035-Festwalzen und Strahlverfahren

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Transkript

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer von FERTIGUNGSTECHNISCH.hamburg! willkommen zu einer weiteren Folge unserer Podcastreihe, wo es wieder heißt: Es ist einmal wieder Zeit für Fertigungstechnik!

Festwalzen und Strahlen-und jetzt gibt es oben noch einen drauf! Aber wo drauf denn eigentlich? Neben der Zeit spielen in der Fertigungstechnik auch Kosten und Bauteilqualität eine wichtige Rolle! Ich kann die Gedanken der Zuhörerinnen und Zuhörer schon erahnen: „Gähn, jetzt kommt der schon wieder damit. Das haben wir doch schon so oft in den vorhergehenden Episoden gehört.“ Ja, genau! In der Triologie der Episoden 19, 21 und 26 haben wir so einiges erfahren über Grundsätzliches zur Bauteilqualität, welche Rolle die Randzoneneigenschaften vor allem nach der Bearbeitung spielen und wie sich das mit bestimmten Stellgrößen bei Verfahren wie beispielsweise dem Hartdrehen auswirken kann. Und was hat das jetzt mit „Obendrauf“ zu tun? Naja, obendrauf salopp gesprochen hat das was mit der Oberfläche unserer Bauteile und den insbesondere physikalischen Eigenschaften in den Bereichen darunter zu tun, den Randzoneneigenschaften.

In der letzten Episode zu dem Thema, der Folge zum Hartdrehen, haben wir erfahren, dass sich mit dem Bearbeitungsverfahren ungünstige Randzoneneigenschaften im Bauteil einstellen können, wenn wir durch eine ungeeignete Wahl der Prozessparameter den Prozess nicht sorgfältig planen und ausführen. Darunter auch, wenn wir während des Zerspanens den Einfluss des Werkzeugverschleißes nicht sorgfältig berücksichtigen. Kurzum: die Bauteilrandzone wird zu stark thermisch beeinflusst und erwärmt, die teilweise entgegenwirkenden mechanischen Beanspruchungen durch die plastische Verformung der Werkstückrandzone verlieren an Einfluss und NEIN! Jetzt kein WUMMS und auch KEIN DOPPELWUMMS! Aber halt! Mit Geld hat das dann am Ende trotzdem etwas zu tun, und der Qualität und der Zeit auch wieder! Was nämlich? Zunächst einmal: festigkeitssteigernde Druckeigenspannungen können sich bei einer starken Erwärmung der Bauteilrandzone weniger stark ausbilden, verringern sich also im Betrag, oder es entstehen sogar kritische Zugeigenspannungen und Gefügeumwandlungen mit der Folge geringerer Werkstückhärten. So gesehen steigt das Risiko für Ausschuss, wenn wir die fehlerhaften Teile in unserer Fertigung denn nicht auch rechtzeitig entdecken, bevor diese beim Kunden landen. Wie wir Maschinenbauerinnen und Maschinenbauer immer noch traditionell ausdrücken: „Kundenbeanstandung im Feld.“ Da schrillen in jedem Unternehmen die Alarmglocken ganz hell und laut. Wir können uns vorstellen, was das alles nach sich zieht: Rückrufaktionen, die Einrichtung von Qualitäts-Taskforces, die sogenannten 8D-Berichte als eines der wichtigen Qualitätswerkzeuge im Kunden-Lieferanten-Verhältnis. Hoffentlich nicht auch, dass schon Vermögensschäden aufgetreten sind oder gar Personenschäden, denn dann klopft sogar auch schon einmal die Staatsanwaltschaft an der Werkspforte…!

