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10 Jahre Angewandte Familienwissenschaften

Vielfalt der Familie im Fokus

Der Masterstudiengang "Angewandte Familienwissenschaften" am Department Soziale Arbeit beschäftigt sich seit zehn Jahren mit dem Thema Familie – in Deutschland und weltweit. Der gesellschaftliche Wandel sowie die stärkere Akzeptanz diverser Familienstrukturen verlangen nach immer neuen Anpassungen der Studieninhalte. Wir haben mit den ausführenden Expertinnen gesprochen und den Blick zurück und nach vorne geworfen.

Zwei Homosexuelle mit Kindern - Piktogramm

Zwei homosexuelle Männer mit Kindern. Piktogramm von Thommy Weiss

Familien stehen in einer zunehmend komplexen Gesellschaft vor immer neuen Herausforderungen. Dies betrifft beispielsweise Familien mit diversen Strukturen ebenso wie die Anpassung der Familie an flexible Arbeits- und Berufsleben. Um der wachsenden Komplexität von Familie auch wissenschaftlich gerecht zu werden, wurde 2013 der Masterstudiengang „Angewandte Familienwissenschaften“ an der HAW Hamburg gegründet. Das Masterstudium mit hohem Praxisbezug qualifiziert Absolvent*innen, später als Fach- und Führungskräfte in unterschiedlichen Bereichen im Kontext von Familie zu arbeiten. Nun feierte der Studiengang sein zehnjähriges Bestehen. Ein Anlass, Bilanz zu ziehen und nach vorne zu blicken. Wir haben mit der Studiengangleiterin Prof. Dr. Katja Weidtmann und den beteiligten Wissenschaftlerinnen, Dr. Sabina Stelzig und PD Dr. Astrid Wonneberger, gesprochen.

Der weiterbildende Masterstudiengang Angewandte Familienwissenschaften feierte gerade sein 10jähriges Jubiläum. Worauf blicken Sie zurück? Was waren die wichtigsten Etappen und Erfolge?
Prof. Dr. Katja Weidtmann:
Der weiterbildende Masterstudiengang stößt bei Berufstätigen in Hamburg auf großes Interesse – das zeigen die Zahlen an qualifizierten Bewerbungen. Interessierte kommen aber auch aus den anderen Bundesländern und dem Ausland. Wir finanzieren den Weiterbildungsstudiengang aus Gebühren. Anfangs befürchteten wir, dass unsere Zielgruppe aus dem sozialen Sektor sich das Studium nicht leisten kann. Doch unser Alleinstellungsmerkmal – wir sind der einzige familienwissenschaftlich-interdisziplinär ausgerichtete Masterstudiengang im deutschsprachigen Raum – scheint viele Studierende vor allem in sozialwissenschaftlichen Studiengängen und Berufstätige, insbesondere in der Arbeit mit Familien, anzusprechen. Inzwischen sind wir als Familienwissenschaftler*innen im Bereich der Familienforschung gut im In- und Ausland vernetzt. 2017 haben wir das erste deutschsprachige Einführungswerk in den interdisziplinären Familienwissenschaften herausgegeben. All das sehen wir als Erfolg an.

Wurde der Studiengang im Laufe der Zeit weiterentwickelt, auf welche neuen Familienstrukturen sind Sie getroffen? Mussten Studieninhalte angepasst werden?
Dr. Sabina Stelzig-Willutzki:
Der Familienbegriff ist nicht nur kulturell vielfältig und wandelbar. Auch das gesellschaftliche Verständnis von Familie weist eine große Bandbreite auf. Neben „Vater-Mutter-Kind“ gibt es zahlreiche andere familiäre Lebensformen sowie Familien, die aufgrund von Flucht oder Zuwanderung an unterschiedlichen Orten leben. Zudem können die biologische, die rechtliche und die soziale Elternschaft voneinander entkoppelt sein: Beispiele sind Patchwork- und Stieffamilien, Adoptiv- und Pflegefamilien, queere und polyamore Familien – diese erhalten gerade medial viel Aufmerksamkeit. Diese neuen Familienformen waren beim Start des Masters noch nicht wirklich ein Thema, inzwischen greifen wir diese neuen Themen aber in der Lehre auf.
PD Astrid Wonneberger: Auch können die Studierenden Themen, für die sie brennen, in ihr Studium einbringen – unsere Prüfungen sind sehr offen gestaltet. Generell ist diese Themenvielfalt auch durch die Interdisziplinarität gegeben, die ja die Familienwissenschaften und damit auch unsere Studieninhalte charakterisieren.

