059-Schnittgeschwindigkeit und Drehzahl

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Transkript

Es ist Zeit für Fertigungstechnik. Und ich habe mir vorgenommen, heute mal wieder eine Formel zu präsentieren.

In der Episode über die Kinematik hatte ich schon den Begriff der Schnittgeschwindigkeit vC eingeführt, ich zitiere: „Die Schnittbewegung ist die Bewegung, die ein Schneidenpunkt relativ zum Werkstück ohne Vorschubbewegungen ausführt. Zu ihr gehört die Schnittgeschwindigkeit vc.“

So gesehen ist die Schnittgeschwindigkeit eine einfache geometrische Größe: zurückgelegter Weg pro Zeit. Kann ich jetzt einfach an meiner Maschine eine beliebige Geschwindigkeit einstellen? – Ich würd‘ nicht fragen, wenn’s so wär‘.

Wovon hängt die Wahl der richtigen Schnittgeschwindigkeit denn dann ab?

Da wäre zum einen der Schneidstoff. In der Produktion üblich sind Schnellarbeitsstahl, Hartmetalle, Schneidkeramiken, Bornitrid und Diamant. Die hier relevanten Eigenschaften sind die Härte und die Zähigkeit. Über den Daumen gepeilt behaupte ich mal: Je härter und zäher der Schneidstoff, umso höher die mögliche Schnittgeschwindigkeit. Zum grundlegenden Schneidstoff kommt noch die Beschichtung dazu. Sie soll unter anderem die Oberflächenhärte und damit die Verschleißfestigkeit des Schneidkörpers erhöhen, dadurch steigt dann auch die zulässige Schnittgeschwindigkeit weiter an. Zu den verschiedenen Schneidstoffen, darf sich einer der zerspanenden Kollegen mal äußern. Und eigentlich liefert jeder Werkzeuglieferant die Werte für das gelieferte Schneidwerkzeug gleich mit.

Natürlich hat auch der zu bearbeitende Werkstoff einen Einfluss. Daumenregel: Je weicher, desto höher die Schnittgeschwindigkeit. Aluminiumlegierungen bearbeite ich mit höheren Geschwindigkeiten als Stähle.

Dazu kommt die Bearbeitungsart: In einer früheren Episode bin ich ja schon auf das Schruppen und Schlichten eingegangen. Beim Schlichten wähle ich üblicherweise eine höhere Schnittgeschwindigkeit als beim Schruppen. Das High-Speed-Cutting ist dann nochmal ein Fall für sich.

Dann haben das Fertigungsverfahren und die Bearbeitungsstrategie einen Einfluss. Das Fräsen hat andere Geschwindigkeiten als das Drehen, Schleifen noch wieder ganz andere. Querplandrehen hat andere Werte als Längsrunddrehen. Hat in der Vorlesung mal jemand die zulässige Schnittgeschwindigkeit für das Feilen erwähnt? Na? - Daher gibt es ganze Tabellenwerke für Richtwerte.

Ich möchte auch noch den Einfluss der Bearbeitungsbedingungen erwähnen. Zu diesen gehören alle Einflüsse, die das Ergebnis zusätzlich positiv oder negativ beeinflussen können. Bearbeite ich den Werkstoff trocken, mit Kühlschmiermittel im Vollstrahl oder mit Minimalmengenschmierung? Habe ich einen durchgehenden oder einen unterbrochenen Schnitt? Wie sieht es mit der Stabilität der Maschine aus? Wie ist die Einspannung? Offensichtlicher Einfluss hier: trocken kann ich in den meisten Fällen nur niedrigere Schnittgeschwindigkeiten fahren, als mit Kühlschmierung.

Der Strippenzieher im Hintergrund, der für vieles davon verantwortlich ist, ist der Wärmeeintrag durch Spanbildung und Reibung. Das geht mir hier heute aber zu weit.

Und letztendlich hat auch die Kostenrechnung einen Einfluss auf die Schnittgeschwindigkeit. David hatte ja schon über die Standzeit berichtet. Die Schnittgeschwindigkeit hat einen Einfluss darauf, nach welcher Zeit bzw. wie vielen Werkstücken ich das Werkzeug ersetzen oder zumindest nacharbeiten muss. Dagegen steht der Maschinenstundensatz. Hier muss nun abgewägt werden, welcher Weg eingeschlagen wird.

Über weitere Effekte wie Spanform und Spanart, Resonanzeffekte in Maschine und Werkstück (ich sage nur Rattermarken) und ähnliches möchte ich heute gar nicht erst reden.

Wähle ich also die Big Player aus, ist die Schnittgeschwindigkeit eine Funktion von Werkstoff, Schneidstoff, Verfahren und Bearbeitungsbedingungen.