Puh, ein düsteres Bild, was ich da jetzt gerade male. Aber leider, realistisch, wenn hoffentlich nicht zu häufig. Und die Frage ist: können wir mit allem, was wir fertigen, wirklich 100% Sicherheit durch eine dazu notwendige Null-Fehler-Produktion ohne das kleinste denkbare Risiko sicherstellen? Was wir also machen ist, dass wir unsere Produkte so sicher gestalten und fertigen, dass wir mindestens nach dem Stand der Technik, wenn nicht gar der Wissenschaft, alles Mögliche tun, um die Risiken eines folgenschweren Ausfalls so klein wie möglich zu machen. Da wir so jetzt wieder bei den Kosten, der Qualität und der Zeit ankommen: Klar wird, dass vor allem das, was wir zuletzt gehört haben auch viel Zeit und sehr hohe Kosten nach sich ziehen wird. Und jetzt kommen wir zu dem „Machen wir es doch lieber gleich besser“-Ansatz. Heißt bei den Verfahren der Hartbearbeitung, ob mit geometrisch bestimmter Schneide, also beispielweise Hartdrehen, oder geometrisch unbestimmter Schneide, also auch dem Schleifen: Wir wissen, dass es prozessbedingt zu ungünstigen Randzoneneigenschaften vor allem durch thermisch bedingte Veränderungen kommen kann. Und wenn wir jetzt dieses Risiko minimieren wollen, gibt es jetzt eben noch oben einen drauf. Und das ist durchaus doppeldeutig zu verstehen. 1. wir wenden einen zusätzlichen Prozess, nämlich ein Nachbehandlungsverfahren an 2. in den allermeisten Fällen geschieht das so, dass wir zur Oberfläche der Bauteile hin, sozusagen eben „von oben“, mit Hilfe von Wirkmedien eine zusätzliche mechanische Einwirkung auf die Oberfläche erzeugen Zu 1., einen zusätzlichen Prozess: da werden Sie jetzt sagen: „Ja, das kostet dann aber auch Zeit und verursacht zusätzliche Kosten!“ Antwort: Ja, klar! Aber wir müssen das mit den oben genannten Folgen und Folgekosten eben gut abwägen. Zu 2.: Einsatz von Wirkmedien auf die Bauteiloberfläche, das bringt uns recht zügig zu den Verfahren, die wir da anwenden bzw. anwenden können In der klassischen Fertigung fallen uns da sofort vor allem feste Körper und flüssige Medien ein, die wir verwenden können, um die aus deren Bewegung entstehende Energie in eine mechanische Energieform zu wandeln, die unsere Oberfläche durch plastische Verformung verfestigen kann. Wir verrichten damit also in der Werkstückrandzone Umformarbeit. Der Klassiker: ohne zu wissen, dass es dieses Verfahren gibt, würde ich mir überlegen in ein Flugzeug zu steigen, manchmal aber auch schon ein Auto, ob LKW oder PKW, zu fahren.   Was ich damit meine? Viele hochdynamisch belastete Bauteile werden dort kugelgestrahlt. Wir erkennen dabei: die Werkstückoberfläche wird mit festen Partikeln, meist als kugelförmiges Strahlgut aus Stahl oder Keramik, mit hohem Druck aus einem Vorratsbehälter über Zuleitungen und Strahlvorrichtungen, oft als sogenannte Strahlpistolen oder Injektoren mit Strahldüsen ausgeführt, bestrahlt. Wir lernen so prinzipiell schon einmal, mit welcher apparativer Anlagentechnik wir bei einem solchen Verfahren arbeiten. Wir müssen mit diesen Komponenten im Zusammenspiel nämlich Folgendes sicherstellen: Dass wir das Strahlmedium in der richtigen Menge in der richtigen Zeit mit dem richtigen Druck an die richtige Stelle der Bauteiloberfläche lenken. Nachdem diese Zeit herum ist, muss sich der Strahl mit dem Medium um den richtigen Weg zu einer weiteren Stelle der Bauteiloberfläche bewegen und dann geht das Ganze von vorne los. Bis die gesamte zu strahlenden Oberfläche bearbeitet ist. Wir können uns dann noch überlegen, dass die bestrahlten Bereiche sich mehr oder weniger von der einen zur anderen Strahlstelle überlappen können. Wenn wir den Strahl nicht senkrecht, sondern schräg auf die Oberfläche lenken, dann hat das klar einen Einfluss auf die Größe der bestrahlten Fläche. Manchmal ist das hilfreich, wenn wir nur schwer zugängliche Flächen strahlen müssen, so können wir eine optimale Strahlposition über den Strahlwinkel einstellen. Und am Ende noch, dass der Querschnitt des Strahls zusammen mit dem Strahldruck letztlich eine Kraft repräsentiert, die auf die Bauteiloberfläche in diesem Moment einwirkt. Nämlich eine Umformkraft.

