„Die seelische Gesundheit beginnt im Kopf“


 

 

 

Helga Hudler, Expertin für betriebliches Gesundheitsmanagement, strategische Unternehmens- und Organisationsentwicklung, erklärt, warum ein modernes Gesundheitsmanagement im öffentlichen Dienst auf die zunehmenden psychischen Belastungen in der Arbeitswelt reagieren muss.

Frau Hudler, Sie haben vor drei Jahren mit Ihrem Institut (KMB GbR Bildung und Beratung, d. Red.) und dem Campus Weiterbildung der HAW Hamburg die Qualifizierung zum „Berater für psychische Gesundheit im Unternehmen“ konzipiert. Wie kam es zu dieser Kooperation?

Das Thema „psychische Gesundheit im Unternehmen" hatte - ebenso wie die gesetzlich vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen - längst noch nicht überall Eingang gefunden in Ziele, Strukturen und Maßnahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements. Darauf wollten wir reagieren, indem wir einerseits das Thema psychische Gesundheit aus der Tabuzone holen und andererseits betriebliche Akteure für das Thema qualifizieren. Nun haben psychische Belastungen durch die Corona-Pandemie eine noch größere Bedeutung bekommen. Viele Menschen fühlten sich zu Beginn der Pandemie und auch heute noch zugleich gestresst und isoliert durch die Arbeit im Homeoffice. Die digitale Transformation, die viele ohnehin schon überfordert hatte, hat durch den rasanten Wechsel in neue Arbeitsformen noch mehr Schubkraft bekommen.

Woran genau liegt das?

Die Arbeit im Homeoffice erforderte von heute auf morgen viele neue Fähigkeiten der Kommunikation, denen nicht jede und jeder sofort nach einer oder zwei Schulungen gewachsen ist. Viele kamen und kommen schlicht nicht mehr mit. Der steigende Druck fördert Angst und Unsicherheit, denn die Produktivität darf nicht leiden, sprich: Die Arbeit muss getan werden. Die Arbeitgeber mussten während der Coronazeit ebenfalls neue Führungskonzepte entwickeln – also Kontrolle durch Vertrauen ersetzen, dass ihre Mitarbeiter auch im Homeoffice verlässlich funktionieren. Dieses Spannungsfeld führte zu enormen psychischen Belastungen. Dadurch hat sich der Anteil der psychischen Erkrankungen an den statistisch erfassten Fehlzeiten noch zusätzlich erhöht.

Gibt es hier valide Zahlen?

Laut Statistik der Krankenkassen gingen bereits vor der Pandemie 17,5 Prozent aller Fehltage auf psychische Störungen zurück. Damit sind sie der zweithäufigste Grund für Krankschreibungen nach Muskel- und Skeletterkrankungen. In der Statistik der Arbeitsunfähigkeitstage sind psychische Erkrankungen mit 156 Tagen an der Spitze. Das macht eine Steigerung von 56 Prozent, bezogen auf das Basisjahr 2010, aus.

Wie kann die Qualifikation zum Berater für psychische Gesundheitim Unternehmen hier Abhilfe schaffen?

Zunächst einmal, indem wir Personalverantwortliche für die verschiedenen internen wie externen Ursachen psychischer Belastungen am Arbeitsplatz sensibilisieren. Gesundheit beginnt also im Kopf. Im Fokus des ersten Moduls steht daher die Frage: Wie genau macht die Arbeit oder die spezifische Situation am Arbeitsplatz einen Menschen psychisch krank? Um das im Einzelfall herauszufinden, bedarf es einer auf Empathie basierenden und zugleich lösungsorientierten Gesprächsführung. Die wollen wir den Teilnehmenden vermitteln.

„Professionell geführte Mitarbeitergespräche sind ein wichtiges Instrument, um die Ursachen psychischer Belastungen in Unternehmen zu ergründen.“

Wie geht es dann weiter?

Ab dem zweiten Modul thematisieren wir die rechtlichen Grundlagen und beschäftigen uns mit Analysemethoden. Im Vordergrund steht die Frage: Wie finden wir heraus, wo es Belastungen gibt und wie sie entstehen? Hier ermitteln wir mithilfe verschiedener Analyseverfahren die Gefahrenpotenziale für die Gesundheit – etwa im Rahmen einer Mitarbeiterbefragung oder Gruppenmoderationen. Im dritten Modul geht es dann darum, strategische Handlungsfelder zu identifizieren.

Was genau bedeutet das?