Können Sie konkrete Beispiele nennen, welche Herausforderungen oder Probleme es in Familien gibt? Wo setzt der Studiengang hier an?
Katja Weidtmann:
Ungeplante Lebensereignisse stellen Herausforderungen für Familien dar wie die Trennung eines Elternpaares, das Vorliegen einer psychischen Störung oder einer Behinderung, aber auch der Tod eines Familienmitglieds, familiäre Gewalt und viele weitere Faktoren wirken sich auf ein Familiensystem aus. Diese Phänomene werden bei uns in der „Allgemeinen und Klinischen Familienpsychologie“ behandelt.
Astrid Wonneberger: Und als spannungsreiches Feld ist die kulturelle Vielfalt nicht zu vergessen. Aufgrund der Tatsache, dass Deutschland ein Immigrationsland ist, führt dies zu vielen neuen Herausforderungen – sowohl für einzelne Familien als auch für unsere gesamte Gesellschaft. Transnationale Familien ist hier nur ein Stichwort, zu diesem wichtigen Thema arbeiten wir in dem Modul „Familie und Migration“.

Wo sehen Sie Entwicklungspotential für den Studiengang? Auf welche gesellschaftlichen Veränderungen werden Sie zukünftig reagieren müssen?
Katja Weidtmann:
Hier müssen wir beispielsweise auf die langanhaltenden Auswirkungen der Corona-Pandemie und der Eindämmungsverordnungen für Familien reagieren. Dem Abschlussbericht 2023 der Bundesregierung ist zu entnehmen, dass 73 Prozent der Kinder und Jugendlichen noch immer psychisch belastet sind. Hinzu kommt eine Zunahme von Essstörungen, Bewegungsstörungen, Bildungsrückständen und Verzögerungen in verschiedenen Entwicklungsbereichen bei vielen Kindern und Jugendlichen.
Astrid Wonneberger: Das Thema Migration wird seine Bedeutung behalten auch in Hinblick auf den Klimawandel, auf weltweite Unruhen und wirtschaftliche Ungleichheit, die die globalen Migrations- und Fluchtbewegungen auslösen. Transnationale Familien mit globalen Verwandtschafts- und anderen Netzwerkbeziehungen sind ja heute schon die Normalität. Aber auch die zunehmende Verbreitung und Anerkennung – auch rechtlicher Natur – neuer Familienformen in unserer Gesellschaft werden uns beschäftigen.

Was müssen Studierende mitbringen, um „Angewandte Familienwissenschaften“ zu studieren? Was sind die Kernkompetenzen?
Katja Weidtmann:
Die Bewerber:innen sollten über Erfahrung in der Arbeit mit und für Familien verfügen. Diese können sie in ganz verschiedenen Bereichen und mit unterschiedlichen Adressat:innen gesammelt haben, z.B. in der Beratung von Familien, der Familienhilfe oder auch in Bildungseinrichtungen. Sie sollten darüber hinaus große Wissbegierde bezüglich familienbezogener Themen mitbringen und dabei offen sein für unterschiedliche Sichtweisen und Fragestellungen. Dazu ist natürlich ein analytisches und kritisches Denken hilfreich. Wegen des hohen Anteils des Selbststudiums sind Selbstdisziplin und Motivation gefragt. Da sich das Studium auch an Personen richtet, deren Erststudium länger zurück liegt oder die bisher noch gar nicht studiert haben, muss das wissenschaftliche Arbeiten manchmal neu erlernt werden.
Dazu begeistert es uns zu sehen, wie viele unterschiedliche Expertisen in einer Gruppe von Studierenden zusammenkommen und wie sie ihr vielfältiges Wissen aus der Praxis in das Studium einbringen. Unsere Studierenden, die in kleinen Gruppen lernen, profitieren im späteren Berufsleben von diesen Kontakten. Das Jubiläum im April war fast eine Art Familientreffen, das hat uns wirklich sehr gefreut!

Interview: Katharina Jeorgakopulos/Kerstin Praetzel
 

Der weiterbildende Master-Studiengang „Angewandte Familienwissenschaften“ wurde 2012 im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten fakultätsübergreifenden Forschungsprojekts „Fit Weiter“ entwickelt. 2013 trat die erste Gruppe an Studierenden ihr Studium an, seit 2016 startet der Studiengang jedes zweite Jahr mit einer neuen Kohorte. Seit 2017 ist der Master akkreditiert und seit 2022 Teil der Systemakkreditierung der HAW Hamburg. Von 2018 bis 2022 wurde in Kooperation mit der Universität Hamburg und Lenzsiedlung e.V. mit POMIKU – Postmigrantische Familienkulturen ein vom BMBF gefördertes Forschungsprojekt durchgeführt, in dessen Zentrum die Familie stand.



Aktuell läuft die Bewerbungsphase für den nächsten Start zum Sommersemester 2024.
Bewerbungen sind bis zum 31. Oktober 2023 möglich.

Kontakt

Fakultät Wirtschaft und Soiziales
Department Soziale Arbeit
Prof. Dr. Katja Weidtmann
Studiengangsleiterin
Tel.: + 49.40.428 75-7155
katja.weidtmann(@)haw-hamburg.de

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