Somit haben wir also die wesentlichen Eingangsparameter definiert, mit denen wir uns in einem Strahlprozess beschäftigen müssen: - Strahldruck - Menge des Mediums, also die Strahlmenge - Strahlzeit - Strahlwinkel - Strahlquerschnitt Menge, Druck, Querschnitte der Zuleitungen und Strahldüsen in ihrem Verlauf über der Zeit hängen irgendwie zusammen. Die Antwort dieses Zusammenhangs liefert uns grob die Konti-Gleichung. Mitunter sind die Strahlpartikel in der Realität aber nicht unbedingt immer als ideal rund, kugelförmig und homogen verteilt anzusehen, das macht das Ganze schwieriger. Einfacher ist das ein wenig, wenn wir auf eine Verfahrensvariante wechseln, die flüssiges Medium verwendet. Nämlich Wasser. Das Hochdruck-Wasserstrahlen. In der Reinform wird auch wirklich nur Wasser verwendet. Um bei schwer verformbaren Materialien die Strahlwirkung zu Festigkeitssteigerung zu verbessern, oder auch bei Verwendung des Hochdruck-Wasserstrahlens zum Entgraten, setzt man zusätzlich Strahlpartikel, ähnlich wie beim Kugelstrahlen, dazu. An dieser Stelle einen schönen Gruß an die Strahlpumpen, Zuleitungen und Strahldüsen. Na klar, die verschleißen so schneller mit Zusatz eines Strahlmediums aus Keramik. Stahl würde zudem auch noch schneller korrodieren, das ist für eine längere Standzeit in einem Strahlmittelbehälter sicher auch nicht förderlich. Also wenn, dann beim Hochdruck-Wasserstrahlen eher keramische Zusätze.  

Beide Verfahren, das Kugelstrahlen wie das Hochdruck-Wasserstrahlen arbeiten so nach einem ähnlichen Prinzip mit ähnlichen Vor- und Nachteilen. Vorteile strahlender Verfahren allgemein: - sehr gute Zugänglichkeit, auch zu teilweise hinterschnittenen Bauteilgeometrien durch eine flexible Strahlführung - hohe Verfestigung der oberflächennahen Randzone möglich - daraus entstehen Druckeigenspannungen in der Randzone von mehreren hundert bis über 1000 MPa (man kann auch sagen N/mm²) - durch die Festigkeitssteigerungen können kritische Kerbgeometrien entschärft, Bauteilquerschnitte ggf. reduziert werden, was Leichtbau ermöglichte Nachteile strahlender Verfahren allgemein: - Verfestigung ja, aber oberflächennah heißt dann auch, die Tiefenwirkung ist meist nicht sehr hoch, also unter der Oberfläche meist nur wenige 1/100 mm, meist kaum mehr als 50 µm, wo neu entstandene Druckeigenspannungen unter der Oberfläche des Bauteils nachweisbar werden Nachteile speziell beim Kugelstrahlen: - die Oberflächengüte wird beeinflusst, mitunter rauht die Oberfläche auf, die Rauheit wird größer - im direkten Vergleich: das ist der Vorteil des Hochdruck-Wasserstrahlens, hiermit bleibt die Oberflächengüte gleich oder wird ggf. sogar noch etwas verbessert, solange die Strahlenergie ausreicht, um eine Glättung der Rauheitsspitzen an der Bauteiloberfläche zu bewirken - wieder zurück zum Kugelstrahlen: durch das „trockene“ Strahlen wird viel Abrieb erzeugt, der sich in Form von feinen Stäuben am Bauteil, in der Maschine aber auch trotz Absaugvorrichtungen häufig auch außerhalb der Maschine absetzten kann, vor allem die inneren, beweglichen Maschinenteile sind somit stärker verschleißanfällig - Druckluft ist das Medium, was vor Strom, Wasser, Hydrauliköl mit den höchsten Kosten in einer Produktion zu Buche schlägt Aber wie gesagt: in Abwägung mit den möglichen Folgen festigkeitsbedingter Ausfälle von Bauteilen sind das Aufwände in Zeit und Kosten, die man in Kauf nehmen kann und die sich damit auch rechnen! Haben wir jetzt nicht noch etwas vergessen? Hm, was können wir denn noch zum Verfestigen der Oberfläche verwenden? Kugeln hatten wir schon, die wir durch die Bewegungsenergie in einem Strahl zur Verfestigung verwenden. Aber wir können auch feste Körper auf der Oberfläche eines anderen festen Körpers abrollen. Und somit kommen wir zu den Verfahren des Glatt- oder Festwalzens, manche sagen auch das Rollieren. Strenggenommen nennt man ein Rollieren zur alleinigen Verbesserung der Oberflächengüte Glattwalzen. Wenn darüber hinaus eine Festigkeitssteigerung durch Einbringen von Druckeigenspannungen erreicht werden soll, ist es Festwalzen. Beim Festwalzen tritt, im Gegensatz zum Kugelstrahlen, wie zuvor erwähnt, gleichzeitig (!) eine Verbesserung der Oberflächengüte durch Glättung an den Rauheitsspitzen des Oberflächenprofils ein.  

