Was haben Sie noch herausgefunden?
Wir konnten mit unserer Methode die genaue Kurvenform der zweiten Welle besser verstehen. Dies haben wir auf Hamburg, Deutschland und drei weitere Länder angewendet, mit interessanten neuen Ergebnissen. Die Details würden hier den Rahmen sprengen und sind in unserem Forschungsbericht nachzulesen, der Ende Februar 2021 auf unserer Projektseite erscheint.
Vielleicht können Sie uns schon ein wichtiges Ergebnis verraten?
Die komplexe Kurvenform der zweiten Welle in den verschiedenen Ländern konnten wir mit der Annahme erklären, dass es „vorsichtige“ und „unvorsichtige“ Menschen gibt. Die „Unvorsichtigen“ haben einen höheren R-Wert als die „Vorsichtigen“ und schon wenige Prozent Unvorsichtige reichen aus, um die Zahlen der täglich Neuinfizierten nach anfänglichen Erfolgen wieder in die Höhe steigen zu lassen.
Welche Empfehlung leiten Sie daraus ab?
Ich verstehe durchaus die Menschen, die ungeduldig geworden sind und im privaten Bereich ihre Kontakte wieder aufnehmen. Aber diese „Unvorsichtigen“ tragen im hohen Maße dazu bei, dass sich die Lockdown-Situation in die Länge zieht. Über 90 Prozent der Menschen schränken ihre Kontakte ein und befolgen die Maßnahmen. Aber das reicht leider nicht. Wir müssen auch die anderen davon überzeugen, mitzumachen. Ich wünsche mir, dass weniger Menschen sterben müssen. Inzwischen hören wir in den Nachrichten nur noch, wie viele am Tag zuvor gestorben sind. Insgesamt haben wir in Deutschland bis Mitte Februar schon 66.000 und weltweit 2,4 Millionen Tote zu beklagen.
Prof. Reintjes, Sie sind Epidemiologe. Wie kann man die Unvorsichtigen überzeugen?
Das ist eine sehr große Herausforderung für uns alle. Durch Transparenz dessen, was wir aus wissenschaftlichen Untersuchungen und Erfahrung wissen und ohne zu polarisieren. So kann man am ehesten überzeugen. Auch sollten die Bedenken der Unvorsichtigen ernst genommen werden. Pandemiemanagement ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Nicht nur die Politik ist gefragt, sondern wir alle sollten Überzeugungsarbeit leisten, um gemeinschaftlich möglichst gut durch die nächsten Monate zu kommen.
Prof. Möller, sobald es die Lage wieder zulässt, planen Sie einen Vortrag „Viren – die tödlichsten Piraten der Welt“. Ihn wird Biophysiker Dr. Gotthold Fläschner zusammen mit Anna Weber halten. Der Vortrag findet im „Einstein-Forum“ statt.
Das Einstein-Forum ist ein Angebot unserer Fakultät Technik und Informatik und bietet Studierenden, Schülerinnen und Schülern wie Lehrkräften Einblicke in aktuelle Themen aus Naturwissenschaft und Technik. Die Vorträge sind allgemein verständlich und sollen das Interesse an naturwissenschaftlichen Themen wecken und Raum für Diskussionen geben.
Dr. Fläschner, wollen sie uns verraten, um was es geht?
Viren sind die wohl raffiniertesten Krankheitserreger überhaupt. Sie entern unsere Zellen und übernehmen das Kommando, um sich selbst zu vermehren. Mit welchen ausgefuchsten Mitteln sie das anstellen und wie wir uns dagegen wehren können, erklären wir in diesem Vortrag. Es geht um die Biologie hinter den Viren, die Medizin hinter der Impfung und die Mathematik hinter der Pandemie.
Das klingt spannend! Ich hoffe, der Termin wird realisiert. Vielen Dank für das Gespräch!
(Interview: Tiziana Hiller)