Vom Rockstar zum Dirigenten – Was Inverted Classroom mit Musizieren zu tun hat

Oleg Tjulenev, KOMWEID-Impulse, Jahrgang 2022, Nr. 10, Oktober 2022

Grafik für Inverted Classroom

In seinem Workshop zum Inverted Classroom in MINT-Grundlagenfächern im Rahmen der Reihe Infopoint Hochschullehre der Stiftung Innovation in der Hochschullehre geht Prof. Dr. Christian Spannagel auf die Vor- und Nachteile des Konzepts ein, räumt mit Fehlvorstellungen auf und gibt Tipps zur Umsetzung.

Grundsätzlich stellt Spannagel fest, dass Inverted Classroom (im Folgenden: IC) in allen Fächern angewendet werden kann. Innerhalb eines Moduls ergibt es aber nicht in allen Bereichen Sinn, es anzuwenden. Das sollte auch nicht der Anspruch sein. Stattdessen plädiert er für ein fallspezifisches Abwägen der Vor- und Nachteile.

Was ist das Inverted-Classroom?

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Um das Prinzip zu veranschaulichen, wählt Spannagel eine Analogie: In einem klassischen, frontalen Setting sind die Lehrenden wie Rockstars, also diejenigen, die vorne auf der Bühne stehen und Musik machen. Die Studierenden kommen zu ihren Konzerten und hören aufmerksam zu – im Anschluss können sie aber nicht selbst musizieren.

Beim Inverted Classroom hingegen sind die Lehrenden Dirigent*innen und die Studierenden das Orchester. Sie lernen zuhause die Noten und üben das Stück und kommen dann in Präsenz zusammen, um unter Anleitung der Dirigentin oder des Dirigenten gemeinsam zu musizieren.

Spannagel benennt dabei zwei Fehlvorstellungen, denen das Konzept regelmäßig unterliegt:

Fehlvorstellung 1: Inverted Classroom ist Online-Lernen

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Fehlvorstellung 2: Inverted Classroom ist Video-Lernen

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Wenn Studierende in Präsenz zusammenkommen, um die meiste Zeit nebeneinander zu sitzen und zu rezipieren, sind das verschenkte zeitliche und soziale Potenziale. IC dreht das um. Die Präsenzzeit wird für soziale Interaktion genutzt, um gemeinsam zu reflektieren, zu diskutieren, zu üben und an Problemen zu arbeiten.

 

Studierende zur Vorbereitung motivieren

Das Konzept setzt voraus, dass die Studierenden vorbereitet kommen und sich die relevanten Inhalte vor der Präsenzveranstaltung erarbeitet haben. Diese Vorbereitung ist essenziell und die größte Herausforderung im IC. Die Studierenden müssen motiviert sein, sich eigenverantwortlich auf die Lehrveranstaltungen vorzubereiten.

Spannagel hat einige Tipps zusammengestellt, die zum Gelingen des IC beitragen und die Studierenden motivieren, vorbereitet in die Präsenzveranstaltung zu kommen:

  • Klar formulierte Aufgabenstellung: Statt „gucken Sie das Video“ heißt der Auftrag „Lösen Sie die Aufgaben x,y,z“.
  • Verbindlichkeit schaffen: Aufgaben müssen gelöst mitgebracht werden.
  • Wahrgenommene Autonomie: Man lässt den Studierenden die Möglichkeit, sich eine von mehreren Aufgaben auszuwählen, auch wenn diese sich inhaltlich gleichen.
  • Wahrgenommene Kompetenz: Die Aufgaben dürfen nicht zu leicht und auch nicht zu schwer sein.
  • Soziale Einbindung fördern: Studierende bilden zum Beispiel bereits in der Vorbereitung Arbeits- und Lerngruppen.
  • Inhaltliche Relevanz herstellen: Die Studierenden sollten wissen, wofür sie die Inhalte oder die Fähigkeiten brauchen. Das kann zum Beispiel verdeutlicht werden durch Situationen aus dem Berufsleben oder durch eine Einordnung in das Studiengangscurriculum, zum Beispiel mit einem Verweis auf eine andere Lehrveranstaltung.
  • Gute Instruktionsqualität: Je besser die Vorbereitung, die Methoden ausgewählt, die Materialien vorbereitet sind, desto motivierter sind die Studierenden.
  • Inhaltliches Interesse bei der Lehrperson: Wenn die Lehrenden für ihr Thema „brennen“ und sie das auch zeigen, kann der Funke auf die Studierenden überspringen.
  • Konzept selbstbewusst vertreten und erklären: Erklären Sie ihr Konzept und zweifeln Sie nicht dran. Es sollte für die Studierenden transparent sein, wie das Lehrkonzept strukturiert ist und warum die Vorbereitung entscheidend ist. Es kann auch hilfreich sein, den Studierenden einmal vorzurechnen, dass der Workload insgesamt im von der Prüfungsordnung vorgegebenen Rahmen liegt und dass er sich aus Präsenz- und Selbststudium zusammensetzt (1 Credit = 25 bis 30 Stunden).

An Selbststudium erinnern: besonders zu Beginn eines Semesters einer IC-Lehrveranstaltung kann es sinnvoll sein im Verlauf der Woche die Studierenden per Mail an die Vorbereitungsaufgaben zu erinnern.

Das Entscheidende ist für Spannnagel Maßnahmen zu kombinieren, um die Studierenden zu motivieren. Es gibt keine Garantie fürs Gelingen. Er empfiehlt Erfahrungen zu sammeln und auszuprobieren was funktioniert. Wichtig ist mit den Studierenden im Gespräch darüber zu bleiben, was sie motiviert und interessiert, was funktioniert und was auch nicht.

 

Weitere Fragen und Antworten zum Inverted Classroom im Video

Spannagel geht in seinem Workshop auf die Fragen der Teilnehmenden ein, die im Folgenden als Timecodes benannt werden. In diesem Teil finden sich weitere Erfahrungen und Praxistipps für die Umsetzung des Inverted Classrooms.

  • Wie gestalte ich Vorbereitungs- und Präsenzzeit so, dass sie ineinandergreifen? (33:11)
  • Wie kann ich schon vor der Präsenzveranstaltung einen Wissensstand von den Studierenden abfragen? (34:38)
  • Kann ich bereits produziertes Material (zum Beispiel Aufzeichnungen aus der Online-Lehre) für IC nutzen? (36:10)
  • Warum sind Videos gerade im MINT-Bereich häufig eine sinnvolle Ergänzung? (39:16)
  • Können Studierende höherer Semester auch Videos produzieren für die ersten Semester? (44:50)
  • Werden die Studierenden durch IC selbstständiger? (46:20)
  • Wie schaffe ich es, dass die Studierenden in der Präsenz konzentriert und ruhig sind? (58:03)
  • Was macht man bei Lehrveranstaltungen mit vielen Teilnehmenden, die mit Tutorien verschränkt sind? Wo ist da der Mehrwert von IC? (1:09:10)
  • Wann stelle ich Musterlösungen zur Verfügung? (1:14:42)
  • Wie lange dauert die Umstellung auf IC? (1:16:35)

 

Die Aufzeichnung des Workshops Inverted Classroom in MINT-Grundlagenveranstaltungen von Prof. Dr. Christian Spannnagel:

https://www.youtube.com/watch?v=N_zb6zcnSLg

Alle Veranstaltungen aus der Reihe Infopoint Hochschullehre der Stiftung Innovation in der Hochschullehre:

https://stiftung-hochschullehre.de/netzwerk-und-transfer/infopointhsl/

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