Fragt sich, um wieviel kann man denn die Oberflächengüte verbessern? Hm, meist um wenige Mikrometer unseres Rauheitswertes Rz. Und wir sollten eben auch nicht glauben, dass wir jetzt größere Maß, Form und Lagefehler mit einem solchen Verfahren ausgleichen können. Grenze nach oben liefert uns: ja, richtig, die Fließkurven oder auch das Spannungs-Dehnungs-Diagramm- herzlich willkommen einmal wieder an dieser Stelle! Übertreiben sollten wir also nicht, sonst entstehen Risse. Wenn man es richtig macht, können wir die Oberflächengüte verbessern und Druckeigenspannungen, in ähnlicher Größenordnung wie beim Kugelstrahlen nämlich, und jetzt kommt’s: mit einer zum Teil deutlich größeren Tiefenwirkung von mehreren 1/100 mm bis über 1/10 mm einbringen. Na Klasse! Der typische Aufbau : wir verwenden einen Werkzeugträger, der oft wie ein Drehmeißel oder eine Bohrstange aussieht, in dem entweder zum Glattwalzen die Walzelemente (Kugeln oder Rollen) positioniert und rotierend gelagert werden. Um den Walzdruck besser zu kontrollieren, damit gezielt Druckeigenspannungen in das Bauteil eingebracht werden, sind die Walzelemente beim Festwalzen oft hydrostatisch gelagert. Ein konstanter Walzdruck wird über eine Druckpumpe und Zuleitungen in dem Walzwerkzeug unter den Walzelementen geregelt. Über die Aufstandsfläche, bei Kugeln nahezu punktförmig, bei Rollen linienförmig, wirken somit hohe Umformkräfte, die eine Glättung und Verfestigung der Werkstückoberfläche bewirken. Unter der Berührfläche entsteht eine Zone Hertzscher Pressung, die auch für die Tiefenwirkung des Festwalzens verantwortlich ist. Eingangsparameter sind: - Walzdruck - Walzgeschwindigkeit, bei rotationssymmetrischen Werkstücken auf Drehmaschinen gesteuert über die Werkstückdrehzahl - Walzvorschub, vergleichbar mit dem Vorschub beim Drehen, bestimmt hier auch die Überdeckung der Walzbahnen - Walzkugeldurchmesser bzw. Walzkörperdurchmesser, meist betragen diese zwischen 3 und 12 mm, min. 1 – max. 25 mm, je nachdem, ob man Wellen oder Bohrungen bearbeiten will Nachteile des Verfahrens im direkten Vergleich zum Strahlen: - die Zugänglichkeit eines Werkzeugträgers mit den Kugeln oder Rollierkörpern, die letztlich die Oberfläche glätten und verdichten, muss gegeben sein, die strahlenden Verfahren sind bei komplizierteren Geometrien unter Umständen da im Vorteil Aber: der enorme Vorteil der Walz- und Rollierverfahren gegenüber dem Strahlen ist, dass man die Werkzeuge auf konventionellen Bearbeitungsmaschinen unter Beistellung eines zusätzlichen Druckpumpenaggregats, ggf. einer notwendigen Drehdurchführung, einsetzen kann, OHNE DASS man eine zusätzlich, oft große, Anlage aufstellen muss, die nur in einer schmutzunempfindlichen Umgebung Platz findet und hohe Energiekosten für Druckluft und Absaugvorrichtungen erfordert. Gerade in der heutigen Zeit ein wichtiger Aspekt, über den es nachzudenken gilt. Zudem bietet die Kopplung der Festwalzwerkzeuge an die Zerspanungsmaschinen auch ein hohes Maß an Flexibilität bei sich verändernden Produktgeometrien, solange diese noch mit den bestehenden Werkzeugen bearbeitet werden können. Letzteres ist aber auch dann kein Hindernis, wenn die Werkzeuge anforderungsgerecht mit vertretbaren Kosten angepasst werden können. Mit festigkeitssteigernden können wir uns, wie bei allen Themen, natürlich noch viel tiefgehender und detaillierter auseinandersetzen. Für das Erste soll es heute aber damit reichen. Viele weitere spannende Einblicke in die Fertigungstechnik bleiben weiter offen, die wir in weiteren Episoden nicht vorenthalten werden. Wenn es wieder heißt: es wieder einmal Zeit für Fertigungstechnik!

geschrieben von Christian Müller
eingesprochen von Christian Müller