Um ein sinnvolles und messbares Gesundheitsmanagement zu entwickeln und zu implementieren, muss ich wissen, in welchem Kontext ich agiere. Die jeweilige Unternehmenskultur, die Personalführung oder das Changemanagement in einer Behörde geben den jeweiligen Handlungsspielraum vor. Ich muss mich also fragen: Inwieweit kann ich die Motivation, Produktivität und Zufriedenheit meiner Mitarbeitenden steigern, um beispielsweise psychische Störungen und entsprechende Fehlzeiten zu minimieren? Eine gründliche Analyse ist zwingende Voraussetzung für eine erfolgreiche Projektarbeit.

Im vierten Modul „Projekte erfolgreich managen – Veränderungsprozesse initiieren und begleiten“ geht es dann um die praktische Umsetzung ...

Ja, hier sollen die Teilnehmer und Teilnehmerinnen eigene Projekte im Bereich Gesundheitsmanagement aufsetzen – von der ersten Projektskizze über die Planung bis zur Organisation und Steuerung. Dabei geht es auch um die Frage, unter welchen Rahmenbedingungen ich ein Projekt in meiner Abteilung überhaupt planen kann. Da solche Veränderungsprozesse meistens fach- und bereichsübergreifend stattfinden und gemanagt werden müssen, hat sich hier die Projektform etabliert. Sie ermöglicht es am ehesten, alle technischen, wirtschaftlichen oder sozialen Ziele und Leistungsmerkmale von Anfang an einzubinden.

Wie finden die Teilnehmer*innen ihre Projektthemen?

Die ergeben sich in der Regel aus der jeweiligen Situation vor Ort, der aktuellen Zielsetzung oder der eigenen Interessenlage. Ein Projekt kann etwa darauf abzielen, die Kommunikation im Team zu fördern. Oder es setzt sich mit den Herausforderungen der „Neuen Arbeitswelt“ vor dem Hintergrund der Digitalisierung auseinander. Die digitale Transformation in aller ihrer Komplexität wird noch lange Thema sein. Einige Projekte zielen auf die Entwicklung einer "gesunden Organisation": Von der Planung und Durchführung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen bis zum Aufbau eines systematischen Betrieblichen Gesundheitsmanagements. Wir haben es mit der sehr kritischen Generation Y und mittlerweile Z zu tun, die auf betriebliche Gesundheitsförderung viel größeren Wert legen als noch die Vorgängergenerationen.

Können Sie noch weitere Beispiele nennen?

Sehr gern. Eine Seminarteilnehmerin hatte von sich aus ein Projekt zum Thema „Depression am Arbeitsplatz“ initiiert und Lösungen erarbeitet, um für das Thema zu sensibilisieren und zielgerichtete Schulungen anzubieten. Auch das Werte- und Führungsverständnis der Organisation oder neue Ansätze für die Durchführung von Mitarbeitergesprächen sind Gegenstand von Projektarbeiten. In einem zweitägigen Kolloquium stellen die Teilnehmer*innen ihre Projekte vor.

Wie finden Sie die Ergebnisse?

Es ist erstaunlich, wie viele großartige Ansätze hier bislang in den Seminaren präsentiert wurden. Das Gute daran ist, dass die Vorhaben auch realisiert werden, da sie eng am Bedarf in der Praxis ausgerichtet sind. Und es bilden sich Netzwerke, die tragen. Die Seminarteilnehmer*innen verlieren sich in der Regel auch nach Ende der Veranstaltung nicht aus den Augen. Sie sind füreinander da, geben sich Rat und lernen voneinander. Es ist großartig, wie sie sich gegenseitig inspirieren und unterstützen.

Zur Person:

Helga Hudler hat nach ihrem Studium der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre eine Ausbildung zur Sozialversicherungsfachangestellten abgeschlossen. Es folgte ein Studium zur Krankenkassenbetriebswirtin sowie ein Managementstudium an der Fernuniversität Hagen. Sie absolvierte darüber hinaus Ausbildungen zum Coach (an der Universität Wuppertal) und zur Businesstrainerin. Flankiert von langjähriger Führungserfahrung im Management von Gesundheits- und Sozialeinrichtungen hat sie tiefe Einblicke in die Strukturen der öffentlichen Verwaltung gewonnen. Helga Hudler war regionale Geschäftsführerin einer Krankenkasse, Dezernentin für Personal und Organisation und Leiterin Unternehmensentwicklung bei der Unfallkasse NRW und ist daneben akkreditierte Beraterin der Offensive Mittelstand und Prozessberaterin im Förderprogramm unternehmenswert:Mensch. Seit 2002 ist Helga Hudler Geschäftsführerin der KMB GbR Bildung & Beratung. Ihr umfangreiches Wissen gibt sie unter anderem als Dozentin an verschiedenen Hochschulen und Berufsakademien weiter. Zu ihren fachlichen Schwerpunkten zählen neben Gesundheits- und Arbeitsschutzmanagement auch Sozialrecht, Strategisches Personalmanagement sowie Projekt- und Veränderungsmanagement.

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