern auch kontextualisiert und transparent kommuniziert werden. Das Projekt uncertainty4ddj soll genau das leisten – es verbindet gestalterische Innovation mit dem Ziel, Rezipient*innen zur informierten Nutzung zu befähigen.

Interview: Maren Borgerding

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