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Wenn Lärm dreidimensional wird

An der Nahtstelle zwischen den Disziplinen: Ein Wissenschaftler*innen-Team der Fakultäten Technik und Informatik, Life Sciences sowie des Competence Center für Erneuerbare Energien und EnergieEffizienz (CC4E) erhält in der Förderrichtlinie „DATIpilot“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) den Zuschlag für das eingereichte Projekt „Sound Reality (SoReal)“. Dieses soll Lärmbelastung für Bürger*innen direkt in Virtual Reality erfahrbar machen. Wir haben mit Prof. Dr. Birgit Wendholt aus dem Projekt über SoReal gesprochen.

Frau Wendholt, von insgesamt 3000 Antragstellenden gehören Sie zusammen mit Kolleg*innen zu den ausgewählten 300, die den Zuschlag bei DATIpilot erhalten haben. Was genau ist der Ansatz Ihres eingereichten Projekts „Sound Reality (SoReal)“?
Lärm ist ein wesentlicher gesundheitsgefährdender Faktor. Es gibt eine Standardmethode, Lärmbeeinträchtigungen – verursacht beispielsweise durch städtebauliche Maßnahmen –, in Bürgerbeteiligungen zu kommunizieren. Das geschieht durch sogenannte Lärmkarten: Sie stellen die Lärmbelastung flächenhaft dar, Bereiche sind hier in Dezibel (dB) je nach Lärmsituation unterschiedlich eingefärbt. Das Problem: Die logarithmische Messgröße dB ist für Laien nicht intuitiv verständlich. Außerdem sind visuelle Darstellungen wie Lärmkarten nur schwer in die auditive Wahrnehmung übersetzbar. Genau hier setzen wir mit dem Projekt SoReal an. Dieses soll auditive Auswirkungen direkt in Virtual Reality erfahrbar machen. Wir bieten damit konkret ein Werkzeug an, das die Bewertung und Akzeptanz von planerischen Maßnahmen – städtebaulich, verkehrstechnisch etc. – verbessern kann.  

Das heißt, SoReal ermöglicht es, akustische Auswirkungen dreidimensional darzustellen, um diese für Bürger*innen intuitiv verständlich zu machen?  
Genau. Das Instrument der Lärmkarten, übrigens vorgesehen von der EU-Umgebungslärmrichtlinie, ist etwas für Expert*innen. Das bestätigen uns auch Behörden und Firmen, die Bürger*innenbeteiligungen durchführen und Software für Lärmkartensimulation entwickeln. Bei SoReal stellen wir demgegenüber Lärm dreidimensional dar und machen ihn hörbar, wir nennen das „Auralisierung“. So ermöglichen wir eine wahrnehmungsbasierte Partizipation der Bürger*innen, ohne auf Expert*innenwissen zurückgreifen zu müssen. 

Sie sind als Professorin an der Fakultät Technik und Informatik tätig, genau wie Iwer Petersen als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Das SoReal-Team komplettieren von der Fakultät Life Sciences Prof. Dr.-Ing. Dagmar Rokita sowie Sen. Prof. Dr. Friedrich Ueberle. Wie greifen hier fakultätsübergreifend Ihre unterschiedlichen Kompetenzen ineinander?
Die Kolleg*innen aus der Fakultät Life Sciences bringen die physikalischen Grundlagen und Methoden der Akustik ein. Die Kolleg*innen aus der Fakultät Technik und Informatik entwickeln die Software, die datengetriebene 3D-Modellierung und die Akustiksimulation. In der Fakultät LS setzen wir die neuen Werkzeuge zunächst in der Lehre ein. Sie tragen dort wesentlich zur Digitalisierung der Soundwalks  bei. Gleichzeitig testen wir die Qualität der Software und die Tragfähigkeit der entwickelten Methodik. In der Fakultät TI wurden darüber hinaus mehrere Bachelorarbeiten vergeben, die erfolgreich in die VR-Werkzeugumgebung integriert sind. 

Wie sind Sie vier Wissenschaftler*innen für SoReal zusammengekommen? 
Wir sind bereits durch Vorgängerprojekte beim Competence Center für Erneuerbare Energien und Energieeffizienz (CC4E) seit knapp fünf Jahren ein eingespieltes Team. An der Nahtstelle zwischen den Disziplinen haben wir einiges an Transferleistung hinter uns. So haben wir in Projekten wie „X-Eptance Explore“ (aus der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsinitiative X-Energy) und „Open Citizen Soundwalks“ (OCSW) bereits eine VR-Auralisations (Hörbarmachungs)-Methode für Windparks in VR entwickelt. Bereits diese Vorgängerlösung wurde sehr positiv als Alternative zu dem Standardverfahren aufgenommen. Für Softwareunternehmen ist es einfach ein vielversprechender Ansatz, die rechenintensive exakte Berechnung von Lärmausbreitung durch eine Echtzeitsimulation zu ergänzen.  
 
Gefördert wird SoReal mit rund 150.000 Euro (plus Overhead), die Laufzeit beträgt 18 Monate. Können Sie uns einen Überblick über die wichtigsten Schritte in diesem Zeitraum geben?
In 18 Monaten wollen wir unsere VR-Auralisations-Methode für Windparks im freien Feld in den innerstädtischen Bereich transferieren und ein geplantes Stadtentwicklungsprojekt – noch zu identifizieren mit den Hamburger Behörden – begleiten. Für dieses ausgewählte Projekt soll das Stadtgebiet in 3D unter Rückgriff auf offene Geodaten automatisiert nachgebildet und „auralisiert“, also hörbar gemacht werden.

Mittels der Soundwalk-Methode validieren wir dann die VR-Simulation wahrnehmungsbezogen. Mit der VR-Umgebung wollen wir Bürger*innenbeteiligungsverfahren begleiten, um partizipativ die Wirkung von Lärmschutzmaßnahmen zu prognostizieren. Nach Abschluss der ausgewählten städtebaulichen Maßnahme soll die Qualität der VR-Simulation in der Realität verifiziert werden. Parallel dazu optimieren wir eine bereits entwickelte Soundwalk-App für den Produktiveinsatz. Und last but not least soll am Ende des Projektes das Promotionsvorhaben von Iwer Petersen abgeschlossen sein.

Interview: Matthias Echterhagen
 

Zur Förderrichtline DATIpilot

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt mit seiner Förderrichtline DATIpilot innovative Lösungsansätze für gesellschaftliche Herausforderungen – und fokussiert sich dabei auf Transferprojekte in den Bereichen KI/Maschinelles Lernen, Medizintechnik/Pharmazeutik sowie Gesundheits-und Sozialwesen. 

Weitere Informationen zur Förderrichtlinie und zur Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (DATI):
www.bmbf.de/bmbf/de/forschung/datipilot/datipilot_node.html
www.bmbf.de/bmbf/de/forschung/dati/deutsche-agentur-fuer-transfer-und-innovation_node.html

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