Kommen wir mal zu ein paar Anwendungsbeispielen:

Als erstes schaue ich mir mal das Außen-Längsrunddrehen an. Als Werkstückwerkstoff vergleiche ich Automatenstahl und eine Aluminium-Knetlegierung.

Bei einem klassischen Drehmeißel aus HSS angeschliffen stehen für normale Bearbeitungsbedingungen beim Schruppen von Automatenstahl 35 m/min in der Tabelle, für besonders gute Bedingungen (Kühlschmierung, durchgehender Schnitt, gepflegte Maschine), gehen bis zu 40 m/min, bei ungünstigen Bedingungen nur 30 m/min. Beim Schlichten erhöht sich der Wert für normale Bearbeitung auf 45 m/min.

Bei der Aluminiumlegierung kann ich beim Schruppen 140, beim Schlichten sogar 180 m/min einsetzen.

Bei einem Hartmetallschneidstoff aus der Gruppe P kann ich bei Automatenstahl beim Schruppen schon 200, beim Schlichten sogar 300 m/min einstellen.

Beim Schlichten der Aluminium-Knetlegierung stehen bei einem Hartmetallschneidstoff aus der Gruppe N schon 700 m/min in der Tabelle.

Als Vergleich nehme ich mal das Außenrundschleifen von gehärtetem Stahl mit CBN als Schneidstoff und metallischer Bindung, nass: Da stehen schon 30-60 m/s auf der Uhr.

So, genug Zahlen für einen Podcast. Ich hatte ja außerdem noch eine Formel versprochen.

Gerade bei konventionellen Maschinen gibt es keine Einstellung für die Schnittgeschwindigkeit. Warum nicht? Wie oben schon erwähnt, ist sie eine geometrische Größe.

Ich schaue weiterhin auf das Außen-Runddrehen: Die Schnittgeschwindigkeit ist in diesem Fall die Umfangsgeschwindigkeit eines Punkts auf dem eingestellten Durchmesser des Schneidenpunkts. Ich schaue also wieder in das Tabellenbuch meines Vertrauens unter dem Punkt „Umfangsgeschwindigkeit“ und finde dort die folgende Formel: v = π mal Durchmesser mal Drehzahl. Wenn ich meinen Zieldurchmesser am Werkstück in mehreren Schnitten erreiche, dann muss ich also für jeden Schnitt die Drehzahl an der Maschine korrigieren, damit sich an der Schneide die richtige Schnittgeschwindigkeit einstellt.

Dazu hört man meistens die folgende Formel:

Wo kommt den jetzt die Tausend her? Das ist die Einheitenumrechnung. Die Drehzahl hätten wir gerne in 1/min, die Schnittgeschwindigkeit ist in m/min und der Durchmesser in mm angegeben. Die „1000“ müsste richtigerweise mit 1000 mm/m angegeben werden.

Achtung! Das ist in der Klausur ganz wichtig. Da man für die volle Punktzahl die Rechnung mit allen Einheiten hinschreiben sollte, dürfen die Einheiten bei diesem Faktor 1000 nicht fehlen, sonst stimmt es nicht.

Also nochmal die „richtige“ Formel für drehende Bewegungen:

Beim Schleifen müsste ich von den m/s nicht nur die m in mm sondern auch die Sekunden in Minuten umrechnen, da kommt noch eine 60 ins Spiel.

Und jetzt noch eine Besonderheit für das Plandrehen: Hier ändert sich der Durchmesser bei der Bearbeitung ständig, er wird immer kleiner. Genau genommen müsste ich also die Drehzahl immer weiter erhöhen. Und da der Durchmesser unter dem Bruchstrich steht, müsste die Drehzahl beim Schnitt in der Drehachse gegen unendlich steigen. Das überlebt kein Spindelmotor. Bei konventionellen Maschinen ist diese Anpassung nicht möglich, da rechnet man gerne mit einem mittleren Durchmesser und muss dann akzeptieren, dass die Schnittgeschwindigkeit außen ggf. zu groß und zur Mitte hin zu klein ist. CNC-Maschinen können diese Anpassung natürlich leisten, sind aber in den Einstellungen auf eine Höchstdrehzahl begrenzt. Gerade bei großen Werkstücken mit vielleicht noch vorhandener Unwucht, sollte man diese Begrenzung noch weiter absenken, damit einem das Bauteil nicht irgendwann um die Ohren fliegt.

So viel für heute von der Schnittgeschwindigkeit. Vielleicht schaffe ich es ja irgendwann noch bis zum Vorschub und der Vorschubgeschwindigkeit. Das ist ähnlich komplex.

Ach und zum Vergleich: Die Umfangsgeschwindigkeit einer Person am Äquator der Erde beträgt etwa 27800 m/min. Das entspricht 1670 km/h.

geschrieben von Benjamin Remmers
eingesprochen von Benjamin Remmers